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geschrieben 2017 von Christelle (Christelle).
Veröffentlicht: 11.12.2022. Rubrik: Historisches


Ein Ausflug nach Metz

Am 9. Mai 2022 veröffentlichte ich in diesem Forum einen Bericht über eine Busreise in die Cotswolds mit einem privaten Freundeskreis im Jahr 2014. In dieser Gruppe war es üblich, dass jeden Tag eine andere Person die Erlebnisse eines Tages aufschrieb, so dass am Ende der Reise alle ein Erinnerungheft erhielten.
Meine Geschichte findet ihr unter dem Titel SHAKESPEARE in der Rubrik HISTORISCHES (09.05.2022)


Vom 18. bis 26.06.2017 fuhren wir mit dem gleichen Freundeskreis ins Saarland. Wir wohnten in Saarlouis und erkundeten nicht nur das Saarland, sondern auch Luxemburg und Frankreich. Wieder verfaßten wir Erlebnisberichte.

Mein Berichtvom 22. Juni 2017 handelt von einem Ausflug nach Metz.


Am Morgen des 22. Juni 2017 werden wir von Reiseleiter Manfred am Hotel in Saarlouis abgeholt. Er steigt in unseren Bus und während der Fahrt nach Metz verdeutlicht er die ständig wechselnde Zugehörigkeit des Industriereviers an der Saar zu Frankreich und Deutschland am Beispiel seiner 1883 geborenen Großmutter, die in ihrem Leben fünfmal einen neuen Pass bekam und mit einer neuen Währung umgehen musste.

1. Die Großmutter war deutsch


1871 endete der Deutsch-Französische Krieg damit, dass Frankreich das Saargebiet ans Deutsche Reich abtreten musste. Außerdem fand die Proklamation Wilhelm I. zum deutschen Kaiser statt.

2. Die Großmutter war französisch


1919 wurde der Friedensvertrag von Versailles ausgehandelt. Mit der Unterzeichnung endete völkerrechtlich der 1. Weltkrieg. Teil des Versailler Vertrages war die Gründung des Völkerbunds, einer internationalen Organisation zur Sicherung des Friedens. Das Saargebiet wurde zur Wiedergutmachung der französischen Kriegsschäden vom Deutschen Reich abgetrennt und durch eine vom Völkerbund eingesetzte Regierungskommission verwaltet. Kaiser Wilhelm II. musste abdanken.

3. Die Großmutter war deutsch


1935 fand ein Volksentscheid (Saarabstimmung) statt, in dem sich mehr als 90 % der Saarbevölkerung zu Deutschland bekannte. So kehrte das Saargebiet „heim ins Reich“.

4.Die Großmutter war französisch


Nach 1945 kam das Saarland unter französische Vorherrschaft. Im Rahmen einer Wirtschafts- und Währungsunion mit Frankreich gewährten die Alliierten dem Saarland begrenzte politische Autonomie.

5. Die Großmutter war deutsch


Der völkerrechtlich ungeklärte Status des Saargebietes behinderte die von Bundeskanzler Konrad Adenauer angestrebte Aussöhnung zwischen Frankreich und Deutschland. 1955 vereinbarten daher die Regierungen beider Länder einen europäischen Status für das Saarland, den die Bürger in einer Abstimmung mehrheitlich ablehnten. Die französische Regierung akzeptierte das „Nein“ der Bevölkerung zur Europäisierung des Saarlandes und einigte sich mit Deutschland 1956 im „Saarvertrag“. So konnte Ministerpräsident Hubert Ney am 1.1.1957 den Beitritt des Saarlandes zur Bundesrepublik Deutschland verkünden.


