Veröffentlicht: 06.04.2025. Rubrik: Menschliches
Sternenverdeutung
Gebannt schaute er auf den Bildschirm, raufte sich die Haare, kaute an dem letzten Rest Fingernagel, der von seinen Zähnen bisher verschont blieb. Nervös tänzelte er seit Stunden, von einem Bein auf das andere, und wartete.
Wartete, dass endlich die Ergebnisse seiner Anfrage auf dem Bildschirm erschienen. Er hatte lange gezögert die Anfrage überhaupt in Auftrag zu geben, schließlich könnten die Ergebnisse sein Weltbild ins Wanken bringen.
Eine neue E-Mail ging ein, aber der Absender war nicht der erhoffte, ein flüchtiger Fluch flog über seine Lippen und seine Nervosität wurde kurz von Wut überschrieben. Wie lange würde es denn noch dauern, schließlich wurden ihm die Ergebnisse doch bereits vor Stunden zugesagt.
Obwohl er inzwischen wusste, dass eine neue Beschwerdemail, wie auch alle davor, unbeantwortet bleiben würde, verfasste er eine weitere. Was bildete sich das Institut nur ein, ihn so lange auf die Folter zu spannen, immerhin hatte er im Voraus gezahlt und Express dazugebucht, für einen Zuschlag, der Wucher bestens abbildete.
Dabei hatte sein Tageshoroskop ihm doch heute Morgen vorhergesagt, das sein Tag von neuen Erkenntnissen geprägt wird und er befreit in die Zukunft schauen kann. Jetzt war der Tag fast vorüber und von neuen Erkenntnissen noch keine Spur. Außer vielleicht der Erkenntnis, das Fingernägel kauen, nicht wirklich satt macht.
Er wechselte erneut sein Standbein und versuchte sich etwas zu beruhigen als plötzlich, das Pling für eine neue eingegangene, E-Mail ertönte. Endlich, der Absender stimmte auf den ersten Blick. Hoffentlich war es jetzt keine Antwort auf seine Beschwerden, sondern seine lang ersehnten Ergebnisse.
Gebannt drückte er den öffnen Button der E-Mail und tatsächlich wurde ihm schnell gewahr, dass das Warten endlich ein Ende hatte.
Sehr geehrter Herr Naiv
wir entschuldigen uns für ihre lange Wartezeit, aber wir wollten uns ganz sicher sein, dass die von Ihnen Angefragten Informationen, von uns auch guten Gewissens, geprüft und weitergegeben werden können.
Es ist nicht zu vernachlässigen, dass in denen von Ihnen angeforderten Informationen eine gewisse Brisanz liegt. Dementsprechend haben wir dreimal unabhängig gegengeprüft.
Laut den aktuellen Daten des James Web Teleskopes, die uns zur Verfügung gestellt wurden, und den von unseren Spezialisten durchgeführten Berechnungen, liegt die Wahrscheinlichkeit bei ca. 99,93%, mit einer zu veranschlagenden Toleranz von 0,03%, das die von Ihnen angefragten Sternbilder in der Realität längst nicht mehr existieren.
Dementsprechend ist festzustellen, dass die von der Erde aus zu sehenden Sternbilder, zu einem Teil, nur noch Restlichter längst verglühter Sterne sind. Wir haben Ihnen zur Veranschaulichung eine Skizze angefertigt, der Sie entnehmen können, seit wann welcher Stern laut unseren Berechnungen bereits verglühte und wie die Sternbilder aussehen würden, wenn uns kein Restlicht der erloschenen Sterne mehr erreichen würde.
Anhand unserer Ergebnisse könnte man als Fazit feststellen, dass sämtliche Aussagen der Astrologie auf einer Datenbasis stattfanden, die wir heute sicher widerlegen können. Von daher sollte sich also niemand mehr wundern, das Horoskop-Vorhersagen mehr einer Lotterie, als wissenschaftlich belegbaren Aussagen ähneln.
Dann könnte man ersatzweise auch mit an und ausknipsen einer Taschenlampe ein Horoskop erstellen. Uns ist bewusst, dass wir mit dieser Tatsache, einer ganzen Industrie den Boden ihrer Existenz entziehen, aber wollen wir als Menschen den wirklich bis in alle Ewigkeit jedem Hokuspokus Einlass gewähren?
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