Veröffentlicht: 25.04.2022. Rubrik: Fantastisches
Kapitel 3: Fortsetzungsgeschichte, Ende offen
Clevere Charlotte
„Der Hahn als Friedensstifter?“
fragte Charlotte, „aber nicht nur! Hähne können auch Lebensretter sein. Wenn zum Beispiel Gefahr im Verzuge ist, warnen sie uns mit ihrem Krähen. Je nachdem wie sie ihr ‚Kikeriki‘ betonen, wissen wir dann, ob die Gefahr von unten oder von oben droht. Ist also ein Fuchs in der Nähe, fliegen wir alle nach oben und verstecken uns auch schon einmal in Bäumen. Wenn ein Greifvogel z. B. ein Habicht im Anflug ist, sehen wir zu, dass wir in unsere Ställe kommen.“
„Das wusste ich nicht“, sagte ich erstaunt. „Woher weißt du das alles?“
„Das hat Berta uns erklärt“, antwortete Charlotte, „wahrscheinlich hast du nicht aufgepasst.“
„Das ist ja super“, gackerte ich euphorisch, „wie schön, dass wir drei Brüder haben!“
Ich meinte es ernst, doch Charlotte lachte schallend bei der Vorstellung, dass aus unseren drei Brüderküken mal prachtvolle, den Hühnern Respekt einflößende oder sie beschützende Hähne würden.
„Schau sie dir doch an,“ sagte sie, als wir mal wieder mit Berta auf Erkundungstour waren, „die halten sich immer ganz nah bei der Glucke auf. Sie trauen sich nicht, mal eigene Wege zu gehen. Unsere Schwestern sind alle viel neugieriger und mutiger. Sie schwirren schon mal in die eine oder andere Richtung. Wer ein stolzer Hahn werden will, darf nicht immer an Mamas Federzipfel hängen.“
„Vielleicht haben sie vergessen, dass Berta unsere Glucke ist und finden sie attraktiv. Ich glaube, dass sie auf Freiersfüßen wandeln,“ wandte ich scherzhaft ein.
Charlotte gackerte erneut los: „Du meinst, sie sind auch noch vergesslich und blöde? Naja, wir werden ihre Entwicklung verfolgen!“
Dann wurde sie ernst: „Hast du dich schon einmal gefragt, wieso ein Hobby-Züchter wie Wilhelm eine Glucke wie Berta für gekaufte Bruteier braucht. Die nichts anderes tut als diese Eier auszubrüten und sich danach ca. 8 Wochen um die Aufzucht und Erziehung der Küken kümmert? Wieviele Hühner und Hähne müssten dann hier herumlaufen? Ich glaube, Wilhelm verkauft manche Küken und finanziert damit sein Hobby.“
„Warum sollte er das tun?“ fragte ich verblüfft, „er könnte doch einfach weniger Tiere halten. Dann wäre es billiger.“
Auch hierauf hatte Charlotte eine Antwort: „Er will seinen Töchtern was bieten. Kinder lieben Hühner, besonders die Küken. Du weißt doch, wieviel Spaß sie haben, wenn sie uns auf den Arm nehmen und streicheln dürfen. Und so wie es Wilhelm macht, vervielfältigt sich der Spaß: Mehrere Male im Jahr gibt es neue Küken für die beiden Mädchen und ihre Freundinnen. Obwohl Wilhelm als Hobbyzüchter relativ viel Federvieh besitzt, könnte er dies den Kindern ohne Berta nicht so häufig bieten.“
Wiederum war ich verblüfft, diesmal über Charlottes Gedanken. Charlotte war noch nicht fertig mit ihren Ausführungen.
„Kinder lernen auch viel im Umgang mit uns“, fuhr sie fort, „und zwar nicht nur über die Natur, sondern auch Verantwortungsbewusstsein, wenn sie uns füttern dürfen oder helfen, unsere Ställe sauberzumachen.“
„Woher weißt du das alles?“ fragte ich tief beeindruckt.
„Ich weiß es nicht, ich habe nur nachgedacht“, antwortete sie, „wir werden in den nächsten Wochen erfahren, ob ich richtig liege.“
Nach einer Weile, in der wir beide in unsere eigenen Gedanken vertieft schwiegen, hatte Charlotte eine neue Idee. „In knapp drei Wochen wird Berta nicht mehr auf uns achten. Was hältst du davon, wenn wir dann mal ausbüxen? Sozusagen Grenzen überschreiten?”
Es folgt Kapitel 4: Grenzen überschreiten vom 28.04.2022