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geschrieben 1990 von Rautus Norvegicus (Rautus Norvegicus).
Veröffentlicht: 01.03.2025. Rubrik: Spannung


Das Gebet

Hansen war nun seit zwei Wochen unterwegs. Das Schiff, auf dem er eine dreiwöchige Kreuzfahrt durch das Rote Meer gebucht hatte, glitt ruhig und souverän durch das spiegelglatte Wasser. Die nächtliche Stille wurde nur von dem Fauchen der Abgase, die aus dem gewaltigen Schlot der Passagier-Fähre in die klare Abendluft stiegen und von der gedämpften Musik aus dem großen Festsaal, gestört.

Dort feierte man gerade den Geburtstag von sieben Fahrgästen und Hansen war einer von ihnen. Er hatte den gesamten Abend mit einer hübschen brünetten Frau getanzt, die er beim Abendessen kennen gelernt hatte und sich eine Zigarettenpause redlich verdient.

Er kramte eine Schachtel 'Kamel mit Filter' hervor und zündete sich eine Kippe an. Während er den Rauch tief inhalierte, lehnte er sich gegen die hüfthohe Reling. Plötzlich durchlief ein Beben das Schiff, der gewaltige 12-Zylinder-Dieselmotor hatte eine augenblicklange Störung.

Hansen verlor den Halt. Überrascht wurde er sich bewusst, dass er über Bord gegangen war. Als er in das lauwarme Wasser ein tauchte, hatte er die Zigarette noch im Mund. Voller Panik begann er, mit Armen und Beinen zu schlagen und zu strampeln. Sekunden später hatte er sich zurück an die Wasseroberfläche gearbeitet.

„Hilfe, Mann über Bord!“ brüllte er verzweifelt“, 'Einmal trifft es jeden von uns, mein Schatz', schallte wie zum Hohn der Refrain eines Liedes vom Schiff aus zu ihm herüber, 'einmal kommt das Glück auch zu dir'. „Hilfe, Mann über Bord“, kreischte er wieder verzweifelt.

Der Ozeanriese hatte sich bereits mehrere hundert Meter von ihm entfernt, '...einmal... jeden...mein Schatz'. Der Refrain war nunmehr nur noch bruchstückhaft zu vernehmen. Ihm wurde klar, dass man sein Verschwinden erst beim Einlaufen in Asmara bemerken würde, wenn überhaupt!

Es sei denn... ach nein, seine Tanzpartnerin war zu betrunken gewesen, als dass sie etwas von seinem Verschwinden hätte bemerken können. „Ruhig, Hansen, ruhig,“ sagte er zu sich und begann dann, dem Schiff mit langen Zügen nach zu schwimmen. Das salzige Wasser trug ihn gut, so dass er sich nur darauf konzentrieren musste, vorwärts zu kommen.

Nachdem er zwanzig Minuten gekrault war, wurde ihm die Hoffnungslosigkeit seines Bemühens bewusst. Bis nach Asmara waren es noch gut 250 Kilometer gewesen. Diese Distanz würde er niemals zurücklegen können, wenn er auch durch seine Leidenschaft für Fußball und Handball einen hervorragend gut trainierten Körper hatte, dem er einiges zumuten konnte.

Er zwang sich, nicht mit seinem Unglück zu hadern. So hatte er in den nächsten Stunden nur die endlose Weite des offenen Meeres und den sternklaren Himmel vor Augen. 'Unser Planetensystem', dachte er, als sich Sekunden lang eine Sternschnuppe am Himmel abzeichnete.

Um sich ein wenig von seiner ausweglosen Situation abzulenken, versuchte er sich die Namen der 9 Planeten ins Gedächtnis zu rufen. 'Merkur, Venus, Erde, Mars, Jupiter, Saturn. Uranus, Neptun... ' und dann war da noch irgend etwas mit einem Comic-Hund gewesen, doch sein verzweifeltes Gehirn kam nicht auf den Namen.

Mittlerweile war die Sonne aufgegangen und strahlte glühend heiß auf ihn hinab. Bald lag ihm seine Zunge wie ein trockener Schwamm im Mund und seine Sinne begannen sich zu verwirren.

'Wenn ich jetzt sterbe, komme ich dann in den Himmel oder in die Hölle? Quatsch', beantwortete er sich selbst seine Frage. 'Die Hölle ist nur eine Erfindung der Kirche, damit die im Mittelalter ihre Ablass-Gutscheine verkaufen konnte. Und den Himmel gibt es genauso wenig. Was bleibt mir da noch übrig?

Jawohl, der bittere Tod, aber der ist immer noch besser, als sich hier das Hirn von der Sonne vertrocknen zu lassen!' Er stieß die Luft aus seinen Lungen. Sofort ging er in dem warmen Wasser unter.

Nach einer Minute fing sein Körper schmerzhaft an, nach Luft zu schreien, nach zwei Minuten wurde der Schmerz unerträglich.

Er strampelte und paddelte hektisch mit seinen brennenden Armen und Beinen, hatte so schnell die
Oberfläche wieder erreicht. Er schnappte nach Luft. "Oh mein Gott," rief er mit einem Blick um sich, "wann wirst du mich endlich erlösen?"

Tränen der Wut und Verzweiflung rannen ihm über die verbrannten Wangen, von denen sich die Haut in großen Fetzen löste und dem unbarmherzigen, salzigen Meerwasser das rohe Fleisch freilegte. Noch eine Stunde kämpfte er unfreiwillig den quälenden Kampf ums Überleben.

Dann endlich sah er sie. Sie strebte schnurgerade auf ihn zu. Eine Haifischflosse. Gott hatte ihn erhört!

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Kommentare zu dieser Kurzgeschichte

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geschrieben von Babuschka am 01.03.2025:
Kommentar gern gelesen.
So ein tragisches Ende! Ich hatte insgeheim immer noch gehofft, dass er irgendwie gerettet wird. Zugegeben, dieses Ende verleiht der Geschichte jedoch einen besonderen Pfiff.
LG Babuschka




geschrieben von Rautus Norvegicus am 01.03.2025:

Liebe Babuschka,

du scheinst ja richtig mitgefiebert zu haben. Das haut mich echt um :-)

Liebe Grüße

Rautus Norvegicus




geschrieben von Marlies am 02.03.2025:
Kommentar gern gelesen.

Sehr spannende Geschichte !
Ich weiß schon, warum ich keine Kreuzfahrten mache ,obwohl ich das Wasser sehr liebe .

LG
Marlies





geschrieben von Rautus Norvegicus am 02.03.2025:

Liebe Marlies,

freut mich, dass du die Geschichte spannend findest. Ich bin ja auch, wie eigentlich jeder Mensch, ein bisschen eitel
und genieße es, wenn ich anderen mit meiner Phantasie und Kreativität eine kleine Freude machen kann.

Liebe Grüße

Rautus Norvegicus


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