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3xhab ich gern gelesen
geschrieben von rubber sole.
Veröffentlicht: 11.07.2024. Rubrik: Satirisches


Ur-Reichsbürger

Wie aus gut informierten Quellen verlautet, wird der Prozess gegen die sogenannten Reichsbürger ausgesetzt. Der Grund hierfür, ein Einspruch mit neuer Beweislage aus dem Kreis der bisher wenig bekannten Gruppierung der 'Ur-Reichsbürger'. Es besteht die Gefahr, hierdurch könnten sensible Daten aus staatlichen Archiven vor Gericht zur Sprache kommen, die die offizielle Lesart der neueren deutschen Geschichte in einem völlig anderen Licht erscheinen lassen könnten.

SatirepatzerSatirepatzerIm aktuellen Prozess kann gegen eine kriminelle Vereinigung wie die Reichsbürger zwar strafrechtlich vorgegangen werden, jedoch sei der politische Kontext in diesem Fall eher fragwürdig, weil von den bislang im Untergrund tätigen Ur-Reichsbürger eine viel stärke ideologische Untergrabung der deutschen Gesellschaft droht, denn sie gelten als eigentliche Keimzelle eines möglichen reaktionären Umsturzes. Diese bisher öffentlich nicht aufgetretene Gruppierung nimmt für sich exklusiv in Anspruch, unterstützt durch eine bestehende politische Partei des extremen rechten Spektrums als Speerspitze, das wahre Reichsbürgertum mit Leben zu erfüllen. Die Mitglieder der aktuell angeklagten Reichsbürger wären dagegen ganz einfach nur kriminelle Verwirrte mit Gewaltpotential. Als selbsternannte Verweser des fortbestehenden Deutschen Reichs in den Grenzen von 1871, lassen diese keine Legitimation erkennen, ihre geäußerten Ansprüche verfassungsrechtlich geltend machen zu können. Einen Staat nicht anzuerkennen, dies alleine genügt nicht, selbst falls dem deutschen Volk, wie ihrer Meinung nach, eine Republik ohne Friedensvertrag von den sogenannten Siegermächten aufoktroyiert worden wäre. Die Gruppe der Reichsbürger gilt weiterhin als potentiell gewalttätig.

Die 'Ur-Reichsbürger' hingegen, die bereits weitflächig subversiv tätig sind, verstehen sich als historisch definierte Volksgemeinschaft mit historisch gewachsenem Anspruch, der sich auf das Heilige Römische Reich Deutscher Nation (HRRDN) beruft. Dieses besteht ihrer Auffassung nach fort. Somit existieren das darauf folgende Deutsche Reich der Preußen und Hohenzollern, sowie spätere Staatsgebilde de jure nicht, und müssen bekämpft werden. Die Auflösung des HRRDN wurde seinerzeit völkerrechtlich unrechtmäßig verkündet, als Folge eines militärischen Fehlschlags gegenüber dem 'Erbfeind' Frankreich, geführt von Napoleons I. Die daraus resultierende Reichsniederlegung durch den österreichischen Kaiser Franz II im Jahre 1806 ist als Einzeltat eines verzweifelten Potentaten zu werten, der die Vielfalt in seinem Reichsgefüge nicht mehr überschauen konnte, heißt es weiter in der Ideologie der 'Ur-Reichsbürger'. Der Verzicht von Franz II ist daher keineswegs bindend für ein von Gott gewolltes Reichskonstrukt. Alle folgenden Staatsgründungen, ob mit Kaiser oder sonstigem Führer, existierten demnach völkerrechtlich nicht.

Die deutsche, sowie etliche Abschnitte der europäischen Geschichte, muss in wesentlichen Teilen umgeschrieben werden. Unter anderem sind alle seit 1806 im Namen eines Deutschen Reichs und dessen Nachfolgestaaten getätigten Aktionen oder geschlossene Verträge bis zu einer endgültigen Klärung gegenstandslos. Dies deckt sich auch mit der Meinung der von den Ur-Reichsbürgern beauftragten Historikern. Um nicht Verweigerern und Leugnern von völkerrechtlicher Realität eine Grundlage für extreme Ideologien zu liefern, zeichnet sich in der bundesdeutschen Justiz ein Kompromiss ab: Internationale Geschehnisse, wie die Auswirkung von Kriegen und anschließende Friedensverträge, sowie deren Folgen, werden bis zur endgültigen Klärung provisorisch festgeschrieben, ebenso wie Mitgliedschaften oder Gründungen von internationalen Vereinigungen. Alle übrigen Ereignisse, wie Titel europäischer Sport- oder Gesangswettbewerbe, gelten als gegenstandslos und müssen wiederholt werden; falls nicht durchführbar, werden deren Ergebnisse annulliert. Auf internationaler Ebene wird mit Spannung beobachtet, wie deutsche Politiker und Gerichte in dieser unsicheren Rechtslage vorgehen werden, und wie sie ihre lange vernachlässigten Probleme im Umgang mit politischen Desperados lösen wollen.

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Kommentare zu dieser Kurzgeschichte

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geschrieben von Wanda Lismuss am 13.07.2024:
Kommentar gern gelesen.
😁😁😁

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