Veröffentlicht: 14.09.2024. Rubrik: Menschliches
Wenn das Laub die Biege macht
Vor meinem Haus steht ein uraltes Pärchen, das ich liebevoll Fred und Paula rufe und die von der Gattung Eiche abstammen. Zugegebenermaßen, ist die Liebe nicht ganz ungetrübt, aber welche Liebe ist das schon? Doch sie ist groß genug, dass ich mich regelmäßig vor das Küchenfenster stelle und sie betrachte, mich am Anblick ihrer majestätischen Kronen erfreue, die je nach Jahreszeit unterschiedliches zu bieten haben.
Es ist aber nicht nur der Anblick, der mich regelmäßig verweilen lässt, es ist auch das Leben, das sich in den beiden Freunden abspielt. Einmal ein Spielplatz für Kinder, dann ein Wohnplatz für die Vögel oder ein andermal Kletterbaum für die zahlreichen Katzen. Am schönsten ist es, die Eichhörnchen von Baum zu Baum springen zu sehen, aber da braucht es schon eine gehörige Portion Glück, das Schauspiel beobachten zu dürfen.
Im Augenblick ist es besonders faszinierend, denn jeden Morgen, wenn ich mit der Tasse Kaffee in der Hand am Fenster stehe, hat sich das Farbenspiel in den Kronen verändert. Der Herbst beginnt zu malen und trägt seine Farben auf, wenn dann noch die Sonne ihre Strahlen durch die Kronen schickt, entstehen magische Lichtmomente, die mich minutenlang fesseln können.
Fesseln kann mich auch das Laub, wenn es die Biege macht und sich vor meiner Garage türmt. Unser Grundstück ist ein Windfang, und jedes Jahr freut sich die Nachbarschaft, dass es vor ihrer Tür kaum Laub gibt, weil der Wind es zu mir herüberträgt. Ich bin ihm nicht Böse deshalb, denn wir sind alte Freunde! Obwohl es mich schon nerven kann, wenn ich gerade einen Haufen zusammengekehrt habe und er ihn im nächsten Augenblick wieder auseinanderweht.
Dann zeig ich ihm schon einmal die Faust und er antwortet feixend, indem er mir in meine langen Haare greift und sie in seinem Atem tanzen lässt. Ein lustiger Bursche der Wind, auch wenn er nicht immer ganz fair ist! Na ja, wenn er es zu weit treibt, ignoriere ich ihn einfach und gehe zu meinem Herzblatt, um eine Tasse Tee zu trinken, bis er sich beruhigt oder ganz verzogen hat.
Dann wird es auch Zeit, einmal zu schauen, wie viele kleine Eichen schon wieder auf meinem begrünten Garagendach wachsen. Es tut mir in der Seele weh, sie entfernen zu müssen und ich entschuldige mich dafür auch bei Fred und Paula, ich glaube, sie verzeihen mir sogar.
Noch stehen ihre Kronen gut im Futter, aber es wird nicht mehr lange dauern, bis die Herbststürme ihnen ihre Zier entreißen und vor meiner Garage parken werden. Dann fahre ich morgens mit einem getarnten Vehikel ins Büro und verteile die Blätter bei den Nachbarn, jedenfalls so lange, bis mein Freund, der Wind, wieder vorbeikommt.