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2xhab ich gern gelesen
geschrieben 2025 von Florian Link (Hanswurst).
Veröffentlicht: 25.02.2025. Rubrik: Nachdenkliches


Wurst- und Durstgeschichten - Mia und die Zukunft

Mia läuft durch die Stadt. Kopf unten, Schultern hochgezogen, als könnte sie sich so vor der Kälte schützen. Vor der Luft, die schwer ist, weil sie nach Autoabgasen und Regen riecht. Vor den Gedanken, die schwer sind, weil sie nach Zukunft schmecken.

Sie will nicht nachdenken, aber sie denkt doch. Seit Tagen. Zwei, drei Tage nach der Wahl und ihr Kopf ist ein einziger Knoten. 20 Prozent. Jeder Fünfte. Das sind nicht mehr die am Rand, das sind die in der Mitte. Leute wie ihre Nachbarn, Leute wie der Mann an der Supermarktkasse, Leute, die morgens in der Bahn neben ihr sitzen und ihren Kaffee aus Thermobechern trinken.

Sie spürt ihre Finger nicht mehr. Die Kälte zieht hoch in den Körper, als wäre sie nicht nur Wetter, sondern etwas, das in ihr drin ist. Etwas, das bleibt. Sie sieht die Schlagzeilen vor sich, die Gesichter in den Talkshows, diese glattgebügelten Anzüge, die so tun, als sei das Demokratie. "Wir werden sie jagen." "Wir werden das System zerstören." Sie hat das in der Schule gelernt: 1933. Und jetzt? Jetzt haben 20 Prozent so gewählt. Mia schüttelt den Kopf.

Ihr Magen knurrt. Laut. Sie zuckt zusammen, als wäre sie bei etwas Verbotenem erwischt worden. Essen, ja. Essen muss man. Egal, was passiert. Sie bleibt stehen, blickt sich um.

"Imbiss ums Eck."

Fettige Fensterscheiben, eine Tür, die aussieht, als hätte sie schon alles gesehen. Nicht ihr Laden. Nicht ihre Welt. Sie geht sonst in Cafés, in denen Hafermilch das Minimum ist. Aber jetzt ist alles egal. Mia zögert. Vielleicht ist das hier nicht ihr Laden. Aber ihr Magen lässt sich nicht abwimmeln. Sie schiebt die Tür auf. Sie geht rein. Sie fühlt sich dabei wie jemand, der in ein fremdes Wohnzimmer platzt.

Sie bleibt stehen, muss sich erst an das Licht gewöhnen. Nichts Hipsterhaftes. Keine Industrial-Ästhetik, keine Pflanzen in Töpfen, keine fancy Neon-Schilder mit „EAT GOOD FEEL GOOD“. Aber es ist warm hier, wärmer als draußen. Und es riecht nach Fett, nach Rauch, nach irgendwas, das auf dem Grill brutzelt. Mia bleibt stehen, tastet nach ihrer Mütze, zieht sie ab. Hinten am Tresen ein Mann, um die fünfzig, graue Haare, Gesicht mit Geschichte. Er sieht kurz hoch, dann wieder runter auf seine Würste.

In der Ecke zwei Männer an einem wackeligen Stehtisch. Einer in Lederjacke, der andere mit Schal, der aussieht, als gehöre er einem, der Kunst macht. Oder wenigstens so tut. Sie reden laut. Mia versteht zuerst nur Wortfetzen. "Scheiße." "Migration." "1933."

Sie geht zum Tresen. "Eine Currywurst. Vegan, bitte."

Der Mann hinterm Tresen hebt eine Augenbraue. Dann nickt er, dreht sich um, lässt die Pfanne zischen. Sie nimmt schonmal die fertigen Fritten, setzt sich an einen Tisch in der Ecke. Sie will nicht zuhören. Aber sie kann nicht anders.

