Kurzgeschichten-Stories
Autor
Schreib, wie du willst!
Startseite - Registrieren - Login - Kontakt - Impressum
Menu anzeigenMenu anzeigen
1xhab ich gern gelesen
geschrieben 1989 von Rautus Norvegicus (Rautus Norvegicus).
Veröffentlicht: 12.02.2025. Rubrik: Unsortiert


Flucht in das Land der Tiere

Meine Lunge drohte zu zerspringen, Regen peitschten mir ins Gesicht. Ich hob beide Arme, um mich zu schützen und mir einen Weg durch die tiefhängenden Zweige zu bahnen. Das Blut rauschte in meinen Ohren und übertönte das Getrampel der Verfolger, die mir dicht auf den Fersen waren.
Der Weg wurde immer steiler, ich trat auf Steine, auf denen ich einige Male fast ausgeglitten wäre. Aber immer, wenn ich daran dachte, was passieren würde, sollte die wilde Meute mich einholen, bewegten sich meine Beine wie von selbst!

Um mal richtig durchzuatmen, blieb ich keuchend stehen und schaute mich um. „Mist, in die falsche Richtung gelaufen, was bist du bloß für ein Idiot,“ sagte ich bissig zu mir selber. Vor mir erhob sich zur Rechten eine massive Felswand, links konnte ich über abgeerntete Felder und Weiden sehen. Hunderte von Metern war da keine Gelegenheit,
sich zu verstecken.
Ich wollte mich schon in mein Schicksal ergeben, da raste aus den Weiden ein braunes Wildkaninchen heraus, direkt auf das Felsmassiv zu. Es kam auf mich zu galoppiert und erstaunt bemerkte ich, dass es kein normales Wildkaninchen war. Nur die große Entfernung hatte es so klein erscheinen lassen. Ich riss die Augen auf und schrieb das, was ich sah, dem Sauerstoffmangel zu, unter dem mein Gehirn nach der wilde Hetzjagd litt.

Das Kaninchen war groß wie ein Kalb! Nachdem sich auch die roten Schleier der Erschöpfung vor meinen Augen verflüchtigt hatten, japste ich lautstark auf. Auf dem Rücken des Tieres war ein Sattel und um seinen Kopf lag ein Halfter!
„Du scheinst Probleme zu haben,“ sagte es mit hoher Stimme zu mir. „Steig auf, mit meiner Hilfe wirst du entkommen, ich kenne einen Weg.“ Bei diesen Worten deutete es mit einer Kopfbewegung auf die schroffe Felswand.
Das Getrampel meiner Jäger hatte uns fast erreicht, ich konnte schon ihr Schnaufen hören. Ohne darüber nachzudenken, dass es solch große Kaninchen gar nicht geben konnte, sprang ich in den Sattel und griff nach den Zügeln.

In atemberaubenden Tempo, dabei geschickt wie eine Bergziege, jagte das Kaninchen mit mir auf einer Steige, die so schmal war, dass ich sie vorher nicht bemerkt hatte, die Felswand hinauf. Etwa in der Mitte der Wand befand sich ein üppiges Gesträuch, worauf das Kaninchen zu steuerte. Weit unter mir erkannte ich meine Verfolger, die soeben die Felswand erreichten.

Sie schwärmten aus und begannen, nach mir zu suchen. Das Kaninchen befand sich mit mir so hoch in der Wand, dass ich ihr Geschrei, welches sie sicherlich dabei ausstießen, nicht hören konnte. Dann hatte das Kaninchen das Gebüsch erreicht. Es war größer, als ich zuerst angenommen hatte; seine Ausmaße entsprachen etwa denen eines Scheunentores.

Das Kaninchen, ich hatte es inzwischen bei mir 'Hoppel' genannt, schloss seine schönen braunen Augen und sprang mitten hinein. Ich natürlich mit ihm, denn ich thronte noch immer fest im Sattel auf seinem Rücken und ich muss sagen, dass ich mich dort langsam recht wohl fühlte.
Auch ich hatte die Augen zum Schutz vor Dornen zu gemacht.
Hoppel setzte federnd auf und sagte dabei feierlich zu mir: „So, dass wäre geschafft. Öffne deine Augen und genieße den Anblick, der sich dir bietet. Atme tief ein und spüre die frische, klare Luft in deiner Lunge. Lasse deine Gedanken schweifen und halte sie nicht fest, denn hier, in unserem Land, wirst du immer nur aufs Neue an Wunderschönes denken.
Hier gibt es keine Kriege, keine Politik und keine Arbeitslosen wie bei euch draußen. Jeder hat genug zu Essen, einen Platz für die Nacht und unzählige Freunde.
Tja, wir primitiven Geschöpfe. Glaubst du, ihr habt es mit eurem Wissen besser als wir? Ich denke das nicht! Du kannst dir jetzt unser Land anschauen und dabei ein wenig über meine Worte nachdenken. Wenn du Hunger oder Durst verspürst, wende dich an irgend jemanden hier, jeder wird gerne bereit sein, deinem Mangel zu beheben.“

„Gut,“ sagte ich zu ihm, „aber wenn ich wieder nach Hause will, wie kann ich dich erreichen?“ „Das wird nicht nötig sein,“ meinte Hoppel, „es wird sich schon jemand finden, der dich transportieren kann.“ Und ohne einen Gruß hüpfte er davon.

