Veröffentlicht: 04.10.2024. Rubrik: Unsortiert
Großzügig
Es war einer dieser angenehmen, milden Spätsommerabende, als ich auf der Terrasse saß und die letzten Sonnenstrahlen über den Horizont versinken sah. Meine Frau kam hinzu und schon bald darauf waren wir in ein Gespräch vertieft, wir nannten diese Runden, meistens von einigen Gläsern guten Weins beflügelt, scherzhaft schon mal Grundsatzdebatten, wir hatten in der Vergangenheit viele davon genossen. Es fing auch diesmal als unbeschwerte Plauderei an, als ich in Erinnerungen schwelgte, obwohl ich kein ausgemachter Nostalgiker bin. Vielleicht klangen meine Worte nach dem dritten Glas Wein zu sehr nach Eigenlob, als ich, zugegebenermaßen nicht ohne Stolz, in wohliger Erinnerung beschrieb, was ich in meinem Leben alles erreicht hatte, vornehmlich in materieller Hinsicht – zwei vorher gescheiterte Ehen zählen nicht dazu.
Das Leben eines gutsituierten Privatiers hatte ich mir teils hart erarbeitet, ein nicht unwesentlicher Teil meines Vermögens stammte aus meinem Familienerbe. Anerkennung versuchte ich durch meine Großzügigkeit gegenüber schwächer Situierten zu erlangen, ich gab gerne und oft. Dies wurde mir auch gedankt, wenn auch mitunter in zu schwacher Form, was ich an diesem Abend anscheinend zu sehr betonte.
Meine Frau antwortete mit der These, Nehmen sei schwieriger als Geben. Dies hörte ich so zum ersten Mal, und ich widersprach energisch. Der Aussage, Nehmen wäre eine tiefere, komplexere Angelegenheit als Geben, konnte ich nicht zustimmen. Auch dass die Balance zwischen Geben und Nehmen häufig nicht zu erreichen wäre, weil Schuld und Abhängigkeit hierbei eine zu große Rolle spielen würden, brachte sie hervor. Dass Großzügigkeit durchaus eine Tugend sein kann, ließ sie so eben noch gelten. Aber das reine Schenken zum Beispiel, könne den Wert zwischenmenschlicher Beziehungen verschieben, erwartete und eventuell zu schwache Wertschätzung würde häufig zu Fehleinschätzungen führen, wie man in meinem Fall gerade erfährt. Und weiter, das Begegnen auf Augenhöhe wäre irgendwann nicht mehr unbeschwert möglich.
Ob ich es dann nicht spüren würde, dass man mich wegen meiner Großzügigkeit schätzen, aber nicht lieben würde? Das saß. So sah sie mich also, als jemanden auf Augenhöhe, der dabei auf andere herabblickt. Als wenn mir es an empathischer Sensorik fehlen würde, oder war da eventuell doch was dran? Die Harmonie dieses Gesprächs entglitt uns, unsere Argumentationen waren, in unterschiedliche Art, nun auf simple schwarz-weiß Beispiele reduziert; Grautöne als Kompromiss kamen nicht mehr vor. Ich versuchte noch, meinen Standpunkt damit zu erklären, dass meine Großzügigkeit dem aufrichtigen Wunsch entsprang, helfen zu wollen, und nicht zu dominieren. Aus der mir zugeordneten Ecke kam ich aber nicht mehr heraus.
In der Folge sagten wir uns beide Dinge, die wir später bereuen würden. Wir blickten uns aus einer Mischung von Ärger und Enttäuschung an, und wussten, dieser Riss würde nur schwer zu kitten sein. Einen gemeinsamen Abend, eventuell sogar eine enge Beziehung, an verschiedener Auffassung über Großzügigkeit scheitern zu lassen, führte in kühle Endzeitstimmung.