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1xhab ich gern gelesen
geschrieben von Bad Letters.
Veröffentlicht: 10.08.2024. Rubrik: Menschliches


Calzone & Tiramisu

Als ich glaubte, das rhythmische Geräusch deiner Schuhabsätze in der Stille des Morgens zu hören, brauche ich nicht auf die Uhr zu schauen, um zu wissen, dass es zehn vor acht ist. Auch wenn ich weiß, dass wir uns in genau zehn Minuten begegnen werden, schweifen meine Gedanken in die Vorstellung ab, welche Farbe du heute für dein Outfit gewählt hast. Es ist Freitag, ein guter Tag für Grün oder Blau, auch wenn du manchmal zu überraschen weißt, mit der Farbwahl deiner Kleidung.

Aber eines ist bereits gewiss, bei deinem Anblick wird mein Herzschlag sich rasant beschleunigen, und wenn ich den zarten Duft deines nur ganz dezent aufgetragenen Parfums wahrnehme, spüre ich förmlich den Frühling. Wenn deine Stimme dann noch ein schüchternes, „Guten Morgen, Herr Letters.“, über den Flur säuselt, dann werde ich förmlich dahinschmelzen, auch wenn das Thermometer zehn Grad Minus ausweisen sollte.

Ich nehme den letzten Schluck Kaffee, auf die Sekunde pünktlich, und beginne mit meinem Ritual, das ich, seitdem du neben mir wohnst, im Laufe der letzten Wochen soweit verfeinert habe, das auch garantiert ist, dass wir uns begegnen werden. Nur die Stelle der Begegnung variiert täglich etwas, um nicht deinem Verdacht ausgesetzt zu werden, dich abzupassen. Einen zufälligen Tag in der Woche gehe ich auch extra zwei Minuten später und wandle dann nur noch in einem Hauch deiner Parfümwolke. Das ist aber immer noch besser, als am Abend allein zu Hause zu sitzen und zu wissen, dass die Wahrscheinlichkeit, dir zu begegnen, eher gegen null strebt. Mir ist aber auch klar, dass ich dieses inszenierte Schauspiel nicht ewig fortführen kann, ohne dass du irgendwann Verdacht schöpfst. Aber diese Woche wird es sicher noch unbemerkt von dir bleiben.

Heute werden wir nur circa vier Meter voneinander getrennt sein, der schönste Tag der Woche für mich. Noch zwanzig Sekunden, bevor du deine Wohnungstür öffnen wirst. Ich gehe bereits vor und wühle dann wahllos in meinem Mantel, um den Eindruck zu erwecken, nach meinem Schlüssel zu suchen. „Guten Morgen Herr Letters, wo mag der Schlüssel denn heute wohl versteckt sein?“, und ein wohliger Schauer läuft mir über den Rücken, als deine Stimme meinen Gehörgang streichelt. Ich wage einen kurzen Blick und mein Mut wird wieder mit einer atemberaubenden Aussicht belohnt, die diesmal von einem blauen Farbton geprägt wird.

„Wenn ich das nur wüsste, Frau Bad. Einen guten Morgen wünsche ich!“ „Den wünsche ich Ihnen auch Herr Letters. Ich muss leider schon los, sonst verpasse ich noch meinen Bus!“, und diese wunderschöne Frontalansicht mit einem Lächeln, das so herzerwärmend ist, dreht sich fast schwebend in eine nicht minder attraktive Heckansicht. Dein Gang ist pure Balance, ohne auch nur eine Spur unnatürlich zu wirken. Wenn ich dir so hinterherschaue, frage ich mich oft, was du wohl beruflich machst, wenn du jeden Morgen ausschaust, als wärst du einem Hochglanz Modemagazin entsprungen.

Bestens gelaunt gehe ich meinem Tagewerk nach und träume die X-te Version des Tagtraumes, wie wir uns einmal näher kennenlernen werden, ohne auch nur die leiseste Ahnung davon zu besitzen, wie ich es schaffen sollte, dich ernsthaft anzusprechen. Was will eine Dame deiner Klasse schon von einem so einfachen Kerl wie mir? Es sollte mir eigentlich ausreichen, dass du mir dein ungezwungenes und offenes Lächeln schenkst. Mehr kann und sollte ich einfach nicht erwarten und so ärgere ich mich oft über meine romantisierten Tagträume, die jegliche Realität vermissen lassen.

Ich weiß, dass du freitags vor mir zu Hause bist, denn wenn ich von der Arbeit komme, brennt in deinem Küchenfenster schon oft das Licht. Ich zwinge mich aber geradezu, nicht in dein Fenster zu stieren, um bloß nicht als zu neugierig gebrandmarkt zu werden. So ist es auch heute, als ich den Treppenaufgang verlasse, sehe ich den schwachen Lichtschimmer aus deinem Küchenfenster scheinen. Stur gehe ich vorbei, auch wenn meine Augenwinkel eine Bewegung hinter deiner Küchengardine wahrnehmen.

