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2xhab ich gern gelesen
geschrieben von rubber sole.
Veröffentlicht: 13.09.2024. Rubrik: Unsortiert


Waldsee

Inspirierende Stimmung auf einem Waldspaziergang, besonders für einen ambitionierten Fotografen auf der Suche nach dem ultimativen Motiv, jetzt, wo das Licht der späten Nachmittagssonne die Farben wärmer, die Konturen weicher zeichnet.

Sein Blick schweift suchend durch das grüne Dickicht abseits des Weges. Wenige Schritte voraus erkennt er einen älteren Mann, der ihm entgegenkommt, der Kleidung nach jemand, der sich häufig in der Natur aufhält. Sie kommen ins Gespräch und er stellt sich als Fotograf vor, auf der Suche nach dem Motiv eines Sonnenuntergangs an einem Waldsee, den er hier in der Nähe vermutet. Sein Gegenüber bestätigt, dass er nicht weit entfernt solch einen Platz kennen würde. Es wäre einer seiner Lieblingsplätze, erklärt er dem Fotografen und schlägt vor, ihn dort hinzuführen. Der Fotograf stimmt zu, er folgt dem Mann durch das Dickicht tiefer in den Wald hinein. Und dann sieht er es, das Ufer eines kleinen, versteckten Sees, in dessen glatter Oberfläche sich die Bäume des Waldes spiegeln.

Inzwischen steht die Sonne bereits tief am Horizont, und das milde Licht, das durch die Baumkronen fällt, malt ein einzigartiges Schauspiel aus Farben auf den See. Der Fotograf hält den Atem an. Das ist das Bild, der perfekte Moment des Stands der späten Sonne über dem See, genau dieses Motiv hatte er zu finden gehofft. Er greift zu seiner Kamera, wählt unterschiedliche Einstellungen, er fotografiert in Serie, aus verschiedenen Perspektiven, Bild für Bild, fast wie im Rausch. Anschließend bedankt er sich bei dem Mann und sie verweilen noch einige Zeit auf einem umgestürzten Baumstamm, um das farbige Schauspiel zu genießen. Kurz darauf verabschiedet sich der Alte und der Fotograf lehnt sich zurück, lässt alles noch einmal auf sich einwirken. Dann verstaut er seine Ausrüstung und macht sich auf den Rückweg. Ein letzter Blick auf die spektakuläre Szenerie am abendlichen See im verblassenden Licht, er kann sich nur schwer von dem Bild lösen. Die sich ständig verändernden Farben haben ihn gepackt, er hält den Sonnenuntergang über dem See intensiv in seinem Gedächtnis fest

Später zurück in seiner Unterkunft. Bei Durchsicht der Bilder auf dem Display fällt ihm sofort etwas auf. Statt der leuchtenden Farben, die er so authentisch eingefangen hatte, sind alle Aufnahmen in Schwarz-Weiß, er hatte in der Einstellung seiner Kamera versehentlich die Option 'Monochrom' gewählt. Zuerst macht sich große Enttäuschung breit, denn es waren ja gerade die Farben, die ihm den magischen Moment lebendig gemacht haben. Als er genauer hinsieht, erkennt er eine andere, die wahre Magie seiner Bilder.

Ohne die Ablenkung durch Farben entfalten die Aufnahmen eine ganz neue Intensität - die Kontraste zwischen Licht und Schatten wirken auf dramatische Weise anders. Die Sonnenstrahlen, die durch das Laub der Baumkronen fallen, hatten ursprünglich eine fast übernatürliche Strahlkraft, die in Schwarz-Weiß jetzt noch intensiver, markanter erscheinen, als eine farbige Darstellung es vermag. Die Textur des Wassers, die feinen Details der Blätter, das Spiel der Wolken am Himmel, all das gewinnt eine faszinierende Tiefe der Bilder. Es ist, als hätte erst die Schwarz-Weiß-Ablichtung die eigentliche Essenz dieses Moments eingefangen, die Seele des Augenblicks freigelegt. Und es scheint, die Bilder erzählen eine Geschichte, die weit über die Farben hinausgeht, ein Ausdruck von zeitloser Ruhe und Stille.

Der Fotograf sitzt noch lange so da, und ihm wird klar, dass er das Ultimative tatsächlich gefunden hat. Nicht im perfekten Sonnenuntergang voller leuchtender Farben, sondern in der schlichten, kraftvollen Darstellung der Welt in Schwarz und Weiß, eine Ästhetik, die entsteht, wenn man etwas auf sein Wesentliches reduziert.

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Kommentare zu dieser Kurzgeschichte

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geschrieben von Bad Letters am 13.09.2024:
Kommentar gern gelesen.
Durchaus, durchaus rubber sole! Ich behaupte ja, dass schwarzweiß Bilder die Melancholie einfängt, die bunten Bildern verschlossen bleibt. So entsteht eine ganz eigene Stimmung, die unsere, von Farben geprägte Sichtweise rührt. Bei Fotos empfinde ich das viel stärker als bei Filmen, was ich mir mit der Geschwindigkeit der Bilder erkläre. Schön in Szene gesetzt!

MfG
Bad Letters


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