Veröffentlicht: 20.02.2025. Rubrik: Menschliches
Der Traum
Karl Weiß hatte eigentlich alles erreicht, was es für ihn in seinem Leben zu erreichen gab.
Im Ersten Weltkrieg hatte er gemeinsam mit dem berühmten General von Hohenstein Schulter an Schulter im
Schützengraben gekämpft, war später lebensgefährlich verletzt worden und hatte für seine Tapferkeit den Pour-le-Mérite Orden am Goldenen Schulterband verliehen bekommen.
Als der Erste Weltkrieg zu Ende war, hatte er in Hamburg bei seinem Vater auf einer Schiffswerft gearbeitet. Allerdings dauerte das ruhige Leben mit seinem alten Herrn nicht sehr lang, der verstarb im Alter von 78 Jahren.
Dann brach der Zweite Weltkrieg aus und man schickte ihn an die Ostfront. Nachdem er auch dort wegen Tapferkeit vor dem Feind positiv aufgefallen war und eine breite Reihe von Orden seine Brust schmückte, wurde er durch einen Kopfschuss so schwer verletzt, dass er kurz vor dem Ende des Krieges mit Glanz und Gloria ehrenhaft aus der Wehrmacht entlassen wurde.
Der Krieg ging ja auch dann verloren, was Karl nur auf seine Entlassung zurückführte.
Zurück in der Heimat widmete er sich dann mit aller Kraft und Energie seinem neuen Beruf.
Er hatte seiner Verletzung wegen, die er im Zweiten Weltkrieg erlitten hatte, vom Schauermann zum Bäcker umschulen müssen. Doch noch immer begleitete ihn der selbe Traum, der Traum, der schon in seiner Kindheit geboren worden war.
Selbst in der Eiseskälte in den Schützengräben Ost-Sibiriens hatte er ihn geträumt, obwohl die Küste und das Meer Tausende Kilometer weit entfernt waren.
Er hatte nämlich schon immer von
einem eigenen Schiff geträumt. Schneeweiß und 25 Meter lang sollte es sein.
Nun war es schon bald 96 Jahre alt und hatte in letzter Zeit emsig gespart. Denn unten, im Geschäft am Hafen, wartete ein wundervolle Schiff, das er unbedingt haben musste! Er nahm sein erspartes Geld und ging zu der Verkaufs-Filiale.
Als er dem Händler das Boot in bar bezahlen konnte, wölbte sich seine Brust. vor Stolz! Der nette Verkäufer versprach, das Boot bis zum nächsten Morgen zum Hafen zu schaffen und seeklar zu machen, so dass Karl nur einsteigen bräuchte und dann sofort in See stechen könne.
Nachdem er am Morgen ausgiebig gefrühstückt hatte, ging Karl zum Hafen hinunter.
Und dort lag es, bereit für ihn, zwischen zwei eleganten, je 25 Meter langen Segeljachten. Sein neues, schneeweißes Gummiboot!
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