Veröffentlicht: 11.04.2025. Rubrik: Unsortiert
Rückwärtsfliegen
Da hatte ich was gesagt, in diesem mir überflüssig erscheinenden Psycho-Seminar für angehende Führungskräfte, als ich in illustrer interaktiver Runde auf die Frage, welches Tier ich gerne wäre, antwortete: „Schmetterling“. Gelächter unter den Teilnehmern. Einzig die moderierende Seminarleiterin nahm meine Frage offensichtlich ernst und stieg in eine Erörterung ein, was mich derart verblüffte, dass ich in dieser Veranstaltungsrunde nun weniger gegen den Schlaf ankämpfen musste – mir machten die Nachwirkungen einer vorangegangenen Party-Nacht noch zu schaffen. Als die Psychologin weiter von mir wissen wollte, ob mich eine besondere Eigenschaft an dem von mir genannten Tier ansprechen würde, erwiderte ich, ohne Rücksicht auf Folgen für meine Karriere: „Ja, Schmetterlinge können nicht rückwärts fliegen.“ Und die Kursleiterin fand hier zu meiner Verwunderung einen Einstieg in eine seriöse Behandlung des Themas – die restlichen Teilnehmer stoppten ihr aufkeimendes Gelächter und lauschten aufmerksam uns beiden.
Da die Kunde von Fluginsekten nicht zu meiner Kernkompetenz gehört, kam ich der Aufforderung, meine Aussage näher zu erläutern, zunächst nur stockend nach. Ich verschwurbelte mich in diffusen Bildbeschreibungen und mangels biologischer Fachkenntnisse konstruierte ich einen eher philosophischen Zusammenhang, der so akzeptiert wurde. Ich flüchtete mich in meiner Erklärungsnot in eine Metapher für das Leben als solches. Die Unfähigkeit von Schmetterlingen, rückwärts zu fliegen, käme wohl aus einem ständigen Zustand des Fließens heraus, immer nach vorne gerichtet, und steht für Veränderung und Vergänglichkeit. Die Reise von der Raupe zum fliegenden Insekt wäre eine kontinuierliche Bewegung, und deckt sich mit dem Prozess des Lebens und des Wachsens mit anhaltender Veränderung und Vergänglichkeit. Nun kam ich in Fahrt, die Veranstaltung begann mir allmählich Vergnügen zu bereiten, und ich fabulierte weiter: „Schmetterlinge können nur vorwärts fliegen, weil sie, genau wie wir Menschen, nach vorne streben, unabhängig davon, was hinter ihnen liegt. Rückwärtsfliegen wäre dagegen eine Rückkehr in einen noch nicht lebendigen Zustand, und würde bedeuten, den Fluss der Zeit anhalten zu können.“ Ob diese hochqualifizierte Psychologin dieses pseudo-philosophische Wortgeklingel akzeptieren würde, einfach so? Doch sie besaß Langmut, und sie ließ sich poetisch darauf ein, indem sie ausführte, dass der Schmetterling im Wind fliegt, ohne zu wissen, dass der Wind ihn trägt. Er lebt im Moment und fliegt stets in die Sonne, ohne an die Dunkelheit zu denken. Und der poetische Höhenpflug ging weiter. Sie fuhr fort, der Schmetterling lebt in diesem Zustand und sucht das Sonnenlicht, nach vorne gerichtet, die Dunkelheit hinter sich nimmt er nicht wahr. So fliegt er vorwärts, denn das Leben hat keine Rückkehr – und so, wie der Schmetterling in seinem Flug niemals zurückschaut, so fliegt auch die Zeit immer nur vorwärts.
Das gefiel mir, ich gab mir mit meiner Erwiderung richtig Mühe, indem ich den Gedanken weiter spann: „In solch einer Betrachtung könnte man durchaus den Schmetterling als ein Symbol für den Tanz des Lebens selbst sehen. Ein Leben, das unaufhaltsam nach vorne strebt. Die Unfähigkeit des Schmetterlings zum Rückwärtsfliegen könnte uns Menschen zu der Erkenntnis führen, die Schönheit des Daseins läge eben im Vorwärtsstreben“. Damit hatte ich im Saal viel Aufmerksamkeit erregt, bei der psychologischen Fachfrau sowieso.
An diese Episode denke ich immer gerne zurück, wenn ich als Personalentwickler im Dienst eines Fernsehsenders kreative Perspektiven von angehenden Führungskräften zu bewerten habe.

