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geschrieben 2025 von Jens (Jens Richter).
Veröffentlicht: 13.02.2025. Rubrik: Fantastisches


Professor Marcelloni und die Zeitmaschine

Schweiz, 1957
Professor Marcelloni war für mich wie ein Buch mit sieben Siegeln. Er war ein nimmer ruhender Geist, der sich der theoretischen Physik verschrieben hatte.
Schon sein Äußeres bestätigte meinen Eindruck.
Er war spindeldürr, trug einen grauen Anzug, den er wie es schien, seit seiner Konfirmation nicht mehr abgelegt hatte.
Dieser Anzug war an den Armen und Beinen jeweils fünf Zentimeter zu kurz.
Auf seiner langen und spitzen Nase klemmte eine Nickelbrille, deren Gläser dermaßen zerkratzt waren, dass man annehmen musste, dass er sie ebenfalls seit seiner Zeit als Oberprimaner trug.
Die Studenten bezweifelten, dass er überhaupt noch wusste, ob sie auf seiner Nase saß.
Sein Haupt krönte eine abgegriffene Schiebermütze, die er nur abnahm, wenn er zu Bett ging.
Manchmal warf er die Mütze auch gegen metallene Stromleiter, um sicher zu gehen, dass der Strom tatsächlich ausgeschaltet war.
Einmal hatte ich eine Verpuffung miterlebt, unmittelbar nach einem abgebrochenen Test, als die Mütze versehentlich auf einem Plattenkondensator landete.
Sein Lieblingssteckenpferd innerhalb der Physik war die drahtlose Energieübertragung, nachdem er sich tiefer mit den Erfindungen von Nicolas Tesla befasst hatte. An unserer Universität machte er weiterführende Studien zu diesem Thema.
Marcelloni galt im deutschsprachigen Raum als Koryphäe auf diesem Gebiet.
Die Studenten liebten seine Art Vorträge zu halten oder Versuchsreihen vorzuführen. Es war sein trockener Humor, gepaart mit seinen schlaksigen Bewegungen, die seinen Unterricht zum Erlebnis machten. Was natürlich seinem persönlichem Stil entsprach.
An mir hatte er offenbar einen Narren gefunden, nicht weil ich ein Streber war und all seine Thesen abnickte, eher wohl, weil meine Mutter, Hermine Freifrau von Sternberg Professor Marcelloni immer wieder einen großzügigen Scheck für seine Experimente zur Verfügung stellte.
Mutter beauftragte mich wiederum, dass ich ein Auge auf den Professor haben sollte. Sozusagen als seine rechte Hand, was für mich den Nachteil hatte, dass das ausgelassene Studentenleben ein Fremdwort für mich war.
Marcellonis neuester Spleen war es, an einer Zeitmaschine zu tüfteln und nach einer erneuten Finanzspritze durch meine Mutter, auch zu bauen.
Und finanzielle Mittel standen ihm dank unserer Familienstiftung reichlich zur Verfügung.
Doch meine Mutter stellte Marcelloni eine Bedingung. Falls die Zeitmaschine je einsatzfähig sein würde, wird sie unter dem Markenzeichen "Sternbergscher Zeitreiseapparat" patentiert.
Marcelloni willigte ein.
Ich hatte mich immer gefragt, woher Mutters Interesse für diese Zeitmaschine kam.
Sie wollte in die Vergangenheit zurück reisen, um nach ihrem verschollenen Bruder und meinem Onkel Alexander zu suchen.

Aber wo sollte Marcelloni mit seinen Forschungen ansetzen?
Um zum Ziel zu gelangen, bediente er sich eines profanen Tricks. Er setzte dazu auf die Kreativität seiner Studenten.
Ihnen gab er als Semesterabschlussarbeit die Aufgabe, sich Gedanken zu machen wie eine Zeitreise realisiert werden könnte.
Energetisch, technisch oder geistig mit bewusstseinsverändernden Substanzen.
Nach meiner persönlichen Einschätzung konnte man, wenn überhaupt allenfalls in die Vergangenheit reisen. Die Frage nach dem Warum konnte ich jedoch noch nicht beantworten.
In jenem Moment konnte ich jedoch nicht ahnen, dass sich meine Vermutung recht bald bestätigen sollte.
Einige meiner Kommilitonen schrieben, dass Zeitreisen generell nur geistig möglich sind, vorausgesetzt Menschen reinkarnieren immer wieder.
Da die Meisten als zukünftige Physiker mit dem Schöpfungsmythos und dem Leben nach dem Tod haderten, verwarf diese Gruppe diese These sehr schnell. Schließlich kann nicht sein, was nicht sein darf!
Einig waren sich jedoch alle, dass eine Zeitmaschine einen enormen Energiebedarf benötigte.
Aus den mitgelieferten Skizzen und technischen Entwürfen begann Marcelloni, unter Zuhilfenahme einiger handwerklich begabter Studenten und mir mit dem Versuchsaufbau, der eine Zeitreise theoretisch ermöglichte.

