Kurzgeschichten-Stories
Autor
Schreib, wie du willst!
Startseite - Registrieren - Login - Kontakt - Impressum
Menu anzeigenMenu anzeigen
7xhab ich gern gelesen
geschrieben 2022 von Christelle (Christelle).
Veröffentlicht: 26.05.2022. Rubrik: Fantastisches


Kapitel 9: Fortsetzungsgeschichte, Ende offen

Geschlechtsreif

**Carl Engelmann, Leben und Verhalten unseres Hausgeflügels. ISBN 3-7888-0430-0. Das Buch ist 1984 im Verlag Radebeul Neumann erschienen und jetzt nur noch bei ebay erhältlich
Dieses Buch spielt in der nachfolgenden Geschichte eine entscheidende Rolle.

Die Zeit verstrich wie im Fluge. Charlotte urteilte nicht mehr so unerbittlich hart. Im Gegenteil, sie zollte den drei Lieschen sogar Respekt, die - so schwach und überzüchtet wie sie waren - ohne fremde Hilfe durch Flucht dem sicheren Tod entronnen waren. Allerdings war es Glück, dass Wilhelm sie gefunden hatte, sonst wäre ein Überleben wohl kaum möglich gewesen.
Kurz gesagt: Charlotte war sanfter geworden und hatte ihre spöttische Art abgelegt.

Auch unsere drei Brüder sah sie nun mit völlig anderen Augen, wobei ihr Charles besonders imponierte. Er war für sie ein kluger und einfühlsamer Geselle, da es ihm gelungen war, das Vertrauen der drei Lieschen zu erringen.

Als wir ungefähr 20 Wochen alt waren, legte Charlotte ihr erstes Ei, das sie uns freudig gackernd präsentierte. Anscheinend gehörte sie einer frühreifen Rasse an, denn sie war die erste von uns, der dieses Kunststück gelang.

Sie flatterte aufgeregt zu Charles, um ihn aufzufordern, mit ihr zum Nest zu kommen, doch Charles schien ihre Aufregung nicht zu begreifen. Dann war das Ei verschwunden. Wilhelm oder die Kinder hatten es eingesammelt. Es dauerte ein paar Tage, bis Charlotte ihr zweites Ei legte.

Wir sahen, wie sie sich breitbeinig vor Charles duckte; da wussten wir, dass sie reif für den Paarungsakt war. Nur Charles hatte keine Ahnung, er glaubte sie wolle ihn ärgern und hackte seinen Schnabel in ihren Nacken.

Und was tat Charlotte? Sie lief in den Kräutergarten und pflückte ein Sträußchen Petersilie für ihn. „Petersilie ist ein Aphrodisiakum“, ließ sie uns wissen, „ich habe das Buch von Carl Engelmann «Leben und Verhalten unseres Hausgeflügels» ** studiert, dort wird es so beschrieben.“

Nur dass der Züchter vermutlich die Petersilie selber unters Futter mischt und diese Handlung nicht der Henne, die begattet werden will, überlässt, dachten wir. Aber Charlotte war eben in jeder Hinsicht ein außergewöhnliches Huhn.

Trotzdem schüttelten wir bedenklich die Köpfe. Wie war sie an ein Buch gekommen und wieso las sie es?
Hat je einer davon gehört, dass Hühner Bücher lesen? Und dann noch ein Aufklärungsbuch?

Nur wenige Wochen später war Charles in der Balz. Er warb offen um Charlotte. Dabei stolperte er gelegentlich über seine Flügelfedern. Es dauerte recht lange, bis der eigentliche Tretakt (so nennt man die Paarung bei uns Hühnern im Fachjargon) ausgeführt wurde. Der auslösende Reiz für die Begattung kam natürlich von Charlotte.
Sie duckte sich, damit konnte Charles sie einfacher besteigen. Sie achtete auch darauf, dass ihre Beine schön nebeneinander waren, um das Gewicht des Hahnes besser ausgleichen zu können. Ihr Hals war angezogen, dann setzte sich Charles auf ihre Schultern, sie drückte ihre Steuerfedern nach oben, damit diese nicht im Weg waren. Um besser auf Charlotte balancieren zu können, klammerte sich Charles mit dem Schnabel in ihren Nacken und spreizte die Flügel. Die Begattung dauerte vielleicht 30 Sekunden. Dann schüttelte Charlotte ihr Federkleid und Charles stolperte wieder über seine Flügelfedern. Ein letztes Mal umrundete er Charlotte, dann machte er sich auf die Suche nach einer anderen Henne. Jetzt hatte er begriffen, worauf es ankam und war nicht mehr zu halten.

