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geschrieben von Bad Letters.
Veröffentlicht: 12.04.2025. Rubrik: Aktionen


Das Märchen vom fleißigen Handwerker

In sich gekehrt schlenderte er durch das Neubaugebiet, überprüfte zum X-ten Mal die Uhrzeit. Konnte es wirklich sein? 16:00 Uhr und kein Hammer klopfte mehr rhythmisch zum Gesang der Kreissäge. In seiner Kindheit wurde oft so lange auf Baustellen gearbeitet, bis die Sonne unterging, danach noch zufrieden ein Bier im Kreise der Kollegen zusammen getrunken.

Es wurde noch überwiegend deutsch gesprochen, das man beim gemütlichen Feierabendbier versuchte, den Gastarbeitern weiter beizubringen. Heute sind die Deutschen die Gastarbeiter auf den Baustellen und es ist kaum mehr möglich herauszuhören, welche Nation sprachlich überwiegt.

Er erinnerte sich an das Gespräch mit seinem Freund, dem Schreinermeister, der ihm sein Leid auf einer Geburtstagsfeier klagte. Nicht einen, seiner letzten 3 Lehrlinge konnte er in seinem Betrieb halten.

Der eine brauchte nach seiner Gesellen-Prüfung erst einmal eine Auszeit, war er doch tatsächlich davon überzeugt, bereits etwas Großartiges in seinem noch so jungen Leben geleistet zu haben. Der zweite wollte nur bleiben, bei einer Aussicht auf eine 3 Tage Woche mit einer unverschämten Lohnforderung und dem dritten fiel plötzlich ein, dass der Beruf auf Dauer doch nichts für ihn wäre, und er würde lieber noch studieren.


Dabei war er bei weitem der talentierteste von den dreien. Den Traum meines Freundes, das einmal einer seiner Gesellen den mit Mühsam, allerlei Entbehrungen und viel Herzblut aufgebauten Betrieb übernahm, lag nicht längst in Scherben, sondern war geradezu pulverisiert worden.

Was war nur los mit den Menschen in Deutschland, war viel zu Arbeiten früher doch eine Selbstverständlichkeit aber jetzt? Sicher hätte er in seinem Berufsleben auch gerne von einer 35 Stunden Woche profitiert. Von einer 4 Tage Woche geträumt, aber wo diese Entwicklungen des immer weniger Tuns inzwischen hinführten, war einfach nicht mehr zu übersehen. Alles überalterte langsam, zerfiel in diesem Land, wenn man einmal von den protzigen Bauten der Konzerne absah.

Kurz blieb er stehen, sprach etwa der Neid aus ihm? Musste er doch weit mehr in seinem Leben arbeiten als viele andere, nicht selten, bis zur völligen Erschöpfung. Leben, um zu arbeiten oder arbeiten, um zu leben? Wo lag das gesunde Mittelmaß für eine Gesellschaft?

Nein, er wusste es nicht wirklich, vielleicht ahnte er es noch nicht einmal, war das Zusammenspiel in einer Gesellschaft doch sehr komplex, überragte seinen Erkenntnis-Horizont bei weitem. Nur eines wusste er, das, was er sah, missfiel ihm immer mehr im Laufe der Jahre.

In seinen Augen gab es eine riesige Diskrepanz zwischen dem, wie die Gesellschaft in Deutschland ihre Leistungen darstellte und was sie tatsächlich leistete. Seine Großeltern würden sich wohl vor Scham im Grabe rumdrehen, wenn sie noch miterleben müssten, wie von seiner, und den ihm folgenden Generationen, die Leistungen ihrer Hände Arbeit in großen Ausmaßen verwahrlosten.

War die Weltanschauung vom fleißigen Deutschen inzwischen zu einem Märchen verkommen? Grübelnd ging er weiter und als er in die nächste Seitenstraße einbog, sah er sie, diese kleine Familie, wo selbst die Kinder schon mit Schubkarre und Schaufel auf der Baustelle ihres zukünftigen Eigenheimes unterwegs waren.

Es gab sie also noch, die fleißigen, die anzupacken und etwas aufzubauen wussten, und mit ihnen fasste er neuen Mut für die Zukunft in diesem Land.

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Kommentare zu dieser Kurzgeschichte

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geschrieben von Babuschka am 12.04.2025:
Kommentar gern gelesen.
Na, dann hoffe ich mal, dass es die fleißigen Handwerker heutzutage nicht nur im Märchen gibt. Grandios erzählt, das Drama von einem, der in seinem Leben rechtschaffen viel gearbeitet hat. Gern gelesen.
LG Babuschka




geschrieben von Bad Letters am 12.04.2025:

Dankeschön Babuschka, ja, noch gibt es sie, die fleißigen Handwerker, aber wenn der Nachwuchs sich immer mehr der harten körperlichen Arbeit verweigert, wird es irgendwann schwierig. Mein Freund verliert jedenfalls immer mehr die Lust noch Auszubildende anzunehmen.