Ich sah mich in der fremden Umgebung um. Es war fantastisch, was ich erblickte. Dichte Wälder und üppige Wiesen soweit meine Augen reichten, dazwischen immer wieder lustig plätschernde Bächlein. In ziemlich großer Entfernung machte ich einen größeren See aus und beschloss, hinüber zu wandern.

Hier, im Land der Tiere, schien es viel wärmer zu sein und ich zog meine Jacke aus. Nachdem ich einige Schritte auf der weichen Wiese gegangen war, fühlte ich mich unwahrscheinlich glücklich und frei. Wo waren die Sorgen, die ich hatte, bevor ich die Schwelle zu diesem wunderbaren Land überschritten hatte? Niemand verfolgte mich hier, nur darauf aus, mir Schmerzen zu bereiten. Niemand stellte Forderungen an mich, die ich nicht erfüllen konnte.

Ein klarer Bach kreuzte meinen Weg , ich beugte mich hinab, um meinen Durst zu stillen. Welch herrliches Aroma dieses Wasser hatte, da sage noch jemand, Wasser schmecke nach nichts oder nach Chlor. Als ich den ersten Schluck genommen hatte, konnte ich bereits den Geschmack eindeutig definieren: Es schmeckte nach Freiheit, Liebe und Geborgenheit. Dinge, die es in der Welt, aus der ich kam, nur noch sehr selten gab.
In dem kristallklaren Bach schwammen viele Fische, doch das hinderte mich nicht am Trinken. Nachdem ich meinen Durst gelöscht hatte, setzte ich meinen Weg nach dem See fort.

Plötzlich trat ein großer Wolf aus dem angrenzenden Wald und kam auf mich zu. Bei seinem Anblick erschrak ich heftig und zuckte zusammen. „Na,na, wer wird denn gleich Furcht bekommen,“ brummte er belustigt, „du scheinst vergessen zu haben, wo du dich befindest, hier wird dir kein Härchen gekrümmt. Sei ohne Sorge! Wir feiern dort im Wald, auf einer kleinen Lichtung, ein Freudenfest. Du bist herzlich eingeladen, daran teilzunehmen.“ Er lief vor mir her, mit stolz erhobenen Kopf und wedelnder Rute.

Ich folgte ihm in freudiger Erwartung dessen, was auf dem Fest veranstaltet würde. Wir traten nach einigen Minuten Fußweges auf die besagte Lichtung hinaus, auf der sich schon eine Großzahl von Tieren versammelt hatte. Welch buntes, prächtiges Bild bot sich mir!
Nicht nur Tiere, die in unseren Wäldern beheimatet waren, sondern auch viele Exoten hatten sich eingefunden.
Neben den mir persönlich bekannten Wolf und Kaninchen waren noch Fuchs, Luchs, Hirsch und Reh, Wildschwein und Skunk, Otter und Bisam dazu gekommen.
An fremdländischen Tieren erkannte ich Tiger, Gepard, eine hochbeinige Antilope und selbst einen Ehrfurcht gebietenden Löwen konnte ich ausmachen. Später erfuhr ich über ihn, dass er der letzte überlebende Löwe aus Gambia, dem kleinsten Staat Westafrikas ist. Alle seine Artgenossen wurden während der Kolonialzeit von Franzosen, Engländern, Holländern und vielleicht auch Deutschen, ausgerottet. Der König der Tiere hatte nur hier, im geheimen Land der Tiere überleben können!

Über allen stand eine dichte Wolke von Vögeln, die alle gemeinsam eine wohlklingende Symphonie schmetterten. „Na, wie gefällt es dir bis jetzt?“ fragte mich der Wolf, der sich unbemerkt von der Seite genähert hatte. „Feiert ihr Menschen auch zweimal im Jahr ein Fest der Freude und des Lebensmutes?“

„Natürlich“, beeilte ich mich zu entgegnen, „wir haben das Osterfest, das Weihnachtsfest und noch sehr viele arbeitsfreie Feiertage zwischendurch. Außerdem feiern wir den Tag unserer Geburt...“ „Nein, nein,“ unterbrach
mich der Wolf, „solche Feste meine ich nicht. Ich dachte an Feste, die zur Vereinigung der
Menschheit beitragen, wo alle gleich sind! Wo der Bettler neben dem König an der Tafel sitzt und mit ihm das gleiche Essen teilt!“