Auf der Fahrt nach Metz kommen wir durch den Ort Felsberg. Manfred weist auf die nahegelegene Kapelle der heiligen Oranna hin. Sie gilt als Schutzheilige Lothringens sowie als Ehestifterin. Die jungen Frauen beten zu ihr wie folgt:

„Heilige Oranna, bescher‘ mir einen Mann!
Keinen Rothaarigen, keinen Säufer, keinen Raufbold will ich haben,
keinen mit einem roten Bart, die sind von keiner guten Art!
Bescher mir einen guten Mann, dass ich lange daran habe!“

Wir passieren Boulay, einen Ort, der berühmt ist für die Herstellung von Macarons, dem typisch französischen Gebäck aus gemahlenen Mandeln, Puderzucker und Eiweiß. Sie waren das Lieblingsdessert von Ludwig XIV.
Manfred erzählt noch einiges über die Unterschiede im deutschen und französischen Sozialsystem; dann erreichen wir Metz, mit ca. 108.000 Einwohnern die Hauptstadt des Départments Moselle, das seit 2016 zur Region Grand Est gehört.

Die Jahre der Zugehörigkeit zum deutschen Reich bis 1918 haben sich von der Architektur her stark auf das Stadtbild ausgewirkt. Bis heute kann man das „deutsche“ vom „französischen“ Metz unterscheiden, da im 2. Weltkrieg nicht viel zerstört wurde. Metz ist Sitz der Militärverwaltung; etliche Kasernen befinden sich hier.

Dass die französische Jugend kein deutsch spricht und umgekehrt die deutsche Jugend kein französisch, hängt wohl mit der wechselvollen Geschichte des Landes und der Angst der Menschen, vom Nachbarn wieder vereinnahmt zu werden, zusammen. Nun aber verbindet die Universitäten Metz und Saarbrücken eine Partnerschaft, in der die 2-Sprachigkeit gepflegt wird.

Wir gehen zum Centre Pompidou-Metz, das 2010 eröffnet wurde und alle Formen zeitgenössischer Kunst zeigen soll. Es besitzt eine geschwungene Dachkonstruktion aus Holz, über die eine weiße wasserdichte Membrane gespannt ist.

Nicht weit von hier befindet sich der 110 Jahre alte Bahnhof, der während der Regentschaft von Wilhelm II. erbaut wurde. Er hat ein gewaltiges Hauptgebäude mit einer 300 m langen Halle, die ursprünglich auch aus militärischer Sicht so überdimensioniert war. Er ist mit reichhaltigen Verzierungen, Flachreliefs und Skulpturen ausgestattet, die Manfred mit wahrer Inbrunst beschreibt. Sie stellen meist die Themen Abschied oder Begrüßung dar. Wir gehen die Stufen zu einem Bahnsteig hoch, um den alten Kaiser-Saal zu sehen. Doch der ist geschlossen, so dass sich Manfred auf die Beschreibung seines Eingangsbereichs beschränken muss.
Die Außenfassade des Bahnhofs mit ihren Türmen und Türmchen, gewölbten Fenstern aus Buntglas und Steinsoldaten an jeder Ecke erinnert eher an eine Kathedrale. Das Gebäude wird vom 40 m hohen Uhrenturm überragt. Dort befand sich auf Wunsch Wilhelms II. eine Roland- Statue, wie sie in unterschiedlichen Ausführungen deutsche Freie Reichsstädte im Mittelalter schmückten. Doch die wechselvolle Geschichte der Stadt führte dazu, dass Kopf und Wappen öfter ausgetauscht wurden, je nachdem ob Metz gerade deutsch oder französisch war. Nach dem Zweiten Weltkrieg erhielt die Statue den derzeitigen Kopf eines grimmigen Kriegers.
Am prachtvollen Haupteingang befindet sich eine Skulptur des Drachen Graoully. Die Legende erzählt, dass dieser von Saint Clément, Bischof von Metz um 280, bezwungen wurde.

Unser nächstes Ziel ist das Moselufer mit der Vauban’schen Befestigungsmauer. Vauban war ein französischer General und Festungsbaumeister unter Ludwig XIV. Von hier aus ist es nicht weit zum Temple Neuf, einer evangelischen Kirche. Wir kommen auch an der Oper und dem Theater vorbei.

