Veröffentlicht: 02.01.2025. Rubrik: Aktionen
Der Traumberuf
Post aus Hannover. Mit zittrigen Fingern öffne ich den Briefumschlag. Ob es ein gutes Zeichen ist, dass sich der Reiseveranstalter nur 4 Wochen nach meinem Vorstellungsgespräch meldet ? Oder war ich durch das engmaschige Raster gefallen, nachdem junge Menschen als Reiseleiter ausgewählt werden ?
Reiseleiter – wie schön das klang. Es hatte etwas wie: „Bezahlter Urlaub“ ( dachte ich damals ). Die große, weite Welt bereisen und dabei noch Geld verdienen ( mein Gott, wie naiv ich mit 21 war ). Aber es war mein großer Traum, bei dem ich in wenigen Sekunden erfahren würde, ob er zerplatzt war oder Wirklichkeit würde.
Bereits nach den ersten Zeilen stieß ich einen lauten Jubelschrei aus „ freuen uns ihnen mitteilen zu dürfen….“ Mit Glückstränen in den Augen las ich weiter. Im März geht es los. Auf nach Spanien.
Nach einer 4-wöchigen Schulung in einem 5-Sternehotel auf Malle, erfuhr jeder „Novize“, wo sein zukünftiges Einsatzgebiet sein wird. Dort angekommen teilte man mir mit, dass ich bis zum Tag x eine schicke Ferienwohnung beziehen könne und dann, bis zum Ende der Hauptsaison, in ein Hotelzimmer umziehen müsse. Natürlich handelte es sich bei dem Zimmer um keine Suite mit Meerblick, sondern um eine Hinterhofkammer, bei der man keine Speiskarte brauchte, um zu wissen, aus was das Mittag- und Abendessen bestehen wird.
Als Reiseleiterin in einem Hotel zu wohnen und dort die Mahlzeiten einzunehmen, hat zur Folge, dass eine Privatsphäre kaum, bis gar nicht vorhanden ist. Egal wo man mich erwischte, waren die Turis der Meinung, es sei höflich, wenn sie mir ein Gespräch aufzwängten, oft mit dem Zusatz: „Und übrigens, das Hotel ist ja ganz nett, aber … „
Bereits während der Schulung wurde ich vorgewarnt: Schlechtes Wetter = Reklamationsflut. Deshalb musste in allen Protokollen angegeben werden, wie die Wetterlage am Tage einer Beschwerde war. Mit diesen Protokollen konnte sich der Veranstalter auf eventuelle Regressforderungen vorbereiten. Das Zimmer ist zu weit oben, oder zu weit unten. Zu sonnig, zu schattig. Die Tapete gefällt nicht, die Betten sind zu hart, zu weich oder sonst was. Die Kreativität von Urlaubern kennt keine Grenzen, wenn es darum geht, sich über irgendetwas zu beschweren und einen Teil des Reisepreises zurückzufordern.
Was ich bei meinem vermeintlichen Traumberuf übersehen hatte, war : auch Urlauber werden krank oder haben Unfälle. Bereits nach 6 Wochen gab es unter meinen Gästen den ersten Todesfall. Einen allein reisenden Herrn, den das Zimmermädchen leblos in seinem Zimmer gefunden hatte – Magendurchbruch. Dann rutsche ein Kind aus und zog sich eine Schädelfraktur zu. Ein anderer Gast, der aus dem 2. Stock über das Treppengeländer gestürzt war, hatte einen Trümmerbruch an der Schulter. Auch um diese Gäste und Mitreisende musste ich mich kümmern.
Ein besonderes Highlight für Reiseleiter ist die Überbuchung von Hotels. Am Flughafen hatten wir die dankbare Aufgabe, den ankommenden Gästen mitzuteilen, dass sie nicht in ihrem gebuchten Hotel am Meer untergebracht sein werden, sondern in einer Finca, mitten in der Pampa. Es gab aber auch noch eine weitere Option: Rückflug um … Zur Abhärtung genehmigten wir uns, kurz vorher, einen Cognac, der zu meiner Zeit noch in Wassergläsern serviert wurde. Die Schimpftiraden der Betroffenen zielten weit unter die Gürtellinie und ein Jeder ignorierte, dass ein Reiseleiter am Allerwenigsten für diese Misere konnte.
Bereits nach wenigen Monaten erwachte ich aus meinem Traum und realisierte, dass dieser Beruf eine harte Schule fürs Leben ist, aber kein Dauerzustand. In 2 Saison hatte ich genug gelernt.
Nichts desto trotz, habe ich meinen Abstecher in die Touristik nie bereut, würde aber empfehlen, dass mit dem Arbeitsvertrag ein Beipackzettel ausgehändigt wird : „ Zu Risiken und Nebenwirkungen“.
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