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3xhab ich gern gelesen
geschrieben von Federteufel.
Veröffentlicht: 19.04.2025. Rubrik: Unsortiert


Szenen aus Dölendorf 3

„Oma, spielst du mit mir Mensch-Ärgere-Dich-Nicht?“
Martha saß vor dem Fernseher und guckte Sportschau, neben sich ein halbvolles Cognacglas. Jedesmal, wenn ihr Favorit ein Tor einstecken musste, genehmigte sie sich einen Spatzenschluck. Gerade kassierte der FC-St. Pauli seine dritte Torniederlage an diesem Abend. –
Der Tag war noch nicht bestimmt, an dem Martha ihrem Lieblingsenkelkind einen Wunsch ausschlagen würde. Sie nickte, und schon knallte Sven das Kästchen mit dem Spielfeld, den lustigen Spielsteinen und den Würfeln auf den Tisch. Martha drückte den Fernseher leiser und setzte sich zu ihm. Das Spiel begann. Sven würfelte, der Würfel landete unter dem Tisch. Sven tauchte ab und krähte: „Eine Sechs!“
„Nichts da“, sagte Martha, „nur was auf dem Tisch liegt, gilt.“ Sven zog ein Gesicht und würfelte eine Eins. „Jaja, ich weiß“, murmelte er, „ehrlich bleibt am längsten arm.“
Das Spiel nahm seinen Lauf. Sven hatte bald alle Steine auf dem Feld und setzte nach dem Zufallsprinzip, während Martha auf Strategie spielte. Im Fernseher fiel das nächste Tor.
„Sag mal, Oma, magst du Fußball eigentlich gern?“, fragte Sven nach einer Weile.
„Nein, nicht sehr.“
„Warum guckst du´s dann?“
„Ach, nur so.“ Zack! Omas Stein, ein winziges buntes Äffchen, flog kurz vor der Zielgeraden raus.
„Ich seh nur das, was ich mag“, sagte Sven, „ und was meine Schwestern sehen, mag ich sowieso nicht. Und was ich nicht mag, guck ich einfach nicht.“
„Und was magst du so?“, fragte Martha, obwohl sie es schon wusste.
„Oooch . . .“
„He, Freundchen, wieso hast du schon einen Stein im Ziel? Du bist doch noch gar keine Runde gedreht, du Schlingel!“
Ohne mit der Wimper zu zucken zog Sven den Setzstein, einen Miniatur-Strandkorb, wieder zurück aufs Spielfeld. Inzwischen eilte Martha mit einem neuen Stein in Richtung Zielgerade, Sven hinterher. Leider würfelte er mehrmals die Eins, der Abstand wurde immer größer. Im Fernseher tobten die Fans, Martha blickte kurz hin. Diese Sekunde scheinbarer Unaufmerksamkeit nutzte er, um eine Sechs hervorzuzaubern. Er blickte Martha treuherzig an: „Oma, eine Sechs!“
Natürlich hatte Martha aus den Augenwinkeln mitbekommen, dass Sven nicht gewürfelt, sondern gelegt hatte. „Du schummelst schon wieder, kleiner Deuker (Teufelchen)“, sagte sie. „Lass das mal, hörst du?“
Svens Unschuldsmiene verstärkte sich: Ein Gesicht wie Milch und Honig, mit Augen, blitzblau und unergründlich wie tiefe Bergseen. „Aber Oma“, sagte er, „ich schummle nicht. Ehrlich währt doch am längsten.“
Das war ein reines Lippenbekenntnis. Sven war nämlich verflixt gut im Erfassen von Abständen. Während Martha immer noch die Felder abzählte, sprang Sven einfach vor. Natürlich blieb es da nicht aus, dass er dabei gelegentlich zu weit oder zu kurz sprang, je nachdem, was die Situation erforderte. Und so flog Oma zum zweiten Mal raus. „Mama!“, rief er, „Oma ist schon wieder rausgeflogen!“ Anja, die in der Küche werkelte, rief zurück: „Soso!“
Aber Oma war auch nicht auf den Kopf gefallen. Sie errichtete eine Barriere aus drei Steinen hintereinander, mit der sie Svens Weg ins Ziel verhindern wollte. Zunächst hatte Sven Glück: Drei Sechser hintereinander. So war er in der Lage, hinter der Barriere aufzumarschieren und auf eine günstige Augenzahl zu warten. Dummerweise blickte ihm Martha jetzt genau auf dir Finger. Wieder eine Sechs. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als vor die Barriere zu rücken. Oma warf eine Drei : „Passt!“ Kurz darauf waren Svens Steine wieder in Warteposition versammelt. Er verzog die Nase, sagte aber nichts. Legte seinen Kopf in den Ellenbogen und wartete lustlos auf die nächste Einsatz-Sechs.
