Veröffentlicht: 28.06.2024. Rubrik: Menschliches
Quintett des Alltags
1) In der Lottobude
Sein Alter bleibt mir verborgen, aber sein Körper spricht Bände! Zitternd füllt er den Lottoschein aus, ein scheues warmes Lächeln schwebt herüber. „Ich weiß nie, welche Zahlen ich tippe, aber vielleicht freuen sich demnächst meine Enkel!“ Ich halte ihm die Türe auf, er schleicht, Rollator voraus und winkt noch einmal dankend, ohne sich umzudrehen.
2) Einkaufspassage
Er sitzt an der kalten Häuserwand, seine Kleider erzählen mir Geschichten. Eigentlich möchte ich sie nicht hören, aber ich kann mich ihnen nicht entziehen. Es sind Geschichten von erlebtem Leid, Schicksalsschlägen und verlorenem Glück. Ich werfe etwas in seinen Hut, sicher zu wenig, während er beschämt auf seine Hände blickt.
3) Am Straßenrand
Zu viert stehen sie am Straßenrand. Jede anscheinend auf einem anderen Kontinent geboren. Leicht bekleidet, dass Einzige, das wärmt, die Zigarette, die rauchen sie Kette. Der Qualm überdeckt wohl den Ekelgeschmack. In den Pausen einen heißen Café to go. Von zu Hause wagen sie nur heimlich zu tr… „Hey! Macht es eine von euch auch ohne Gummi?“…äumen.
4) Hinter dem Fenster
Ich fahre regelmäßig die gleiche Strecke und im Nachbarort an der dritten Ecke wohnt er, der Fremde hinter dem Fenster. Ich grüße nie, warum auch, wir kennen uns nicht, aber ich schaue oft hinüber, was er wohl gerade macht. Zeitung? Buch? Fernseher? Solo-Kniffel? Jeden Tag, ob morgens, abends oder nachmittags. Dieses Ritual ist mir mit den Jahren vertraut geworden, doch seit letzter Woche ist das Fenster leer.
5) Am Gleis
Eng umschlungen stehen sie regungslos zusammen. Der Wind alleine vermag ihre Tränen nicht zu trocknen. Worte voller Zärtlichkeit gehen im Trubel unter. „ALLES EINSTEIGEN BITTE!“ Ruft ein völlig emotionsloser Schaffner. Fingerspitzen verlieren sich im feuchten Nebel, und ein endloser Blick bleibt allein am Bahnsteig zurück. Ich fühle mit ihnen.