Charlotte schien das nicht zu stören. Sie hatte bekommen, was sie wollte. Die ersten Eier, die sie nach dem Tretakt legte, waren noch nicht befruchtet, da die Produktion dieser Eier in ihrem Körper bereits begonnen hatte. Erst 40 bis 70 Stunden nach dem Tretakt würde sie das erste befruchtete Ei legen. Auch die darauffolgenden Eier würden befruchtet sein, so dass sie damit rechnen konnte, demnächst 5 bis 7 Eier ausbrüten zu können.

Charles flitzte immer noch über den Hühnerhof auf der Suche nach Hennen, die er beglücken konnte. Ich beschloss, mich aus dem Staub zu machen, denn ich war offenbar nicht so frühreif wie Charlotte. Schließlich hatte ich bisher noch kein einziges Ei gelegt.

Auf meinem Weg zurück zum Stall sah ich Wilhelm auf einer Bank sitzen. Ich stutzte, denn neben ihm lag das besagte Buch von Carl Engelmann. ** Jetzt wusste ich zumindest, wie Charlotte an dieses Buch gekommen war. Es gehörte Wilhelm, und sie studierte es, wenn sie es irgendwo liegen sah.

Im Augenblick telefonierte Wilhelm. Ich blieb stehen und lauschte. Er hatte sein Mobiltelefon auf ‚laut‘ gestellt, so dass ich auch seinen Gesprächspartner verstehen konnte. Doch was ich hörte, ließ mein Blut in den Adern gefrieren.

Es folgt Kapitel 10: Wilhelms Pläne

counter7xhab ich gern gelesen

Kommentare zu dieser Kurzgeschichte

Einen Kommentar schreiben

geschrieben von Christine Todsen am 26.05.2022:
Kommentar gern gelesen.
Wieder sehr hübsch geschrieben. Dass eine Henne ein Buch liest und sich entsprechend der darin enthaltenen Aufklärung verhält, finde ich allerdings etwas ZU unglaubwürdig: erstens können Tiere nicht lesen, und zweitens folgen sie ihren Instinkten. Um zumindest den ersten Punkt zu vermeiden, könnte man erwähnen, Wilhelm hätte einem Bekannten aus dem Buch vorgelesen und Charlotte hätte zugehört… Aber in der Rubrik „Fantastisches“ ist natürlich alles erlaubt!




geschrieben von ehemaliges Mitglied am 26.05.2022:
Kommentar gern gelesen.
Natürlich muss man Hühner nicht vermenschlichen. Andererseits spricht man bei Menschen auch schon mal von "Herumhühnern." Ich bleibe weiter an der Geschichte dran, auch wenn es für mich bedeutet, das geplante Chicken Curry wieder einmal zu verschieben.




geschrieben von Gari Helwer am 26.05.2022:
Kommentar gern gelesen.
Mir gefällt diese Fortsetzung, Christelle, klar kann man geteilter Meinung sein, ob Hühner Aufklärungsbücher brauchen - ich finde es witzig! LG :-)




geschrieben von Ohnelly am 26.05.2022:
Kommentar gern gelesen.
Liebe Christelle, ich finde deine Fortsetzungsgeschichte nach wie vor super, diesmal die Details: Also so viel wie heute habe ich noch nie über Hühner erfahren, da hast du wohl ganz ordentlich recherchiert ... man kann alt werden wie ein Huhn und lernt bei dir immer noch was dazu! Prima! lg C.




geschrieben von Christelle am 26.05.2022:

@Christine: Nach dem 1. Kapitel hatte ich die Rubrik in „Fantastisches“ geändert, gerade um meiner Fantasie freien Lauf lassen zu können. Zumal ich nicht immer die tatsächliche Lebenswirklichkeit von Hühnern beschreiben könne. In Kapitel 4 haben Wilhelms Hühner auch schon lesen können, zwar kein Buch, aber immerhin das Plakat: Das leckere Frühstücksei von Hormann & Wiese, für Sie von glücklichen Hühnern gelegt. Ich gebe dir recht, dass die ganze Geschichte unglaubwürdig klingt, aber es war von mir so gewollt.




geschrieben von Christelle am 26.05.2022:

@Horst: Diesmal komme ich dir nicht in die Quere. Ich habe nicht vor, meine Hühner als Chicken Curry enden zu lassen. Obwohl es ein sehr leckeres Ende wäre.




geschrieben von Christelle am 26.05.2022:

@ Gari und Conny: Etwas recherchiert habe ich. Ich besitze zwar nicht dieses Engelmann-Buch, aber ich hatte im Internet einen Artikel gefunden, der sich auf Carl Engelmann bezog. Trotzdem ist nicht alles ernst zu nehmen. Zum Beispiel der nach dem ersten Tretakt herumflitzende Charles. Der ist aus meiner Fantasie entstanden. Aber es gibt wohl Hühnerrassen, die 30 bis 50 Tretakte am Tag schaffen. Wenn Charles solch einer Gattung angehört, dann muss er doch flitzen!




geschrieben von Nordlicht am 27.05.2022:
Kommentar gern gelesen.
Ich hatte mich auch erst gewundert, wie Charlotte dazu kam dieses Buch zu lesen, aber du hast es lustig verpackt. Auf jeden Fall habe ich gerade sehr viel über Hühner gelernt.




geschrieben von Christine Todsen am 27.05.2022:
Kommentar gern gelesen.
Wie wird der Name "Charles" hier eigentlich ausgesprochen? Englisch ("Tschaals", mit stimmhaftem s) oder französisch ("Scharl")? Wahrscheinlich englisch, weil man hierzulande bei dem Namen vor allem an den britischen Thronfolger denkt. Von "Charlotte" dagegen gibt es ja außer der englischen und der französischen auch eine deutsche Ausspracheversion.




geschrieben von Christelle am 27.05.2022:

Danke, Nordlicht, aber nicht alles, was ich schreibe, entspricht der realen Lebensweise von Hühnern. Das mit dem „ Lernen über Hühner“ ist also mit Vorsicht zu bewerten, abgesehen von dem, was ganz offensichtlich meiner Fantasie entsprungen ist.




geschrieben von Christelle am 27.05.2022:

@Christine: vermutlich nimmt man die englische Aussprache für Charles. Vielleicht interessiert dich darüberhinaus, was ich über den Namen Charlotte zusammengetragen habe, und zwar für ein kleines Mädchen mit diesem Namen: „Der Name Charlotte hat einen althochdeutschen Ursprung. Er gilt als weibliche Form des Namens Charles, welcher auf den Namen Karl zurückgeführt werden kann, im Althochdeutschen also „karal“, was übersetzt „Geliebter“, „Mann“ und „Ehemann“ bedeutet. Der weibliche Vorname Charlotte bedeutet demnach „Die Freie“, „Die Tüchtige“ und „Die Geliebte“, im Französischen „Die kleine Freie“, „Die kleine Tüchtige“, da er sich aus den Silben „karal“ = frei (althochdeutsch) und „otte“ = Verniedlichungsform (französisch) zusammensetzt, außerdem wird er hier mit „Die Anmutige“ gleichgesetzt. Für den althochdeutschen Namen Charlotte gibt es verschiedene länderspezifische Entsprechungen und eine Vielzahl an Koseformen. Im spanischen Sprachraum ist der weibliche Vorname Carlota geläufig, im italienischen Carlotta und im englischen Charlet oder Charlette. Im Französischen ändert sich bei Charlotte nichts an der Schreibweise, sondern nur an der Aussprache. Der Name ist in Frankreich und in englischsprachigen Ländern sehr beliebt, was sowohl an dem schönen Klang, als auch an der Bedeutung liegen kann. Er gehörte auch lange Zeit zu den beliebtesten Vornamen für Mädchen in Deutschland und kommt seit 2016 wieder häufiger vor.“




geschrieben von Christine Todsen am 28.05.2022:
Kommentar gern gelesen.
Danke,Christelle! Sehr interessant. Wie wird bei dem deutschen Namen Charlotte das 'Ch' ausgesprochen? Ch, Sch oder K? Gibt es innerhalb des deutschen Sprachraums Unterschiede?




geschrieben von Christelle am 28.05.2022:

Ich würde Charlotte mit ‚Sch‘ aussprechen, wie es hier in Deutschland wohl meistens der Fall sein wird. Ich weiß leider nicht, ob es innerhalb des deutschen Sprachraums Unterschiede gibt. Es mag aber sein, dass es regional unterschiedliche Abkürzungen gibt wie Charlie oder Lotte. Oder auch unterschiedliche Verbindungen zu einem Doppelnamen wie Sophie-Charlotte oder Anncharlotte.

Weitere Kurzgeschichten von diesem Autor:

Kapitel 8: Fortsetzungsgeschichte, Ende offen
Drei Limericks
Kapitel 7: Fortsetzungsgeschichte, Ende offen
Shakespeare
Kapitel 6: Fortsetzungsgeschichte, Ende offen