Der frühe Abend verläuft wie immer. Ein Glas vom italienischen Roten, bevor ich den Pizzaboten beauftrage, mir meine Freitags-Calzone mit viel Knoblauch und einem frischen Tiramisu zu liefern. Als es zwanzig Minuten später klingelt, huscht ein Lächeln über mein Gesicht, denn niemand in dieser Stadt macht eine bessere Calzone und ein göttlicheres Tiramisu als Josephe, und weil ich seit Jahren bei ihm bestelle, bin ich freitags immer seine erste Lieferadresse, damit meine Calzone nicht in sich zusammenfällt, weil der Transportweg zu lange in Anspruch nimmt. Ich suche noch schnell mein Portemonnaie und auf dem Weg zur Tür zähle ich bereits den zu begleichenden Betrag inklusive Trinkgeld ab, bevor ich die Tür öffne. Ich erschrecke mich geradezu, als nicht nur Toni, sondern auch du vor meiner Tür stehst.

In Jogginghose, Wollpullover und Pantoffeln, die eindeutig schon bessere Tage gesehen haben. Meine Tagträume von eleganten Abendanzügen und feinster Spitzenwäsche, die deinen Körper nur spärlich verhüllen, brechen förmlich in einer Sekunde in sich zusammen. „Bona sera Toni, Bona sera Frau Bad.“, stammele ich, der unerwarteten Situation etwas überfordert, in den eiskalten Flur. „Hi Herr Letters, hier wie immer!“ entgegnet Toni „Josephe hat Ihnen heute noch eine Flasche vom guten Rotwein spendiert. Es ist wieder ein Jahr vergangen, seit Josephe Sie als Stammbesteller begrüßen durfte.“, drückt Toni mir meine Bestellung in die Hände. „Einen herzlichen Gruß soll ich Ihnen ebenfalls noch ausrichten!“

„Danke Toni, dito!“ Immer noch überrascht, händige ich Toni das abgezählte Geld aus, doch diesmal flitzt er nicht sofort wieder los, sondern blickt erst zu dir herüber, als wenn noch etwas unerledigtes auf ihn warten würde. „Ja, Herr Letters!“ ergreifst du entschuldigend das Wort, „wie soll ich sagen, ich habe es nicht kleiner, und der junge Mann kann heute nicht wechseln!“, wedelst du etwas verlegen mit einem hundert Euro Schein in der Luft herum.

Ich verstehe zuerst nicht, aber als ich vor deiner Tür ebenfalls eine Pizzabox entdecke, die auch noch genauso wie meine ausschaut, dazu noch eine Salatschachtel erspähe, begreife ich. „Haben Sie etwa auch bei Josephe bestellt? Das ist ja mal ein Zufall! Natürlich kann ich Ihnen aushelfen, Frau Bad. Nichts täte ich lieber. Darf man erfahren, welche Pizza Sie bestellt haben?“ frage ich neugierig, während ich hundert Euro in kleinen Scheinen zusammensuche und dir im Tausch anbiete. “Ja, natürlich dürfen Sie! Eine Calzone und einen gemischten Salat.“, und als du mir den hundert Euro Schein reichst, berühren sich kurz unsere Hände. Ich glaube, eine Millionen Volt durch meinen Körper fließen zu spüren, während sich alle meine Körperhärchen gleichzeitig aufstellen.

„Nicht möglich Frau Bad, ich dachte immer, ich wäre der Einzige, der sich eine Calzone zum Liefern bestellt, da sie ja schnell in sich zusammenfällt, wenn die Lieferung zu lange dauert!“, gebe ich verdattert wieder. „Ich liebe die Calzone!“, schwärmst du geradezu, “für mich ist sie die Königin der Pizzen und keine macht sie besser als der gute Josephe!“, und im Klang deiner wundervollen Stimme, schwingt pure Überzeugung mit. „Dazu ein Glas köstlichen italienischen Rotwein, was will man mehr.“, schließt du deine Laudatio an die Calzone.

„Ich will dich!“, hänge ich gedanklich an und spüre, dass ich etwas erröte, als du völlig unerwartet fragst. „In Gesellschaft, schmeckt sie allerdings noch viel besser, Herr Letters, haben Sie vielleicht Lust, mir heute Abend Gesellschaft zu leisten, während wir dieses italienische Gedicht verspeisen? Sie dürften auch gerne das passende Getränk beisteuern!“ dabei zeigst du auf die Rotweinflasche auf dem Boden und schenkst mir dann ein Lächeln, das meine Seele bis in den letzten Winkel flutet.

„Es wäre mir ein Vergnügen, Frau Bad, diesen sicherlich köstlichen Tropfen mit Ihnen zu teilen! Haben Sie schon einmal Josephe Tiramisu gekostet? Ich würde Ihnen auch gerne eine Hälfte zum Probieren abtreten!“, biete ich dir an, während ich meine Wohnungstür vorsichtig zuziehe. Als du bereits in deiner Wohnung verschwunden bist, pfeift Toni dezent vom Treppenaufgang, zwinkert mir zu und bildet ein Herz mit seinen Fingern, bevor er mit einem Gesichtsausdruck verschwindet, der nur eins bedeuten kann: Seine italienische Seele, spürte Amore, in der kühlen Luft des Flures.

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