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geschrieben von Bad Letters.
Veröffentlicht: 12.09.2024. Rubrik: Menschliches


Eine verdammt lange Nacht

Ich musste eingeschlafen sein, als mich das Telefon unsanft in die Wirklichkeit zurückholt. Ich brauche einen Moment, mich zu orientieren, um dann das Telefongespräch anzunehmen. „Hallo Schwiegersohn, ist Mae schon aufgewacht?“ Die Gesprächsqualität ist wieder unterirdisch, was über die Entfernung um den halben Erdball nicht weiter verwunderlich ist, aber diesmal kann ich meine Schwiegermutter tatsächlich einigermaßen verstehen, was ich der Uhrzeit zuschreibe, an der sicher weniger Menschen telefonieren. Ich stehe auf und schaue in das Krankenzimmer, aber Mae liegt noch immer in tiefem Schlaf.

„Nein, noch nichts Neues, meine Liebe. Ich melde mich sofort, wenn es etwas Neues gibt. Leg dich doch etwas schlafen. Du bist bestimmt schon seit Stunden auf!“ versuchte ich beruhigend zu antworten. „Wie soll ich denn schlafen, wenn ich nicht weiß, wie es meinem Kind geht?“ Ich schaute auf die Uhr und rechnete kurz nach. Bei Schwiegermutter musste es jetzt drei Uhr in der Früh sein. „Ja ich weiß, ich krieg ja auch kein Auge zu, aber ich bin eben wenigstens mal für ein paar Minuten eingenickt. Vielleicht gelingt dir das ja auch. Die Ärzte sagten, dass sie nicht damit rechnen, dass Mae vor sechs, nach deiner Zeit, ansprechbar sein wird. Du hast also noch drei Stunden, in denen wir sowieso nichts tun können, außer zu hoffen und etwas Schlaf zu finden.“

„Ach, du bist so ein lieber Junge! Mae kann sich so glücklich schätzen, dich in diesen schweren Stunden an ihrer Seite zu haben, und ich bin es auch! Wenn ich mich noch daran erinnere, wie schwer wir beiden uns am Anfang getan haben und jetzt bin ich so froh, dich an unserer Seite zu wissen, sonst würde ich hier vor Kummer vergehen!“ Plötzlich fing es in der Leitung wieder zu Knistern und zu Rauschen an und bevor ich noch etwas erwidern kann, ist die Verbindung bereits unterbrochen.

Schwiegermutter wird es bestimmt noch ein paarmal probieren, aber nach meiner Erfahrung wird so schnell keine Verbindung mehr zustande kommen. Ich nutze die Gelegenheit, um nach dir zu schauen, und als ich dich da so liegen sehe, kommen mir wieder die Tränen. Kein Mensch hat so etwas verdient und ich mag mir gar nicht ausmalen, wie es sein wird, falls die OP nicht erfolgreich war. Dich nie wieder tanzen sehen zu können, nie wieder mit dir zusammen über das Eis zu schweben. Die langen Spaziergänge und vieles mehr. Ich versuche, die Gedanken fortzulenken und klammere mich an die Aussage des Chefarztes, „Die OP ist gut verlaufen und wir sind sehr zufrieden, aber erst nach dem vollständigen Aufwachen und einigen Tests können wir wirklich beurteilen, wie gut und wie groß die Chancen auf eine völlige Genesung stehen!“

Das „völlige Genesung“, hallt noch lange durch meine Gedanken, bis ich mich dazu entschließe, noch einmal zu versuchen, die Augen zu schließen. Nicht aber ohne dir vorher alle Nachrichten vom Handy leise vorzulesen, die mich stundenlang bombardiert haben. Wie kann jemand nur so beliebt sein, geht es mir durch den Kopf. Dein Geburtstag ist ein unaufhörliches Telefonat mit nur wechselnden Gesprächsteilnehmern, während meiner eher einer Trauerveranstaltung gleicht, aber so mag ich es halt.

Ich erwäge, mich wieder hinzusetzen, als der Alarm an deinem Bett ausgelöst wird, ich gerate sofort in Panik und möchte nach Hilfe rufen, die im selben Augenblick bereits im Laufschritt um die Ecke biegt. Ein Arzt kommt direkt auf mich zu, während der Rest des Teams in dein Krankenzimmer läuft und die Türe schließt. „Kein Grund zu Beunruhigung!“ versucht der Doc zu beschwichtigen, nur scheint das meinen Puls und meinen Adrenalinspiegel nicht im Geringsten zu interessieren, „Wir haben das erwartet und gehen davon aus, dass es sich nur um eine Kreislaufschwankung handelt, auf die die Geräte ansprechen und die nach so einer schweren OP passieren können. Der Körper reagiert noch längere Zeit auf die Eingriffe, auch wenn die OP bereits abgeschlossen ist. Wir hätten das schon früher erwartet, aber ihre Frau ist sehr stark und ich darf Ihnen versichern, dass das ein gutes Zeichen ist, auch wenn Sie mir das im Augenblick vielleicht nicht abnehmen wollen!“

Er nimmt mich an den Arm und bewegt mich dazu, mit ihm einige Schritte durch die Intensivstation zu gehen und auf dem Weg erklärt er mir genau, was jetzt gerade passiert. Keine zwei Minuten später kommt sein Kollege aus dem Zimmer und lächelt uns an, „Alles wieder gut, der Zustand ist stabil und nach den Werten zu urteilen, sollte bis zum Aufwachen nicht mehr mit Zwischenfällen zu rechnen sein. Das schaut gut aus!“ versucht auch er mich zu beruhigen und diesmal funktioniert es tatsächlich. „Geben Sie dem Team noch zwei Minuten, dann können Sie zu Ihrer Frau und nach Ihr schauen.“ Ich bedanke mich kurz und schon sind die Herren wieder unterwegs zum nächsten Patienten.

