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geschrieben 2024 von Kargut (Kargut).
Veröffentlicht: 04.12.2024. Rubrik: Menschliches


Die alte Frau

Eine alte Frau steigt aus dem Bus aus. Sie ist bepackt mit einer großen Einkaufstasche. Ihre Tasche ist voll, ihre Geldbörse leer – so wie auch ihr Blick. In ihrem langen Leben hat sie bereits viel verloren, aber an einem hält sie eisern fest: Ihrem Stolz. Sie will nicht um Hilfe bitten. Noch nicht.

Zu ihrem morgigen Geburtstag hat sie die Kinder und Enkel eingeladen. Die Kinder haben keine Zeit – wie so oft. Die Enkel freuen sich, aber bei Weitem nicht so sehr wie sie selbst. Sie wollte einen Kuchen backen, denn Lina und Michael lieben ihren Streuselkuchen, mit dicken Butterstreuseln. Aber den kann sie sich nicht mehr leisten. € 3,- für ein Päckchen Butter sprengt ihr Budget. Es braucht ja auch noch andere Backzutaten und Kakao für die Kinder. Ungern und notgedrungen, musste sie sich für eine günstige Gebäckmischung aus der Dose für € 1,72 entscheiden.

Im Gedanken geht sie noch einmal ihren Einkauf durch: Milch, Kakao, Kekse, Brot, Äpfel, Teebeutel … Wurst und Käse habe ich noch zu Hause. Zu Hause – auch das bietet ihr inzwischen mehr Sorgen als Geborgenheit. In dem Altbau gibt es keinen Aufzug und die Treppen in die 2. Etage sind für sie selbst ohne Einkaufstüte äußerst beschwerlich. Manchmal hat sie Glück und begegnet einem der Nachbarn, der ihr beim Tragen hilft. „Vielleicht habe ich auch heute Glück“, denkt sie. „Der Sohn der Familie Neumann kommt meist um diese Zeit nach Hause.

Die Nebenkosten tun sich leichter mit dem Steigen. Jedes Jahr klettern die Kosten weiter nach Oben – ohne Stöhnen und ohne Jammern. Dabei zieht sie in der Wohnung bereits Wollsocken und eine Wolljacke an, um nicht so viel heizen zu müssen. Den Gedanken, aus ihren vertrauten 4 Wänden ausziehen zu müssen, verwirft sie schnell. Daran möchte sie erst gar nicht denken. Viel lieber denkt sie an ihre Enkel, die sie morgen, nach einer gefühlten Ewigkeit, wieder in den Arm nehmen kann. Sie zählen zu den wenigen Dingen, auf die sie sich noch freuen kann. Und mit diesen Gedanken füllt sogar ein Lächeln den sonst so leeren Gesichtsausdruck der Alten Frau.

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Kommentare zu dieser Kurzgeschichte

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geschrieben von Jens Richter am 04.12.2024:
Kommentar gern gelesen.
Hallo Kargut,
Du sprichst ein sehr, sehr übles Thema an, dass es in unserem Land eigentlich gar nicht geben dürfte.
Die Menschen zahlen in Ihrem Arbeitsleben Unsummen an Sozialabgaben, um im Alter von der Hand im Mund auskommen zu müssen.
Es macht mich persönlich sehr betroffen, wenn alte Leute mit vielen Beitragsjahren zur Tafel gehen müssen oder nach Einbruch der Dunkelheit Flaschen sammeln.
Eine Schande, dass diese Ungerechtigkeit noch nicht beendet worden ist...
Sehr gut in Worte gefasst und gern gelesen.
Viele Grüße von Jens




geschrieben von Kargut am 04.12.2024:

Lieber Jens,
danke, für deine netten Worte. Es ist ein Thema,das mir sehr nahe geht. wir haben dieser Generation viel zu verdanken und lassen sie jetzt im Regen stehen.
Liebe Grüße
Kargut




geschrieben von lüdel am 05.12.2024:
Kommentar gern gelesen.
Hallo Kargut, bedauerlicher weise, die grausame Wirklichkeit, genau auf den punkt geschrieben





geschrieben von Kargut am 05.12.2024:

Danke, Lüdel. Die Wahrheit ist oft grausam.
Aber wegschauen ist noch schlimmer.

Liebe Grüße
Kargut




geschrieben von Bad Letters am 07.12.2024:
Kommentar gern gelesen.
Ein Sozialstaat Kargut, der mit der Gießkanne austeilt und seine Bürger aus der Verantwortung für ihr eigenes Leben entlässt, sollte sich nicht wundern, wenn irgendwann aus einer Schieflage ein Abhang wird. Ein sehr komplexes Thema, das keine einfachen Lösungen anbietet, aber die Politik sollte es zumindest einmal versuchen, aber die verstrickt sich ja lieber in Machtkämpfen als Übel wirklich konsequent anzugehen.

MfG
Bad Letters





geschrieben von Kargut am 07.12.2024:

Lieber Bad,
die Giesskanne ist das einfachste Mittel, auch wenn sie mit einer sozialien Gerechtigkeit rein gar nichts zu tun hat - die die Politik, wie eine Monstranz vor sich her trägt.
Liebe Grüße
Kargut

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