"Die tun so, als wäre das das einzige Problem," sagt der mit der Lederjacke. "Als würde sich die Welt nur um Migration drehen. Dabei haben wir Inflation, Wohnungsnot, Klimawandel. Aber Hauptsache, die Leute haben einen Schuldigen."

"Ja," murmelt der mit dem Schal. "Weil es einfach ist. Wer wütend ist, will einfache Antworten. Wenn einer sagt: 'Die sind schuld!', dann ist das bequem. Wer will sich schon eingestehen, dass das System kaputt ist?"

Mia stochert in ihren Pommes. Schiebt sich eine in den Mund. Heiß, salzig, gut.

"Und dann diese Sprache." Der mit der Lederjacke zieht kräftig an seiner Zigarette. "'Wir holen uns unser Land zurück.' 'Wir jagen sie.' Das ist nicht mehr nur Rhetorik. Das ist von früher."

Mia sieht hoch. Die reden über genau das, was ihr seit Tagen im Kopf steckt. Sie wartet auf das "aber", auf das "früher war alles besser" oder das "so schlimm wird es schon nicht sein". Aber es kommt nicht. Die reden einfach weiter. So, als wäre es selbstverständlich, dass es keine einfachen Antworten gibt. Dass nichts einfach nur schwarz oder weiß ist.
Der Mann hinterm Tresen stellt einen Teller vor sie hin. Sie nimmt die Gabel, steckt die erste Wurstscheibe in den Mund. Schmeckt gut. Besser als gedacht.

"Die Welt ist verdammt komplex," sagt der mit der Lederjacke.

"Viel komplexer als 1970," murmelt der mit dem Schal.

"Aber die Leute wollen das nicht hören," sagt der Mann hinterm Tresen.

Mia nickt unmerklich. Denkt an ihre Eltern. An ihre Großeltern. Nicht, dass sie schlechte Menschen wären. Aber sie haben sich eingerichtet in der Welt. Und jetzt, wo alles bröckelt, sagen sie: "Das muss die Politik regeln." Oder: "Da kann man eh nichts machen." Sie hasst das.

"Das Klima ist keine Meinung," sagt der mit dem Schal.

"Das ist Wissenschaft," sagt der mit der Lederjacke.

"Aber es bringt nichts, mit Leuten zu diskutieren, die eh nicht zuhören wollen," brummt der Mann hinterm Tresen. Dann hebt er den Kopf, "Weißt du, was das Problem ist? Angst. Die Leute haben Angst. Und wenn du Angst hast, suchst du einen Schuldigen. Jemanden, der dir sagt, dass du nicht schuld bist. Und dann wird’s gefährlich."

Mia legt ihre Gabel ab. Ihre Finger sind wieder warm. "Und was soll man tun?" fragt sie leise.

Die drei Männer schauen sie an. Als hätten sie sie erst jetzt bemerkt.

Der Lederjackenmann zuckt mit den Schultern. "Reden. Widersprechen. Klarmachen, dass das nicht normal ist. Und nicht aufgeben."

Mia sieht in ihre Currywurst. Sie hat Angst. Sie fühlt sich klein. Aber zum ersten Mal seit Tagen hat sie das Gefühl, nicht allein zu sein.

Vielleicht ist es gar nicht so schlecht, sich eine Weile in einem alten, leicht muffigen Imbiss aufzuwärmen und eine verdammt gute vegane Currywurst zu essen.

Vielleicht gibt es doch noch Hoffnung.

Ende

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Kommentare zu dieser Kurzgeschichte

Einen Kommentar schreiben

geschrieben von Rautus Norvegicus am 26.02.2025:
Kommentar gern gelesen.
Sehr gut zu lesen, sehr gut geschrieben. Als würde man selber in dem Imbiss stehen. Ich hätte übrigens auch nur zugehört und nichts dazu gesagt. Weil ich in Ruhe meine Wurst hätte essen wollen.

Und übrigens: Die Hoffnung stirbt zuletzt :-)


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