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3xhab ich gern gelesen
geschrieben von Bad Letters.
Veröffentlicht: 04.08.2024. Rubrik: Menschliches


Einmal zu viel, zu spät

„Achtung, Achtung, die nächste S-Bahn nach Posemuckel kommt ausnahmsweise einmal pünktlich um 16:10 Uhr. Bitte halten sie sich bereit und notieren sie dieses außergewöhnliche Ereignis in ihrem Kalender, es wird so schnell nicht wieder vorkommen!“

Ich registriere die Information nur nebulös, irgendwo hallt sie in meinem Kopf wider. Mit gesenktem Kopf sitze ich frierend am Bahnsteig. Neben mir hängen 2 Dutzend Blumenköpfe schon leicht die Bank herunter. Schlechte Ware denke ich, oder sitze ich wirklich schon so lange hier?

Mir kommt dein letzter Satz in den Kopf „Komm bitte nicht zu spät“. Ha, ich und zu spät kommen, heiße ich Deutsche Bahn, oder was? Man, man, man, jetzt bloß nicht aufregen. Ich habe doch gewusst, dass du niemals pünktlich sein wirst. Warum habe ich Trottel mich abgehetzt und der Blumenfrau auch noch das Wechselgeld spendiert, nur damit ich zeitig da bin. Lerne ich denn nie dazu?

Sich auf dich zu verlassen ist das Gleiche, als wenn man sich eine Bahncard kauft. Garantierte Wartezeit inbegriffen! Das ausgerechnet mir, der seinen Tagesablauf minutiös plant, um den Tag optimal auszunutzen! Die kostbare Zeit, die einem geschenkt wird, bloß nicht vergeuden! Und dann kommst du daher, Planlosigkeit pur, aber mit guter Figur, einem charmanten Lächeln und einer Stimme, die mich dahin schmelzen lässt. Jedenfalls die ersten Minuten, bis ich die Flut von Informationen kaum noch verarbeiten kann.

Brisante Informationen wie: „Ich wusste gar nicht, was ich anziehen sollte und als ich dann fertig war, bin ich zu spät am Bus angekommen“. Da darf ich gar nicht weiter drüber nachdenken, sonst gehe ich steil wie ein HB-Männchen. Wie kann man seine Zeit nur mit so viel Nichtigkeiten verplempern.

Ich schaue auf die Uhr, erkenne das Ziffernblatt kaum noch, ob es sich vom Anschauen abnutzt? Das Warten macht mich bekloppt, oder war ich es schon vorher? Gedanken, die ins Nichts führen und somit vollkommen wertlos sind. Nein, halt! Sie verkürzen Wartezeit und sollen mir deshalb willkommen sein. Mehr davon! Mein Blick prüft den Blumenstrauß, schade um ihn, er hätte sich gut auf dem Frühstückstisch gemacht.

Meine Beine sind eingeschlafen und schmerzen. Ich nehme den Strauß und verlasse den Bahnsteig, erinnere mich an die alte Frau auf der Bank und steuere zielstrebig auf sie zu. Ich drücke ihr den Strauß in die Hand und einen Kuss auf die Wange. Ihr Lächeln trifft mich mitten ins Herz. Ich steige ins Taxi und murmele vor mich hin „Einmal zu viel, zu spät.“

( II )

Sie steigt aus der Bahn und sucht den Bahnsteig ab, aber ihr Blick fällt auf kein Ziel. „Scheiße, Scheiße, Scheiße!“ Entfährt es ihr und bevor das letzte Wort verhallt, laufen Tränen über ihr Gesicht. Hektisch sucht sie in ihrer Handtasche nach dem Smartphone. Eine ernüchternde Ansicht bietet der Touchscreen. Keine Antwort auf ihre SMS und kein Anruf in Abwesenheit. „Wofür, hat der Mann eigentlich ein Handy und warum stellt er den Klingelton ab, sobald er Feierabend hat?“ Wut steigt in ihr hoch, Wut über sich selbst, weil sie es wieder nicht geschafft hat, pünktlich zu sein, denn sie weiß ja, wie sehr er Unpünktlichkeit verabscheut. Wut auf ihn, weil er einfach nicht über ihre kleinen Fehler hinwegsehen kann.