MfG
Bad Letters




geschrieben von Babuschka am 12.04.2025:
Kommentar gern gelesen.
Ja, er hat aber auch kein Glück gehabt, dein Freund, der Schreinermeister. Vielleicht ist es wie im Märchen "Tischlein deck dich" und er wird doch noch reichlich belohnt. Ich wünsche es ihm.
LG Babuschka




geschrieben von Bad Letters am 12.04.2025:

Das wünsche ich ihm auch Babuschka! Ich habe ihn mal auf einer Ausbildungs-Messe besucht, dass es so etwas überhaupt gibt. Ich sage dir, da tun sich Abgründe auf, was viele junge Menschen für eine naive Vorstellung von ihrem zukünftigen Arbeitsleben haben. Erschreckend!

MfG
Bad Letters





geschrieben von HanaLores am 12.04.2025:
Kommentar gern gelesen.

Das Handwerk verkommt leider immer mehr zur Konsumware und damit geht vieles vom guten Ruf verloren. Es stehen nur noch Effizienz und Finanzierbarkeit im Vordergrund, dazu noch der auferlegte Zwang so viel Geld wie möglich verdienen zu müssen. Das ist wahrlich ein gesellschaftliches Systemproblem. Das eigentliche Dilemma ist doch: Obwohl viele Menschen die Missstände erkennen, klar benennen, ja sogar Lösungen dafür entwickeln, bleiben die herrschenden Kapitalstrukturen unerbittlich.
Die Baustellen mit geselligen Runden nach Feierabend gibt es übrigens noch, zumindest in ländlichen Gegenden bei Zimmerleuten zu denen ich mich zählen darf :)
Schön, dass du dieses Thema ansprichst.
Liebe Grüße
Hana





geschrieben von Jens Richter am 12.04.2025:
Kommentar gern gelesen.
Hallo BadLetters,
frag Dich auch mal wie Handwerker teilweise von den Kunden behandelt werden. Das ist oft grenzwertig, das spricht sich unter jungen Leuten schnell rum.
Es ist auch oft so, dass zwischen Lehrling und Ausbilder/ Meister die Chemie nicht stimmt.
Außerdem wollen nicht wenige Lehrlinge erstmal nur den Beruf lernen, um später, nach erfolgreichem Abschluss bei der Traumfirma einzusteigen.
Und leider, leider tut sich bei gleicher Ausbildung immer noch ein immenser Lohnunterschied zwischen Industrie und Handwerk auf. Von der Wochenarbeitszeit mal abgesehen.
In dem Sinne, viele Grüße von Jens




geschrieben von Bad Letters am 13.04.2025:

Es ist wirklich ein Dilemma Hana, das viel Probleme erkannt und Lösungen bereitgestellt werden, aber der Gesellschaft es nicht schafft, diese umzusetzen, weil sich am Ende wieder jeder selbst der nächste ist. Ein gutes Beispiel sind die Grünen, wurden sie doch in die Ampel gewählt, weil viele in der Gesellschaft erkannt hatten, das mehr für den Umweltschutz getan werden muss. Aber als ihre Wähler dann begriffen, dass es ihr Geld kostet, um diese Pläne auch umzusetzen, sind sie wieder reihenweis abgewandert, weil sie zwar Umweltschutz haben ihn aber nicht bezahlen wollen. Danke!

Diese Missstände Jens, gelten jetzt aber nicht nur für das Handwerk, die wird man wohl überall feststellen. Es scheint ein systemisches Gesellschaftliches Problem zu sein. Danke!

MfG
Bad Letters





geschrieben von rubber sole am 13.04.2025:
Kommentar gern gelesen.
>Bad Letters:

Hallo Bad,
... behandelt das Thema durchaus märchenhaft, Bad, da kann ich zustimmen. Mir gefällt allerdings die Formulierung 'Deutsche sind
Gastarbeiter' nicht - klingt sehr nach einem polemischen Märchen. Ansonsten gerne gelesen.
lgrs




geschrieben von Bad Letters am 13.04.2025:

Die Kritik ist sicher nicht ganz unberechtigt rubber, aber ich hoffte, das es im Kontext des Textes richtig einzuordnen ist. Besonders, für diejenigen, die mich regelmäßigen lesen. Es ist inzwischen auch wirklich schwierig geworden, etwas zu formulieren, ohne Gefahr zu laufen, direkt in eine Ecke geschoben zu werden, in die man eigentlich nicht hineingehört. Wurde früher eindeutig zu wenig über diskriminierende Formulierungen nachgedacht, wird heutzutage geradezu eine Hexenjagt betrieben. Ein extrem, durch ein anderers zu ersetzen, bringt uns in der Sache wohl nicht weiter, obwohl ich mir da noch etwas unschlüssig bin.
Danke!

MfG
Bad Letters

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