Veröffentlicht: 07.12.2024. Rubrik: Satirisches
Wie wahre ich meine Tugend
Satire
Es war einmal eine Zeit, in der Menschen Buße taten, weil sie glaubten, Sünden begleichen zu müssen. Ablassprediger Tetzel zog vor 500 Jahren von Ort zu Ort und verkaufte den Leuten Ablassbriefe zur Reinwaschung ihrer Sünden. Es hat sich bis heute nicht allzu viel geändert. Es gibt eine neue Art des Ablasshandels: den Verkauf von Tugenden.
Er findet in edlen Salons, teuren Cafés und gut besuchten Online-Foren statt. Dabei geht es um Tugendpunkte für moralisches Engagement – bequem zu erwerben und völlig emissionsfrei!
Die Prinzipien dieses neuen Systems sind simpel. Gegen eine kleine Spende oder – noch besser – ein Jahresabo einer „klimafreundlichen“ App kann man sein tugendhaftes Image aufpolieren, ohne je selbst tätig zu werden. So werden moralische Zertifikate verschenkt, etwa für das freiwillige „Nicht-Fliegen“ (immerhin gibt es dafür inzwischen das „Klimaheld*in-Siegel“) oder das „Mülltrennung-Guru-Badge“. Das Schöne daran ist: Man muss gar nicht wirklich verzichten! Wer das Siegel hat, ist befreit von der Pflicht, ernsthaft nachhaltige Entscheidungen zu treffen. Schließlich ist das gute Gewissen ja schon „gekauft“.
Natürlich hat diese „Ablassindustrie“ auch ihre Influencer: moderne Heilige, die Tugend öffentlich demonstrieren und gleich den richtigen Weg zum nächsten Zertifikat zeigen. Das Internet ist voller Influencer, die mit fair gehandelten Bio-Latte-Macchiatos posieren oder den neuen „Entdecke-das-Handwerk“-Kurs für Stadtbewohner präsentieren – für den umweltbewussten Lifestyle. Obendrein gibt es das „Klima-Coaching-Programm“, mit dem man in sechs Wochen zum Vorbild wird, ohne je die eigene Komfortzone zu verlassen.
Die Krönung des neuen Ablasshandels ist die Tugend-App. Sie rechnet automatisch den CO2-Abdruck und bietet an, diesen direkt durch den Erwerb von „Tugendpunkten“ auszugleichen. Eine Push-Nachricht erinnert daran, dass es noch einen Post für die sozialen Medien braucht, denn wie soll die Tugend sonst geteilt werden?
Doch Vorsicht, sollte man sich nicht nach der neuesten moralischen Mode verhalten, erlischt das Tugendzertifikat. Die Moralwirtschaft lebt von strenger Überwachung und ist ein wahrhaft modernes Fegefeuer für jene, die immer auf dem neuesten Stand des Weltrettungs-Trends bleiben möchten.
Am Ende erinnert das Ganze an die beste Erfindung der Kirchenväter: den Ablass, das Geschäft mit dem Gewissen. Denn heute gilt wie damals: Wer gibt, hat die Reinwaschung von Sünden bereits in der Tasche.