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geschrieben 2024 von Kargut (Kargut).
Veröffentlicht: 30.12.2024. Rubrik: Historisches


Einmal Hölle und zurück

Die Luft stinkt förmlich nach Blut und Schießpulver. Der junge Veltin empfindet selbst den Geruch der Fäkalien in der Gosse als angenehmer. Dieser verdammte Krieg. Als ob das Leben nicht bereits hart genug wäre. Feinde geben sich die Klinke in die Hand. Sie brandschatzen und plündern. Jeder gegen jeden. Die Städte bluten regelrecht aus. Was der Feind nicht mitnehmen kann, wird zerstört. An nur einem Tag hatten die feindlichen Truppen mehr als 100 Häuser in Brand gesetzt. Die verzweifelten Schreie der Menschen verfolgen Veltin in jeder ruhigen Minute. „Ruhe - nur nicht zur Ruhe kommen“, beschwörte er sich selbst. Die Ruhe war der Startknopf für ein Kopfkino, in dem ein Phantom namens „Grauen“ Regie hielt.

Als Söldner ist Veltin mit dem Anblick von Tod und Leid vertraut. Viel zu oft war er Protagonist bei ihrer Entstehung. Und jetzt hatte sich das Blatt gewendet. Niederlagen nahmen den Platz von Triumph ein. Er fühlt sich miserabel. Ist das Leben der Seinen mehr wert, als das der Feinde? Sind seine eigenen Kinder unschuldiger, als die des Gegners ? Veltin muss erkennen, dass Kriege – für Menschen seines Standes – immer mit Verlusten einher gehen. Gewinnen konnte nur die Obrigkeit.

Für einen Krieg brauchte es Feinde. Feind - ein kurzes und harmlos klingendes Wort, mit vielen Gesichtern. Keines davon bot einen angenehmen Anblick. Da war sich Veltin sicher, denn er hatte vielen ins Antlitz geschaut. Aber die hässlichste Fratze von allen war die der Pest, die sich, zu allem Überfluss, zu den Kriegswirren dazu gesellte. Unsichtbar, lautlos und ohne Gnade rafft sie alle dahin, denen sie habhaft werden kann. Sie braucht weder Schießpulver, noch Kanonen und verbreitet neben dem Tod Misstrauen in den eigenen Reihen. Misstrauen gegen alles und jeden. Gegen den Nachbarn, dem der Zutritt in ein anderes Haus verwehrt wird und Misstrauen gegen Fremde, die man an den Stadtmauern abweist. Hilfe dürfen die Menschen von niemandem mehr erwarten.

Es scheint wie ein Komplott des Bösen, zu dem sich auch noch ein extrem harter Winter gesellt. Viel früher als sonst, sinken die Temperaturen unter den Gefrierpunkt. Haushoch türmen sich die Schneeberge auf und machen es unmöglich, den vielen Toten ein Grab zu schaufeln. Sie werden verbrannt, wie Ketzer, auf Scheiterhaufen aus menschlichen Gebeinen. Und als die Eiseskälte geht, übernimmt eine nie dagewesene Überschwemmung ihren Platz. Das Getreide verfault noch an den Halmen und ruft einen neuen Feind auf den Plan: Hunger. Die Frauen versuchen aus Eicheln und Hanfsamen einen Brotersatz zu backen, aber der Hunger kann nicht gestillt werden. Wer es wagt, einen Hasen oder gar Reh zu erlegen, der landete im Kerker. Hunger ist für den Adel keine Ausrede, kein Grund, sich an ihrem Besitz zu bereichern. Gleich ob es sich um ein Stück Holz oder einen Waldbewohner handelt. Hunger kannten der Adel und die Kirche nur vom Hören und Sagen. Statt zu helfen, fordern sie immer neue und immer höhere Kontributionen an Vieh und Getreide von der verarmten Bevölkerung.
Die Menschen verzweifeln und lassen sich zu Taten hinreißen, die sie teuer büßen müssen. So wie Veltins Nachbar, der Drescher Johann Behr. Er unterschlägt beim Einbringen der Ernte für die Herrschaft einen Teil der Feldfrüchte und wird dabei erwischt. Das Urteil wird noch in derselben Woche verhängt: 2 Stunden mit dem Strick am Pranger anbinden. Mit Ruten schlagen und brandmarken. Danach sollen er und seine Frau, auf ewig, des Landes verwiesen werden. Sein Vermögen wird eingezogen.

Die Jahre kommen und die Jahre gehen. Was bleibt ist ein winziger Hoffnungsschimmer auf Frieden. Auf ein geregeltes Leben und einen gedeckten Tisch. Aber als die Truppen, auf beiden Seiten, endlich ihre Waffen niederlegen, ist die Heimat von Veltin nur noch ein einziger Trümmerhaufen. Die Hälfte der Bevölkerung war der tödlichen Mischung aus Krieg, Seuchen und Hunger zum Opfer gefallen. Weite Landstriche liegen brach und sind verwildert. Es fehlt an Zugvieh und an Moral, denn mit Moral alleine kann man schließlich keine hungrigen Mäuler stopfen. Vorbilder sucht man vergebens.

Veltins Kräfte sind aufgebraucht. Nur wenige können auf ein langes Leben, wie er, zurückblicken. 55 Jahre - ein stolzes Alter. 55 Jahre, in denen er an vielen Gräbern stand. Es waren die der Eltern und Geschwister. Drei seiner Kinder sind vor ihm gegangen, eines davon zusammen mit der geliebten Ehefrau Gertruda. Das Kindbettfieber hatte Mutter und Kind dahingerafft. Nur sein Sohn Michel ist ihm geblieben.
Der stattliche junge Michel ergreift die Gelegenheit und übernimmt einen der leerstehenden Höfe. Der Preis, den er dafür zahlt ist die Leibeigenschaft bei dem Landgrafen. Der Frondienst bietet ihm und seiner Familie ein Dach über dem Kopf und ein Minimum an Sicherheit. Besiegelt wird der Pakt durch einen Huldigungseid. Michel ist geschickt und schafft es, dass der Graf ihm auch noch ein Fuhrwerk und ein Ross zur Verfügung stellt. Jetzt kann Michel auch noch Fuhrdiente für den Adel übernehmen – oder sollte man besser sagen: “er muss“. Egal, es steigert sein Ansehen und das seiner Kinder. 2 Söhne und eine Tochter hat ihm seine Frau Elisabetha geschenkt. Jetzt gehört er zur Oberschicht im Ort.

Zufrieden verabschiedet sich Veltin von der Erde und schließt für immer seine Augen. Jetzt ist alles gut – dachte er.

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Kommentare zu dieser Kurzgeschichte

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geschrieben von Bad Letters am 31.12.2024:
Kommentar gern gelesen.
Chapeau Kargut, zum Jahresende noch ein Highlight von dir! Kann man nicht besser schreiben. Das der Tod eine Erlösung des eigenen Lebens ist, ein Zustand, den viel zu viele durchleben müssen. Sehr lesenswert!

MfG
Bad Letters




geschrieben von Kargut am 31.12.2024:

Danke, lieber Bad.
die Geschichte handelt vom 30-jährigen Krieg und ist und bleibt eine zeitlose Lektüre. Leider !
Viele Grüße
Kargut




geschrieben von Bad Letters am 31.12.2024:
Kommentar gern gelesen.
Das habe ich als bekennender Geschichtsbanause doch glatt geahnt Kargut! 😉

MfG
Bad Letters

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