Als ich den, von lebenserhaltenden Maschinen, beherrschten Raum betrete, richtet eine ältere Schwester, die bestimmt kurz vor ihrem Ruhestand steht, noch das Bettzeug und gibt mir zu verstehen, dass ich bitte leise sein soll, indem sie ihren Finger auf die Lippen legt. Ich nicke verstehend!

Bevor sie das Zimmer verlässt, flüstert sie mir noch schnell zu, „Ihrer Frau geht es gut, Sie hatte gerade nach dem Tumult sogar kurz die Augen geöffnet, es ist aber unwahrscheinlich, dass Sie sich später daran erinnern wird. Wir haben Ihr vorsorglich noch einmal etwas mehr zur Beruhigung gegeben, es kann also sein, dass Sie noch einige Stunden länger warten müssen, bis Sie wirklich ansprechbar sein wird. Was für ein hübsches Mädchen, Sie Glückspilz! Das wird wieder, glauben Sie mir, auch wenn die Ärzte immer so zurückhaltend sind, nach so viel Jahren auf der Intensiv, habe ich das im Gefühl!“

Mit einem mütterlichen Lächeln verlässt sie das Zimmer. Auch wenn die Schwester es sicher nur gut meint, ärgere ich mich kurz über Ihre optimistische Prognose, denn der Arzt hat mir ausdrücklich zu verstehen gegeben, dass es auf die Tests ankommt, inwieweit die Nerven funktionsfähig sind, die Maes Bewegungsapparat steuern. Trotzdem bemerke ich, dass sich meine Stimmung aufgehellt hat, wofür ich der alten Dame dann doch dankbar bin. In solch einer Situation ist jeder Strohhalm willkommen und mit jedem Weiteren, lässt sich ein starkes Tau aus Hoffnung flechten.

Ich schreibe eine Nachricht an alle wartenden Freunde und Maes Kollegen und schildere gekürzt die Ereignisse, wobei ich nichts von dem Kreislauftumult erwähne. Ich erwähne nur, dass die Ärzte weiter zuversichtlich sind und dass Mae auch schon kurz die Augen offen hatte. Nach kurzem Zögern hänge ich noch die Prognose der alten Schwester hinten an. Ich schließe mit dem Satz, dass May sicher noch einige Stunden schlafen und es so schnell keine neuen Informationen geben wird. Nach dem Senden dauert es keine zwei Minuten und ich werde mit dankvollen und Mut machenden Nachrichten nur so überschüttet. Ich überfliege alle und mache mir dann eine Notiz, dass demnächst wohl eine Genesungsparty angebracht wäre, um mich bei allen Daumendrückern für die seelische Unterstützung zu bedanken.

Ich kann die Augen inzwischen kaum noch offenhalten und überlege, doch das Angebot der Schwestern anzunehmen, und mich im Angehörigenraum auf die Liege zu legen. Ich rechne zwar nicht mit Schlaf, aber die Augen brauchen zumindest etwas Dunkelheit. Ich stelle das Handy auf lautlos und begebe mich auf direktem Weg dorthin.

Ein sanftes Schaukeln weckt mich und als ich die Lieder anhebe, blicke ich in das mir vertraute Gesicht der alten Schwester, und noch bevor ich ein Wort rausbringe, kann sie ihre Informationen nicht mehr zurückhalten, „Ihre Frau ist wach und ansprechbar, die Tests waren alle sehr positiv, aber verraten sie mich nicht bei den Ärzten fürs Spoilern!“ zwinkert sie mir zu und hilft mir, mich aufzurichten, denn meine Muskeln scheinen sich noch im Tiefschlaf zu befinden. Dann reicht sie mir einen Becher Wasser, den ich in einem Zug herunterstürzte, denn ich möchte keine Sekunde verlieren, um Mae endlich wieder in ihre haselnussbraunen Augen zu schauen und sie in den Arm zu nehmen.

Auf dem Weg zu Ihrem Zimmer spüre ich wieder Tränen in mir aufsteigen und der erste Blick in Ihre Augen ist nur sehr verschwommen. Sie sieht arg mitgenommen aus und das Lächeln auf ihren Lippen scheint ihr bereits alle Kraft abzufordern. Ich nehme sanft ihren Kopf zwischen meine Hände, um ihr einen zarten, aber nur kurzen Kuss zu geben, damit ich sie nicht überfordere. Als ich mich wieder zurückziehen möchte, hält sie meinen Kopf an den ihren und haucht mir ins Ohr, „Wir werden schon bald wieder zusammen in den Sternen tanzen!“

-Ende-

Musik: Bad Letters

https://youtu.be/vyRBDWZwb9w

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