Da wir heute mit 37 Grad einen der heißesten Sommertage haben, sind wir von den vielen neuen Eindrücken, die wir uns im Wesentlichen zu Fuß verschafft haben, total erschöpft. Manfred in seinem Elan möchte uns noch den Marché couvert und die Kathedrale Saint- Étienne zeigen. Der Kompromiss besteht darin, dass wir die Markthalle kurz durchqueren, um zur nahegelegenen Kathedrale zu gelangen. Dabei entpuppt sich der Marché mit seinen verschiedenen Frischeprodukten, besonderen Delikatessen und ungewöhnlichen Fleisch- und Fischsorten als Paradies für Gourmets. Schade, dass wir nur durchmarschieren, hier hätte man länger bleiben können, um sich wie „Gott in Frankreich“ zu fühlen.

Dann folgt der Besuch der Kathedrale: Sie gilt als eine der schönsten gotischen Kirchenbauwerke Frankreichs. Allein die Glasmalereien haben eine Fläche von 6.500 qm. Einige Glasfenster wurden im letzten Jahrhundert von Marc Chagall entworfen und eingebaut, die Sakramentskapelle ist mit Fenstern von Jaques Villon ausgestattet.

Als wir wieder in den Bus einsteigen, ist das Besichtigungsprogramm noch nicht beendet. Wir fahren nach Amnéville. Der Ort verfügt über ein geschichtliches Museum, das über das Schicksal von Zwangsrekrutierten im Zweiten Weltkrieg informiert. Im Zuge ihrer Germanisierungspolitik zwangen die Nazis 130.000 Elsässer und Moselfranzosen zum Kriegsdienst. Diese nannten sich Malgré-Nous (wider unseren Willen). 40.000 starben im Zweiten Weltkrieg oder blieben vermisst.
Dieser Programmpunkt war ein absolutes Muss - trotz unserer Erschöpfung.

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Kommentare zu dieser Kurzgeschichte

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geschrieben von ehemaliges Mitglied am 12.12.2022:
Kommentar gern gelesen.
Deine Beschreibungen eurer Reisen lese ich sehr gerne, Christelle: z.B. Ungarn, und natürlich unser beinahe "gemeinsames" Erlebnis bei Shakespeare in Stratford. Nun Metz. Da hast du dir aber auch eine Perle herausgepickt. Die Lorraine bedeutet für viele Frankreichbesucher lediglich Durchreise - zu grenznah und meist nur im Doppelpack als Elsass-Lothringen erwähnt. Aber die Kathedrale von Metz! Wer sich für Gotik begeistern kann, für den ist diese ein Muss. Allein die Glasbilder von Chagall sind eine Reise wert. Dass Metz auch für europäische Geschichte steht, sollte unvergessen bleiben. Und dann noch 'Quiche Lorraine' als kulinarisches Zugabe aus der Region.




geschrieben von Christelle am 12.12.2022:

Hallo Horst, herzlichen Dank für deinen netten Kommentar. Es freut mich sehr, dass du meine Reiseberichte gerne liest. Vor vielen Jahren fuhren wir mit dem Fahrrad die Mosel entlang bis nach Frankreich und kamen dann in das touristisch wenig erschlossene Lothringen. Es war damals sehr schwierig, spontan ein Hotelzimmer zu finden. Die in unserem Radführer gelisteten Hotels hatten oft gerade Betriebsferien, es sah oft so aus, als wäre es ein Dauerzustand. Die Menschen waren sehr hilfsbereit. Einige Erlebnisse wären es wert, aufgeschrieben zu werden. Welch ein Unterschied zum touristischen Elsass, wo ich in einem Lokal in mühsamen Französisch eine Frage stellte und auf deutsch die Antwort erhielt. Wir waren damals auch in Metz, wo wir kein Problem hatten, ein Zimmer zu finden. Aber viel intensiver habe ich die Stadt auf unserer Busreise erlebt.




geschrieben von Gari Helwer am 12.12.2022:
Kommentar gern gelesen.
Auch ich lese Deine Reisebeschreibungen sehr gerne, Christelle! Die wechselnde Staatsangehörigkeit der Großmutter liest sich lustig, zeigt sie aber als "Opfer" der Politik... Die Glasfenster von Marc Chagall in der Kathedrale würde ich auch gern einmal betrachten! Viele Grüße an Dich!

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