Veröffentlicht: 23.05.2022. Rubrik: Fantastisches
Kapitel 8: Fortsetzungsgeschichte, Ende offen
Das Schicksal der drei Lieschen
Wir hatten es uns im Schatten der alten Eiche bequem gemacht. Wir - das waren Charles, Charlotte und ich. Charles wollte uns erzählen, was die drei Lieschen ihm anvertraut hatten.
Sie seien niemals Rekordhalter im Eierlegen gewesen mit ihren nur 300 Eiern im Jahr. Es gab schließlich Legehennen, die bis zu 400 Eier schafften. Dass sie so melancholisch waren, hing eher mit ihren kaputten Knochen und schmerzenden Füßen, Nachwirkungen des Lebens auf zu engem Raum, zusammen. Irgendjemand auf Wilhelms Hühnerhof hatte ihre Zurückgezogenheit und Traurigkeit falsch gedeutet und als Fake News weiterverbreitet. Nur die drei Betroffenen hatten davon bisher nichts gehört. Darüber konnten sie jetzt sogar lachen.
Die drei konnten ihm nicht sagen, ob die Legebatterie, wo sie zu Hause waren, die Firma Hormann & Wiese war, denn es war meist dunkel im Stall und Lesen hatten sie nie gelernt. Als Charles ihnen die Zeichnung mit der Eierlöffel schwingenden Henne und dem großen Ei unterm Flügel beschrieb, meinten sie, damals mal solche Flyer gesehen zu haben.
„Also doch“, sagte Charlotte, „sie kommen aus der gleichen Anlage, „aber wie ist Wilhelm auf sie aufmerksam geworden?“
Charles berichtete weiter: „Die drei hatten natürlich mitgekriegt, dass hin und wieder Hennen aussortiert, auf LKWs verladen und abtransportiert worden sind. Es waren in der Regel die Ältesten und Schwächsten. Sie wussten aber nicht, was mit denen passierte, ahnten jedoch, dass es nichts Gutes war.“
Eines Tages hielt sich einer der Männer etwas länger im Stall auf. Er hatte sich auf einen Strohballen gesetzt und schaute sich mit Hilfe seines Laptops einen Dokumentarfilm an, der gerade im Fernsehen lief. Er hatte sich so hingesetzt, dass unsere drei Hennen den Beitrag mit verfolgen konnten. Zunächst dachten sie, es sei ein Film über ihre Legebatterie, denn es ging dort genauso zu wie bei ihnen d.h. aussortierte alte Hennen wurden im LKW weggefahren.
Und dann trauten sie ihren Ohren nicht. Der Sprecher erklärte, warum diese Tiere doch noch von Nutzen seien; denn sie könnten zu Brühwürfeln verarbeitet werden. Wie das gemacht wurde, konnten sie nicht mehr verfolgen, denn es wurde ihnen schlecht.
Als sie wieder klarer denken konnten, fragten sie sich, warum Menschen die Tiere so schändlich behandelten. Nur um Geld zu scheffeln? Welch niederträchtiges Motiv! Die Eier der Hennen als „von glücklichen Hühnern gelegt“ zu vermarkten, war doch auch nur ein Trick, den Verkaufspreis nach oben zu treiben. Wie geldgierig konnten die Menschen sein!
Unsere drei Hennen wollten jedenfalls nicht als Brühwürfel enden und beschlossen zu fliehen.
Dann, als eines Tages das Tor geöffnet war, bewegten sie sich mit letzter Kraft auf ihren schwachen Beinen nach draußen, immer auf der Hut vor den Männern, die ihre Flucht nicht bemerken sollten. Sie fanden eine beschädigte Stelle im Zaun, wo sie durchschlüpfen konnten. Da sie nun außerhalb des Geländes waren, wähnten sie sich in Sicherheit und ruhten sich erst einmal im Gras aus.
Plötzlich wurden sie durch eine Männerstimme aufgeschreckt: „Na ihr Ausreißer, habt ihr euch verlaufen?“ Obwohl die Stimme freundlich klang, ergriff sie Panik. Es war Wilhelm, der ihre Angst bemerkte und sie kurzerhand mitnahm.
„Ich stehle euch nicht, ihr seid ja außerhalb der Anlage“, sagte er, „ich werde euch schon wieder aufpäppeln, ihr armen Kreaturen.“
„Sie sind Wilhelm immer noch sehr dankbar, dass er sie aus dieser Hölle gerettet hat“, beendete Charles seinen Bericht.
„Super recherchiert, Charly!“ strahlte Charlotte. Und wieder hatte sie diesen Glanz in den Augen. Und sie nannte ihn Charly, ein Kosename, nicht mehr Charles, stellte ich fest
„Oh, oh, Charlotte, du bist doch noch viel zu jung für Männer“, dachte ich, „und Charly ist viel zu jung für die Liebe!“
Es folgt Kapitel 9: Geschlechtsreif