Veröffentlicht: 09.05.2022. Rubrik: Historisches
Shakespeare
Conny Ohnellys Beitrag „Die Montagsgeschichten und das darin enthaltene „Fische-Versteckspiel“ sowie Ben Warricks „Zauberei im Kontextland“ haben mich daran erinnert, dass ich 2014 auch etwas in dieser Art geschrieben habe.
Vom 5. bis zum 14. Juli 2014 unternahmen wir mit einem privaten Freundeskreis eine Busreise in die Cotwolds und wohnten sehr zentral im Best Western Hotel in Stratford-upon-Avon, der Geburtsstadt William Shakespeares. Um uns später besser an diese Reise erinnern zu können, wurde jeden Tag von einer anderen Person ein Erlebnisbericht verfasst.
Mein Bericht handelt von der Stadtführung in Stratford und dem, was noch am 8. Juli 2014 geschah. Es war der Tag, an dem Deutschland das Fußball-WM-Halbfinale gegen Brasilien 7 : 1 gewann.
Unser Freundeskreis traf sich vorm Abendessen zu einem Umtrunk am Bus, genannt „Blaue Stunde“.
Last but not least: Wir waren nicht die einzigen Gäste im Hotel. Es fand dort gleichzeitig eine Konferenz der britischen Bestatter statt.
Unser Stadtführer Ian holt uns um 8:30 Uhr am Hotel ab und geht mit uns zur nahe gelegenen Clopton-Bridge, die über den Fluss Avon führt. Hugh Clopton war ein wohlhabender Wollhändler, später Bürgermeister in London, der Ende des 15. Jahrhunderts den Bau dieser Brücke finanzierte. Sie galt als die wichtigste Überquerung des Avon und hat dazu beigetragen, dass Handel und Handwerk in Stratford florierten. Doch in Bancroft Garden, dem ehemaligen Industrieviertel am Hafen, findet man kein Denkmal des bedeutenden Hugh Clopton, sondern eine Statue des 1564 geborenen William Shakespeares mit dem Shakespeare-Theater im Hintergrund.
Rundherum gruppieren sich kleinere Figuren, die Personen aus Werken des großen Meisters darstellen: HAMLET, HEINRICH V., Lady MACBETH, John Falstaff und Prinz HAL aus HEINRICH IV.
Und dann geht es weiter mit Shakespeare: Wir besichtigen sein Geburtshaus mit Garten, kommen an der Grammar School vorbei, die er besuchte, und erfahren, dass Vater John ein wohlhabender Kaufmann und Handschuhmacher war. Auch er war nicht gerade arm. Er ging mit einer Schauspieler-Truppe nach London, war dort an zwei Theatern beteiligt, arbeitete als Schauspieler und schrieb Werke zur Aufführung in seinen eigenen Theatern. Insofern sah er sich nicht als Künstler, sondern als Geschäftsmann.
Vermutlich war es ein früher Versuch DER WIDERSPENSTIGEN ZÄHMUNG, als er 18-jährig die 8 Jahre ältere Anne Hathaway heiratete. Es war eine „eilige“ Hochzeit, denn Tochter Susanna war bereits unterwegs. Später kamen noch die Zwillinge Hamnet und Judith zur Welt. Sohn Hamnet starb mit 11 Jahren, Tochter Judith heiratete den Weinhändler Thomas Quiney.
Shakespeare war erbost, weil Thomas weniger mit Wein handelte, als ihn selber zu trinken. Das führte dazu, dass er seine Tochter Judith enterbte. Schlimm genug, doch immerhin ist ihr das grausige Schicksal von ROMEO UND JULIA erspart geblieben.
Der Ehemann seiner Tochter Susanne, der tüchtige Arzt Dr. John Hall, wohlhabend und zuverlässig, war dagegen Shakespeares ganzer Stolz. Das Wohnhaus der Familie, Hall‘s Croft, ist heute noch zu besichtigen. Wir kommen auch an Nash’s Haus vorbei, wo Shakespeares Enkelin Elizabeth, geb. Hall, mit ihrem Mann Thomas Nash lebte.
