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4xhab ich gern gelesen
geschrieben 2024 von Kargut (Kargut).
Veröffentlicht: 09.07.2024. Rubrik: Aktionen


Der Flohmarktbesuch ( Juliaktion )

Flohmärkte sind wie riesige Pralinenschachteln, deren Inhalt jedes Mal für Überraschungen sorgt. Manchmal finde ich edle Trüffel, ein andermal nur billige Blockschokolade und oft gar nichts. Ich muss nichts kaufen, um meinen Besuch als lohnenswert zu betrachten. Alleine die Beobachtung der exotistischen Besucherschar ist für mich eine Bereicherung – wenn auch nicht immer an positiven Eindrücken.
Da ich nie etwas Bestimmtes suche, sondern das Bestimmte auf mich zu warten scheint, schlendere ich planlos durch die Gassen. Links und rechts werden auf ausgeklappten Tapeziertischen und in Umzugskartons Waren angeboten. Absolut makelloses Geschirr, das einmal den Wohlstand einer Familie symbolisierte und sein Dasein in einer Vitrine gefristet hat. Sicherlich war es die Aussteuer einer jungen Frau und kostete ein Vermögen. Heute ist das komplette Konvolut für 50,- Euro zu haben, ohne zu handeln. Am Nachbarstand entdecke ich ein Fotoalbum, in dem Familienszenen aus vergangener Zeit verewigt sind. Jedes Bild liebevoll beschriftet und doch von den Nachfahren achtlos entsorgt. Die Lampe ist neueren Datums, passt aber nicht mehr zum Rest der Einrichtung – also weg damit. Mit 5 Euro wäre der Verkäufer bereits zufrieden.
Ein babilonisches Sprachgewirr umgibt mich und ich versuche, einzelne Sprachen zu erraten – aussichtslos, es sind einfach zu viele. Einem Verkäufer platzt der Kragen, als ein Besucher selbst bei dem Preis von 1 Euro noch versucht zu handeln. „Schleich di“, ruft er dem Besucher zu und nimmt das Objekt der Begierde, mit einem Ruck, wieder an sich.
Ich gehe weiter und beobachte einen Taschendieb, der im Vorübergehen ein Teil vom Tisch zieht und es unter seiner Jacke verschwinden lässt. „Legen Sie das wieder zurück“, fordere ich ihn auf und bekomme die dümmste Antwort aller Zeiten zu hören:“ Ich wollte es doch gerade bezahlen“.
Es folgen Stände mit Textilien – neu, aber auch gebraucht - und ein Stand mit Bilderrahmen. Für meine Aquarellbilder kann ich Bilderrahmen immer gut gebrauchen. Alte Holzrahmen sind neu unbezahlbar geworden. Meine Ausbeute ist gut und ich bekommen sogar noch einen, gratis, dazu. Ich freue mich. 2 bis 3 kg schwerer und 15 Euro ärmer, gehe ich weiter und entdecke eine Kiste mit Feldpostbriefen aus den beiden Weltkriegen. Sofort entstehen Bilder vor meinem inneren Auge. Die Mutter, oder die Ehefrau die sehnsüchtig auf ein Lebenszeichen aus der Gefangenschaft oder von der Front gewartet haben. Jedes dieser Papiere hatte für die Empfängerinnen einen unbezahlbaren Wert und wurde sicherlich unzählige Male gelesen und mit Tränen getränkt. Für die Nachfahren sind sie nichts als Altpapier.
Neben den Briefen stapeln sich kleine, abgegriffene Büchlein. Neugierig blättere ich. „Dienstbotenbuch“ aus dem Jahr 1891, in dem minutiös die Arbeitsverhältnisse eines jungen Mannes eingetragen sind, inclusive Beurteilung. Er war ein Knecht in Niederbayern. In einem anderen Einband entdecke ich ein altes Wirtschaftsbuch, im dem die ordentliche Hausfrau , für den Herrn Gemahl, ihre Ausgaben notierte und uns heute Aufschluss über die Lebensmittelpreise von anno dazumal gibt. Auch diese Büchlein wurden bei einer Haushaltsauflösung achtlos entsorgt.
Für mich sind genau diese alten Dinge die edlen Trüffel. Ich kann nicht alle erwerben, aber ich widme ihnen zumindest für einige Minuten die Aufmerksamkeit, die ihnen gebührt und konsumiere sie mit meinen Augen: Genuss pur.

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Kommentare zu dieser Kurzgeschichte

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geschrieben von Wanda Lismuss am 10.07.2024:
Kommentar gern gelesen.
Danke fürs Teilen Kargut, da fühlt man sich direkt mit dabei.

Wie sah eine Beurteilung eines Knechtes damals aus? Mit Noten?




geschrieben von Jens Richter am 10.07.2024:
Kommentar gern gelesen.
Hallo Kargut,
genauso empfinde ich es auch, wenn ich über einen Trödelmarkt schlendere.
Schon die Urenkelgeneration werden mit den Dingen nichts mehr anzufangen wissen, die für uns noch kostbar und heilig waren.
Sehr gern gelesen!
Viele Grüße von Jens




geschrieben von Kargut am 10.07.2024:

Danke, für die netten Kommentare. Es freut mich, dass Euch meine Geschichte gefällt.




geschrieben von Gari Helwer am 10.07.2024:
Kommentar gern gelesen.
Auch mir ergeht es so, wenn ich über einen Flohmarkt schlendere - sehr schön beschrieben, Kargut! LG

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