Ob er vielleicht zu spät ist? Hoffnung keimt kurz in ihr auf, aber sie weiß, dass die Erde sich schon auftun müsste, damit das passiert. Er war bestimmt schon da und hat sich in seinen Unmut hineingesteigert, bis er am Anschlag war und ist dann einfach fortgegangen. Das kannte sie bereits und wunderte sich jedes Mal, wie man sich so aufregen kann, nur weil jemand anderes zu spät war. Wenige Minuten reichten bereits, um ihn in Fahrt zu bringen. Auf sein Handy konnte er bestimmt nicht gucken, weil er es mal wieder zu Hause gelassen hat.

„Wozu brauche ich ein Handy, wenn ich privat unterwegs bin!“ Hört sie ihn im Geiste reden und sieht dabei sein leicht abwertendes Gesicht vor sich. Ja, er hat auch so seine Macken, aber sie liebt ihn abgöttisch. Nur warum, fragt sie sich in manchen Momenten. Sie hat des Rätsels Lösung noch nicht gefunden und jetzt erst einmal andere Probleme.

Sie wählt seine Nummer, er könnte schon wieder zu Hause sein. Nach dem dritten Klingelton legt sie schnell auf. Vielleicht ist es besser, dass er nicht dran geht. Sie würde ihn mit Worten überschwemmen und das wäre kontraproduktiv. Nein, sie muss zu ihm und das so schnell wie möglich, wenn sie noch etwas retten will.

Sie rast durch den Bahnhof und Vorplatz und sucht nach einem Taxi. Zwei alte Frauen fallen ihr auf, die eine wild gestikulierend „Glaub mir doch, den hat mir ein wildfremder Mann geschenkt, wovon soll ich mir so einen Strauß leisten können!“ Ein kurzer Blick genügt und sie weiß, dass die Frau die Wahrheit spricht, sie braucht jetzt schleunigst ein Taxi.

( III )

Es klingelt an der Tür. Ich denke kurz noch einmal darüber nach, wie ich reagieren soll. So, wie ich die letzten 30 Minuten auch schon darüber nachgedacht habe. Meine Knie sind weich und es bildet sich ein dicker Kloß in meinen Hals. Ich verspüre eine innere Angst und Unruhe. Das darf nicht das Ende sein, aber es kann auch nicht so weiter gehen. Wie oft habe ich das schon gedacht, seit wir uns kennen.

Nochmals klingelt es und diesmal schaffen es meine Beine, sich zu bewegen. Ich öffne langsam die Tür und ich schaue direkt in deine Augen. Ich glaube in deinem Blick, dass zu entdecken, was ich gerade auch empfinde. Ich bemerke die Spuren auf deinen Wangen und die leicht geröteten Augen. Scham befällt mich und ich muss meinen Blick absenken, um meine Unsicherheit zu verbergen. Ich gehe einen Schritt zur Seite und du huschst stumm an mir vorbei.

Dieser Duft, wie ich ihn vermisst habe. Meine Augen haften auf deinem graziösen Gang und folgen jeder Bewegung. Warum kann sie nicht einmal pünktlich sein und warum schaffe ich es nicht, es ein einziges Mal zu tolerieren und nicht die Beherrschung zu verlieren. Ich schließe leise die Tür und traue mich kaum, mich umzudrehen. „Endschuldige!“ Kommt es gleichzeitig aus unseren Mündern.

Wir heben beide verwundert den Kopf und brauchen einen Moment, um die Situation zu begreifen. Es ist förmlich zu spüren, wie unserer beider Anspannung abfällt und wir gleichzeitig beginnen uns Worte des Verzeihens, um die Ohren zu hauen ohne, dass der Gegenüber überhaupt zuhört. Aber dafür ist später auch noch Zeit, nachdem sich endlich unsere Lippen finden.

THE END

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