Veröffentlicht: 22.07.2024. Rubrik: Nachdenkliches
Alter
Wann bin ich alt und ist es schlimm, alt zu sein ? Diese Frage beschäftigt mich bereits seit Jahren, denn als ich mit 40 Jahren bei meinem letzten Arbeitgeber vorgestellt wurde, sagte eine Kollegin leise – aber nicht leise genug: „och ne, nicht schon wieder so eine Alte.“ Als man in einem Unternehmen nach Einsparpotential suchte, schlugen junge „Überflieger“, die direkt von der Uni kamen, vor, man müsse nur die überbezahlten „Alten Säcke“ entlassen. Sie empfanden die Zusammenarbeit mit Nichtakademikern als eine Zumutung und sahen in jedem über 50 einen „Alten Sack“, den man – wie unnötigen Ballast – über Bord werfen sollte. Ich war verwirrt: wo zieht nun unsere Gesellschaft die Trennlinie zwischen jung und alt ? Bei 40 oder bei 50 Jahren ? Wikipedia legt die Latte nochmals höher und schreibt – sehr diplomatisch: „Laut Europarat gehören wir mit 65 Jahren zu den älteren Menschen.“ Eine nette Definition, mit der ich leben kann und lese weiter: „Allgemein wird hierzulande folgendermaßen differenziert: Mit 60 bis 65 Jahren setzt der Übergang ins Alter ein. Die Altersgruppe zwischen 60 und 74 Jahren sind die sogenannten jungen Alten“. „Na gut, denke ich“ und habe wieder die Bilder einer Beobachtung vor Augen, die ich bereits vor Jahren gemacht, aber nicht vergessen habe. Ein kleiner Junge rast mit seinem Roller auf dem Bürgersteig entlang und ruft einem Herrn zu, der ihm entgegenkommt :“ He alter Mann, mach Platz da“. „Schade, dass die Eltern ihrem Kind zwar das Rollerfahren beigebracht haben, aber nicht den Respekt vor Erwachsenen“, geht es mir noch immer durch den Kopf.
Ich besuche den Telekomshop, weil ich eine Frage zu meinem Handy habe. Nachdem ich meine Frage gestellt habe, schauen sich zwei Mitarbeiter hämisch grinsend an und man kann in ihren Gesichtern ablesen, was in ihren Köpfen vorgeht: „Die Alte vermisst bestimmt die Wählscheibe“. Ich entschuldige mich und sage, dass ich an einem Gendefekt leide. Ich wurde leider nicht allwissend geboren. Muss ich mich etwa dafür schämen, dass ich in meinem Kinderwagen mit einer Rassel statt einem Handy gespielt habe und dass diese Technologie für mich neu und nicht selbstverständlich ist ?
Wieso steigt nur der Wert bei Wein, Käse und Whiskey , wenn sie alt sind ? Ist die Lebenserfahrung eines Menschen völlig wertlos ? Oder sind es gar nicht die Lebensjahre, an denen „Alt“ und „Jung“ festgemacht wird, sondern unsere Falten ? Anzahl der Falten und Faltentiefe ? Das würde auch den zunehmenden Jugendkult erklären, der mittlerweile bizarre Blüten treibt. Anti-Aging-Produkte, in jeder Form und Preislage, haben dem Altern den Kampf angesagt.
Alt werden wollen alle, man sollte es halt nur nicht sehen.