Veröffentlicht: 29.05.2022. Rubrik: Fantastisches
Kapitel 10: Fortsetzungsgeschichte, Ende offen
Wilhelms Pläne
Ich hockte fast reglos hinter der Bank, auf der Wilhelm saß, um jedes Wort seines Telefonats mitzukriegen.
„Diese Italiener sind mir zu umtriebig,“ sagte er gerade,“wenn die auf die Hennen losgelassen werden, habe ich bald kein Frühstücksei mehr.“
Sein Gesprächspartner lachte: „Dafür jede Menge Küken! Aber ich kaufe dir deine Italiener gern ab. Mit 30 bis 50 Tretakte am Tag sind sie geradezu ein Glücksfall für meine Zucht.“
„Leider habe ich nur einen Italiener. Der flitzt gerade wie ein Wilder im Hof herum und will weitere Hennen beglücken. Aber ich habe noch zwei andere Junghähne, die zwar nicht so tretaktiv sind wie die Italiener, sich aber auch für deine Zwecke eignen.“
„O.K.“, sagte der Mann am anderen Ende der Leitung, „mich wundert aber, dass dein Leithahn den jungen Spund so flitzen lässt.“
„Ach das ist kein Leithahn, er kann einem eher leid tun, der alte Ludwig. Der hat, glaube ich, die meisten Körner im Leben schon gefressen. Hat ja auch ein anstrengendes Leben gehabt mit seiner anspruchsvollen Ludmilla. Er kann zwar immer noch wunderbar krähen. Doch sein Krähen allein nützt nichts, wenn es um die Erhaltung der Rasse geht.“
„Aber Ludwig war doch nicht dein einziger Hahn. Was ist denn mit den anderen beiden?“
„Die sind schon lange jenseits von Gut und Böse,“ seufzte Wilhelm, „ich werde ab und zu Bruteier kaufen und sie der guten alten Berta unterschieben. Auf sie kann ich mich 100prozentig verlassen. Sie kümmert sich immer sehr liebevoll um die Küken. Die Kleinen lernen sehr viel von ihr.
Wahrscheinlich behalte ich auch nicht mehr alle Junghennen, es ist einfach zu viel Arbeit.“
Hieß das, Wilhelm wollte uns los werden? Nicht nur Charles, der offenbar der Hühnerrasse ‚Italiener‘ angehörte und wohl deshalb dieses unbändige Temperament besaß, das man auch den italienischen Menschen nachsagt? Hegte Wilhelm tatsächlich die Befürchtung, dass - wenn Charles bliebe - aufgrund der geballten Gockelkraft dieses Junghahns sein morgendliches Frühstücksei bedroht sei?
Ich war schockiert. Abgesehen davon, dass es mir auch um Charlotte leid tat, wenn sie den Vater ihrer zukünftigen Kinder aus den Augen verlöre. Aber ich tat mir auch selber leid, da ich mich an die Hühnerschar auf diesem Hof gewöhnt hatte und fast allen freundschaftlich verbunden war. Besonders schwer würde mir die Trennung von Charlotte fallen. So verrückt sie auch war, sie war meine beste Freundin und ich liebte sie sehr!
Es folgt Kapitel 11: Trennungsschmerz und Trennungsängste