Martha war hingerissen. Sie bewunderte Sven, seine stoische Ruhe, mit der er auch große Verluste wegsteckte. Als sie selbst in seinem Alter gewesen war, hatte sie grottenschlecht verlieren können. Besonders das Mensch-Ärgere-Dich-Nicht war damals für sie ein rotes Tuch gewesen. Ein paarmal war es vorgekommen, dass sie das Spiel wutentbrannt vom Tisch fegte, woraufhin es gewaltigen Ärger gab. Seitdem hatte sie das Spiel mehr als ein halbes Menschenleben nicht angerührt. In der Landwirtschaft, auch nicht im Nebenerwerb, ist für solche Nichtigkeiten keine Zeit, und ihre Kinder hatten kein Interesse an dem Spiel gezeigt. Erst als Sven mit dem Spielekasten ankam und sie treuherzig anblickte war sie weich geworden. Wie gesagt, die Stunde war noch nicht bestimmt, zu der sie ihrem Liebling einen Wunsch abschlagen konnte.
Doch mit ihrer Bewunderung stand sie ziemlich alleine da. Den Onkel Sebi hatte Sven mit seiner Trickserei schon vergrätzt. Der war eine grundehrliche Haut und verabscheute alles Ungenaue und Zweideutige. Stephanie wollte sich nicht ständig übers Ohr hauen lassen, und Mama hatte keine Zeit. Blieb noch der Opa Udo. Ja der . . .
Der ärgerte sich so herrlich, wenn er kurz vor dem Ziel herausflog. Grrr, machte er und zog die Stirn kraus, hä, was ist das denn? Das ist doch nicht die Möglichkeit, brummte er, na warte, du Hosenpuper, du Schlingel, dich krieg ich auch noch. Köstlich! Svens helles Kinderlachen erfüllte die Luft, wehte zum Fenster hinaus . . . einem zufällig vorbeikommenden Fußgänger um die Ohren . . . Ha, denkt der, noch ist die Welt nicht verloren . . . Er weiß ja nicht, dass dieses Lachen Ausdruck reinster Schadenfreude ist . . .
Gerade brachte Martha ihren vierten Stein vor die Zielgerade, auch Sven war wieder im Spiel, allerdings ohne die geringste Aussicht, noch zu gewinnen. Trotzdem würfelte er eifrig weiter. Gewinnen? Darum ging es ihm nicht. Es ging ihm darum, möglichst viele Steine der Erwachsenen vom Brett zu pfeffern, dieser seltsamen Wesen, die freiwillig Dinge taten, die sie nicht mochten. Wie Papa, der jetzt irgendwo schwer schuftete, obwohl er mehrmals gestöhnt hatte: Dieser Job bringt mich noch um.
Das Spiel ist aus, Oma hat gewonnen. Sven dreht das Brett herum und ruft: „Revanche!“

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Kommentare zu dieser Kurzgeschichte

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geschrieben von Babuschka am 19.04.2025:

Meine Großeltern haben mit Begeisterung Mensch-ärgere-dich-nicht gespielt, jeden Tag. Aber das war noch zu einer Zeit, in der es abends keinen Fernseher gab. Schummeln war nicht erlaubt.
LG Babuschka




geschrieben von Sandra Z. am 20.04.2025:

Hallo Federteufel,
da hast du aber einen wunden Punkt bei mir getroffen! Auch für mich war das "Mensch ärgere dich nicht" ein rotes Tuch. Unsere Eltern hatten für diese "unproduktive" Beschäftigung so gar nichts übrig, und ich kann mich nur an zwei Gelegenheiten erinnern, wo wir alle zusammen an einem Tisch saßen und "gespielt" haben. Für mich ein Fiasko, weil ich nicht nachvollziehen konnte, warum mein Vater seine "kleine Prinzessin" so rücksichtslos behandelte. Ich habe auch nie gelernt, ein "guter Verlierer" zu sein und bin zeitlebens jedem Wettbewerb aus dem Weg gegangen (wenn möglich). Erst mit meinen Enkelinnen kann ich die Sache wieder etwas entspannter angehen.
Viele Grüße, Sandra

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