Veröffentlicht: 11.07.2024. Rubrik: Nachdenkliches
Schweigen
„Weist Du noch … ? „ diese Frage würde ich zu gerne einem der uralten Bäume stellen, die man vieler Orts bewundern kann. Ihre Geschichten wären sicherlich spannend, aber auch traurig. Bestimmt gab es auch lustige Episoden in ihrem langen Leben, die sie mir anvertrauen könnten. Die Bäume würden mir von Fürsten und Adligen erzählen, die in ihren prunkvollen Kutschen oder hoch zu Ross an ihnen vorbeigezogen sind. Von armen Menschen, die sich in ihrem Schatten, von langen Fußmärschen, ausgeruht haben. Liebespärchen, die hinter ihren Stämmen erste Küsse austauschten oder Kindern, die sie als Versteck nutzten.
Die alten Linden in meinem Geburtsort kannten noch den Klang der Schmiedehämmer und das emsige Treiben im benachbarten Eisenwerk. Ebenso die Pappelallee und den Teich, die der damalige Besitzer des Schmiedenhofs angelegt hatte und die wegen des Ausbaus der Straße und dem Neubau einer Brücke weichen mussten. Einer der Bäume könnte beschreiben wie es war, als er vom Blitz getroffen und in seinen Körper ein riesiges Loch gerissen wurde.
Eine 450 Jahre alte Rotbuche wüsste aus eigener Erfahrung zu berichten, wie grausam der 30- jährige Krieg und die gleichzeitig wütende Pest waren. Sie hat nicht nur den 1. Und 2. Weltkrieg, sondern auch die Zeit der Reformation, Bauernkriege und Besatzung durch Spanier, Franzosen und andere Völker überlebt. Ihr Alter entspricht dem von mehr als 5 Menschenleben.
Eine 800 Jahre alte Gerichtslinde, die im Zentrum eines kleinen Dorfs steht hat erlebt, wie man unter ihren – damals noch dünnen, aber ausladenden Ästen - tanzte, feierte und Verbrecher verurteilte. Sie könnte beschreiben, welche Kleidung die Menschen trugen, was sie aßen und was sie tranken. Welche Lieder sie sangen und welch drastische Urteile für – nach unserem Rechtsempfinden – geringfügige Vergehen verhängt wurden.
Extreme Wetter mit Hagel, Kälte, Dürre und damit einhergehenden Waldbränden gehören ebenfalls zu ihrem langen Leben, denn Naturkatastrophen gab es auch schon lange vor der Zeit des Klimawandels. In jedem Frühjahr lassen diese imposanten Monumente erneut ihr Laub sprießen, färben es im Herbst leuchtend bunt und werfen es im Winter wieder ab, damit sie im Lenz wieder zu neuen Leben erwachen können. Sie schweigen – gestern wie heute – und auch in Zukunft. Wir können Ihnen kein Wort entlocken und vielleicht ist genau das der Grund, warum sie so alt geworden sind.