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geschrieben 2025 von Dan Prescot (Dan Prescot).
Veröffentlicht: 28.01.2025. Rubrik: Fantastisches


Materie 13 -Lysanne-

Der Weg, den ich entlanggehe, ist mir seltsam vertraut. Die Pflanzen, die sich entlang der Wegstrecke emporrecken, leuchten in unglaublich gesunden, lebendigen Farben. Mein Gang ist leicht und in erwartungsvoller Freude. Warum kann ich nicht sagen, nur dass ich glücklich bin. Als sich linker Hand eine weitläufige Rasenfläche auftut, erkenne ich den Grugapark. Kein bisschen überraschend, sitzt dort auf einer Picknickdecke Adrian und ist in ein Buch vertieft. Über den Rasen verteilt liegen und sitzen viele Menschen in Grüppchen auf Decken. Die Szene ist so friedlich und unbeschreiblich lebendig, erhebend, dass sie sich tief in meine Erinnerung eingräbt. Als er aufblickt und mich erkennt, legt er das Buch beiseite und winkt mir zu. Trotz der Entfernung kann ich die Worte temet nosce lesen. Lächelnd gehe ich auf ihn zu.
Aus dem Nichts kommt ein kleines Mädchen mit langen Locken und einem hellbunten, knielangen Kleidchen gelaufen und wirft sich in Adrians Armen. Er herzt sie, um sie dann über seinen Kopf zu heben. Beide jauchzen vor Vergnügen. Fast bin ich heran, als sich das Mädchen aus seinen Armen windet und sich zwischen uns stellt. Adrian erhebt sich und tritt hinter ihr, legt seine Hände auf ihren Schultern. Das Kind schaut erwartungsvoll zu mir auf. Er lächelt mir zu. Obwohl sich seine Lippen nicht bewegen, glaube ich das Wort „Lysanne“ zu vernehmen. In die Hocke gehend, nehme ich das Gesicht des Kindes in meine Hände.
„Lysanne“
Als ich den Namen wiederhole und den Klang auf meiner Zunge schmecke, durchströmt mich Liebe und Zuneigung.
In dem Augenblick, wo ich das akzeptiere, blendet ein Lichtblitz mit ohrenbetäubenden Donner meine Wahrnehmung, die Szene verschwindet. Das Kind ist nun eine Jugendliche in schmutzigen Bluejeans und T-Shirt. Meine Hände halten noch immer ihr Gesicht, dass mich hochkonzentriert anblickt. Dann dreht sie sich zu einem jungen Mann, der aus vielen Wunden blutend am Boden liegt. Der Hintergrund wirkt kränklich. Die Menschen sind weg. Die Pflanzen sind welk und staubig. Das leuchtende Grün ist blassen Farben und Grau gewichen. Auch Adrian ist verschwunden. Das Buch liegt noch auf der staubigen Decke. Nun erkenne ich die Worte tertia mundus bellum.
Sie kniet sich neben den Jungen und mit ruhigen, behutsamen Gesten streicht sie über die Verletzungen des Jungen, die sich langsam unter ihrer Berührung schließen.

*

Von meinem eigenen entsetzten Schrei, fahre ich aus dem Schlaf auf. Das Kissen ist schon von meinen Tränen benetzt und ich kann nicht aufhören zu weinen. Lautlos schreie ich mein Entsetzen in die Dunkelheit. Der Nachhall des Schrecken ist grenzenlos. In meinem Hinterkopf lauert die Gewissheit, das viel mehr in der Szene verborgen ist, als ich sehen konnte.
Das Licht im Zimmer flammt stechend in meinen Augen auf. Nur entfernt bekomme ich mit, dass Mom und Didi versuchen mich zu trösten. Doch die entsetzlichen Klauen des Alp entlassen mich einfach nicht aus ihren Fängen.
Schließlich flößt Mom mir etwas Wasser ein. Mit jedem Schluck komme ich der Wirklichkeit näher. Doch ich weiß, dass sich der Alptraum nur unter die Oberfläche des Unbewussten zurückzieht und dort lauert.
„Jules, was bewegt dich nur, dass du derartige Alpträume hast? Es ist doch alles in Ordnung, nicht wahr“
„Mom, nicht. Lass sie.“
Langsam setzt mein Verstand wieder ein. Didi scheint der Schreck unserer letzten Auseinandersetzung noch in den Knochen zu stecken, so wie sie mich versucht zu schützen.
„Ist es wegen Adrian? Ich dachte, es wäre wieder alles gut?“
Schluchzend nicke ich. Erstaunlicher Weise ist es Didi, die mich in den Arm nimmt und beruhigend meinen Rücken streichelt.
Wie soll ich ihnen das eben durchlebte Grauen verständlich machen? Das Wissen um die Bedeutung?

Fortsetzung folgt...

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