Gleich daneben befand sich New Place, das zweitgrößte Haus am Platze und ganz aus Ziegelsteinen erbaut - von Hugh Clopton. Shakespeare kaufte es, als er aus London nach Stratford zurückkehrte. Dort verbrachte er seine letzten Lebensjahre. Nach seinem Tod im Jahr 1616 wurde es von Tochter Susanna und Enkelin Elizabeth bewohnt und später an die Nachkommen Hugh Cloptons verkauft.
Ein späterer Besitzer, Francis Gastrell, ließ es im Jahre 1759 abreißen, als ihm die vielen neugierigen Touristen lästig wurden. So ist New Place heute ein schöner Garten, der durch das nebenan gelegene Nash-Haus betreten werden kann.
Letzte Station unseres Rundgang ist die Dreifaltigkeitskirche (Holy Trinity Church). Sie ist deshalb berühmt, weil Shakespeare hier sowohl getauft als auch begraben wurde. Auch die meisten seiner Familienmitglieder liegen hier. Über allen thront ein Grabmonument des großen Sohnes der Stadt.
Aber warum ist Shakespeare so populär?
Beim Rundgang durch die Stadt wies Ian auf den ältesten Pub der Stadt „The Garrick“ in einem Fachwerkhaus hin, benannt nach dem im 18. Jahrhundert berühmten Schauspieler David Garrick. Der veranstaltete 1760 eine 3-tägige Gedenkveranstaltung zu Ehren Shakespeares, so dass Tausende von Besuchern nach Stratford kamen. Es gab VIEL LÄRM UM NICHTS Geringeres als die Komödien, Tragödien und Königsdramen Wlliam Shakespeares. Und es brachte auch Geld in die Stadt, so dass insbesondere die Geschäftsleute an einer Wiederholung interessiert waren. So gilt David Garrick als der Begründer des Shakespeare-Tourismus, der immer noch Geld und jedes Jahr weit über 1 Million Besucher in die Stadt spült.
Gleich neben „The Garrick“ befindet sich das Elternhaus (ebenfalls Fachwerk) von John Harvard, der später nach Amerika ging und dort die bekannte Harvard Universität ins Leben rief.
Außer unterschiedlichem Fachwerk (je mehr Holz verarbeitet wurde, umso wohlhabender war die Familie) gibt es im Ort Häuser aus grauem Kalkstein und aus dem wunderschönen honigfarbenen Cotswolds-Sandstein, der fast ein südliches Flair verbreitet.
Nach der Stadtführung heißt es: „Macht, WAS IHR WOLLT“ und „Macht es, WIE ES EUCH GEFÄLLT“. So geht jeder seiner Wege. Wir essen Fisch und Chips im KingFisher, wo sie laut Ian am besten sein sollen. Anschließend bummeln wir durch den Ort, während ein großer Teil der Gruppe eine Bootsfahrt auf dem Avon unternimmt.
Um 17:30 Uhr hat Heinrich eine „Blaue Stunde“ am Bus anberaumt. Es gibt Wein und Gerdas leckeres Dattelbrot. Das ist so schnell aufgegessen, dass es keineswegs VERLORENE LIEBESMÜH war, es zu backen. Es herrscht eine fröhliche Stimmung. Ausgelassener hätten auch DIE LUSTIGEN WEIBER VON WINDSOR nicht sein können.
Nach dem Abendessen ist Fußball angesagt. Deutschland spielt gegen Brasilien. In der ersten Halbzeit fallen die Tore so schnell, dass man manchmal denkt, es werde die Wiederholung angezeigt, insgesamt 5 an der Zahl. Am Ende steht es 7 : 1 für Deutschland. Die Brasilianer tun uns leid, dennoch siegt unser ENDE GUT, ALLES GUT-Gefühl.
Heinrich geht zum Tresen, um Getränke zu ordern. Er sagt, bei den Bestattern, die das Spiel im Nebenraum verfolgt hatten, herrsche Totenstille. Brasilien verharrt im Schockzustand und Deutschland bejubelt sein Traumergebnis - EIN SOMMERNACHTSTRAUM!