Für den Versuchsaufbau wurde eine ausgediente Lagerhalle im Universitätsgelände angemietet.
Inmitten der Halle stellte man einen ausrangierten sowie stark eingekürzten Telegraphenmast auf. Um diesen Mast wickelte man zwei Spulen, eine innere Spule mit vielen Windungen sowie einer darüber, die nur einige wenige Windungen erhielt. Zwischen beiden Spulen diente ein Luftabstand als Isolator.
Oben auf dem Mast war ein Knäuel Stacheldraht angebracht. Dieser Stacheldraht war an einem Ende mit der inneren Spule elektrisch verbunden, während das andere Ende der Spule mit einem Erdableiter gekoppelt war.
Die Spule mit den wenigen Windungen wurde ans öffentliche Stromnetz angeschlossen.
Mittels Schiebewiderständen konnte die Spannung reguliert werden.
Neben jenem Gebilde, dass wie die Miniaturausgabe eines Wardenclyffe Towers aussah, standen im Abstand von drei Metern zueinander, übermannshohe leicht gewölbte Bleche.
Mit etwas Phantasie könnte ein Außenstehender meinen, dass die gesamte Versuchsanordnung dem Modell einer Kirche glich.

Der Testversuch konnte beginnen.
Vor unsere Fachgruppe schaltete Professor Marcelloni den Strom zu. Zunächst tat sich noch nichts.
Ich musste den Vorwiderstand langsam verringern. Darauf erzeugte die Induktion heftige Entladungen im Umkreis des Stacheldrahtknäuels, die sich koronal ausbreiteten.
Die Entladungen wurden zwischen den Blechen eingefangen und aufgrund der Wölbung schließlich verwirbelt.
Eine Röhre aus blauen Blitzen hielt sich zwischen den Blechen.
Wir standen da mit offenem Mund und staunten über das, was sich vor unseren Augen abspielte.
Jetzt warf Marcelloni seine Schiebermütze in die Energieröhre, die sich einige Sekunden in deren Inneren hielt, ehe sie plötzlich spurlos verschwand.

Irgendwann schaltete der Professor unsere Versuchsanordnung wieder ab.
"Eins meine Herren haben wir gesehen. Da sich meine Mütze über einige Sekunden im Energiefeld gehalten hat und währenddessen die Zeit weitergelaufen ist, werte ich als Indiz, dass sie in der Vergangenheit verblieben ist."
Einige meiner Kommilitonen schüttelten ungläubig den Kopf. Die These des Professors war ihnen zu weit hergeholt.
So leicht wollten sie sich mit Marcellonis Begründung nicht zufrieden geben.
Doch dann trat der bucklige Hausmeister der Universität in die Halle. In seiner Hand hielt er Marcellonis Schiebermütze.
"Ach Joseph, da ist ja meine Mütze wieder", freute sich der Professor.
"Professor, ich hatte sie gestern Abend nicht mehr angetroffen. Ihre Mütze lag herrenlos auf dem Rasen und ich wollte sie ihnen zurückbringen."
Marcelloni sah mich an und murmelte vor sich hin. "Gestern herrenlos auf dem Rasen! Wirklich gestern?"
Joseph nickte.
Dann sprang der Professor wie ein großer Junge in der Halle umher. "Max, die Zeitmaschine, sie funktioniert."
***Ende***

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Kommentare zu dieser Kurzgeschichte

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geschrieben von Nordlicht am 13.02.2025:
Kommentar gern gelesen.
Das ist eine sehr schöne Geschichte.




geschrieben von lüdel am 13.02.2025:
Kommentar gern gelesen.
Jens, deine Zeitmaschine doch jetzt gelandet, wie wunderbar. lüdel🧚‍♂️




geschrieben von Jens Richter am 14.02.2025:

Hallo Nordlicht, vielen Dank für Deine Bewertung und Deinen Kommentar.

Hallo lüdel, ja es war an der Zeit die Zeitmaschine ankommen zu lassen!
Vielleicht interessieren sich andere Schreiber ebenfalls für das Thema.
Da fällt mir ein, früher lief hin und wieder im DDR-Fernsehen der unterhaltsame Film "Die Reise in die Urzeit". Der passt irgendwie zu dem Thema, denn man weiß ja nicht genau, wo man bei diesen Versuchen landet.

Hallo rubber sole,
Hallo Ernst Paul, besten Dank für Eure Bewertungen.

Viele Grüße von Jens




geschrieben von lüdel am 14.02.2025:

Ja, Jens oder" Zurûck in die Zukunft" mit dem Zeitauto. Die Zeitgeschichte läst einen nicht los. lüdel🧚‍♂️

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