Veröffentlicht: 04.01.2025. Rubrik: Kinder und Jugend
Winter
In meiner Kindheit unterschieden sich die Jahreszeiten viel klarer, als heute .
Besonders der Winter machte seinem Namen noch alle Ehren. An einfach verglasten Fenstern wucherten filigrane Eisblumen an der Innenseite der Scheiben und schufen so einen Ausgleich zu der fehlenden Flora in der dunklen Jahreszeit. Dunkel wurde es in den Räumen, wenn die Eiskristalle von unten nach oben kletterten, an Dicke zunahmen und am Ende das komplette Fenster bedeckten. Für eine wohlige Wärme in den Stuben sorgte das brennende Feuer in den alten Holzöfen.
Die dünne Reifschicht, die die karge Natur bei Wintereinbruch bedeckte, musste schon bald einer dicken Schneedecke und langen Eiszapfen weichen - zur Freude aller Kinder und zum Leidwesen der Autofahrer und älteren Menschen.
Schneeballschlachten machten so viel Spaß, besonders dann, wenn man selbst gut zielen konnte und nicht getroffen wurde. Auf Feldern und Wiesen stapelten wir dicke Schneekugeln aufeinander und gaben ihnen ein Gesicht, mit Hilfe von Eierkohle, Stöckchen und Karotten. Wer hatte, setzte seinem fertigen Schneemann noch einen Hut auf und steckte ihm einen Reisigbesen unter den Arm. Schnee war einfach herrlich. Zur Königsdisziplin zählten Schlittenfahrten: sitzend, auf dem Bauch, alleine oder zu einer Kette zusammengebunden – unsere Fantasie kannte keine Grenzen. Für eine bessere Beschleunigung rieben wir die Schlittenkufen mit einem Stück Schweineschwarte ein. Hier war ich klar im Vorteil, denn meine Eltern besaßen eine Metzgerei und wenn es an nichts fehlte, dann waren es Schweineschwarten.
In Omas selbstgestrickten Socken, Schal und Pulli, einer kratzigen Wollhose und ungefütterten Stiefeln tobten wir uns so lange im Schnee aus, bis die gesamte Kleidung einem Eisbrett glich. Auch in den Haaren hatten sich kleine Eisklümpchen gebildet. Wir waren so durchgefroren, dass selbst Erkältungsviren verängstigt die Flucht ergriffen – Erkältungen kannten wir nicht. Unsere Stimmbänder wurden trainiert, wenn wir am höchsten Punkt der Rodelbahn den Schlitten anschoben und laut: „Bahn frei !“ riefen. Kleinere Platzwunden gehörten dazu und waren kein Grund, nach Hause zu gehen.
Zu Hause hängten die Mütter oder Großmütter die vereiste Kleidung über dem Küchenherd, zum Auftauen und Trocknen auf. Wechselkleidung gab es nicht und wir freuten uns schon auf den nächsten Tag im Schnee, denn eines stand fest: der nächste Frühling kommt bestimmt – schneller als uns lieb war.