Der Wolf sah zum Himmel empor. „Es ist spät geworden, ich muss dich leider verlassen. Setze du dich an die Festtafel, iss, trink und höre die Berichte, die unser weit gereister Adler zu erzählen weiß.“ Zu seinen letzten Worten nickte er bedeutungsvoll mit dem Kopf, dann schnürte er trotz seines hohen Alters leichtfüßig wie ein junger Fuchs davon. Das er der Jüngste nicht mehr sein konnte, hatte ich an seiner graumelierten Schnauze erkannt und auch aus seinen schon etwas stumpfen Augen sprach bereits die Weisheit des Alters.

Ich suchte mir also einen Platz in Hörweite des Adlers, um dessen Geschichten zu lauschen. „Aha,“ sagte er mit knorriger Stimme, als er mich unter seinen Zuhörern erblickte, „habe ich also auch mal einen Interessierten von der Rasse der Menschen. So höre denn, was ich von meinen weiten Reisen zu berichten habe.“

Und er erzählte von schrecklichen Kriegen, bei denen sich die halbe Menschheit gegenseitig zugrunde richtete. Von grauenvollen Unfällen in Fabriken und riesigen Gebäuden, wo die Menschen Strom machten. Aber auch von der Zerstörung des Lebensraums der Tiere, durch unverantwortliches Handeln der Menschen.

Er berichtete davon, wie sie hilflose Tiere tagelang in große Autos sperrten, die sie Tiertransporter nannten, ohne Futter, ohne Wasser, so dass der Tod für diese armen Geschöpfe eine Erlösung war.
„All dies muss anders werden,“ sprach der Adler, „und zwar schnell, sonst sehe ich für die Zukunft der Menschheit schwarz!“

Und damit wandte er sich direkt an mich: „Ich weiß, es wird nicht einfach für dich sein, diese Botschaft an deine Artgenossen zu vermitteln, doch versuche es trotzdem. Vielleicht schaffst du es wenigstens einige wachzurütteln. Aber aus diesem Grunde haben wir dich nicht geholt, wir wollten vielmehr zeigen, dass es auch mit gegenseitiger Rücksichtnahme und Toleranz geht.
Der Tanz wird gerade von dem Zeremonienmeister, unserem gewaltigen Grizzly Bären, eröffnet. Siehe ruhig zu und wenn es dich gelüstet, suche dir ohne Hemmungen eine Partnerin und wage ein Tänzchen.“

Ich begab mich in die Mitte der Tiere, die ausgelassen und fröhlich tanzten und umher tollten. Zuerst bewegte ich mich ziemlich unbeholfen allein zwischen den Tieren, dann nahm ich all meinen Mut zusammen und ging zu einer brünetten, kleingewachsenen Wölfin.
„Entschuldigen sie“, sagte ich, „haben sie nicht Lust, ein kleines Tänzchen mit mir zu wagen?“ Die kleine Wölfin kicherte. „Nichts lieber als das, mein Herr, aber glauben sie nicht auch, es würde besser zu ihnen passen, mit einer Dame zu Tanzen als mit einem Jungwolf?“ Mit diesen Worten stand die vermeintliche Wölfin auf und errötend bemerkte ich meinen Irrtum.

„Aber sehen sie, meine Schwester sitzt alleine dort hinten unter der Buche, die würde sicherlich liebend gerne mit ihnen Tanzen.“ Ich begab mich zu ihr. “Ich habe gerade versehentlich ihren kleinen Bruder zum Tanz aufgefordert, eigentlich wollte ich ja mit ihnen eine flotte Pfote auf die Wiese legen. Darf ich sie nun um diesen Tanz bitten,“ sprach ich sie an und konnte ein verlegenes Grinsen nicht vermeiden.

„Aber natürlich,“ entgegnete sie kokett. „Schließlich kommt es ziemlich selten vor, dass mich ein junger Mann zum Tanzen auffordert“.
Ihre Lefzen waren zu einem charmanten Lächeln hoch gezogen, als wir gemeinsam zur Tanzfläche schritten. Ihre rechte Vorderpfote hatte sie geschickt bei mir untergehakt. Wir tanzten bis zum Morgengrauen, erst dann fiel mir auf, dass ich über all die Kurzweil, die mir die gastfreundlichen Tiere beschert hatten, meine Familie vergessen hatte, die sich bestimmt mittlerweile um mich sorgte. Außerdem war ich zum Umfallen müde. Gerade da
lief der Wolf, der mich zum Fest gebracht hatte, vor mir über den Rasen, .

„Hallo, Isegrim," sprach ich ihn an, denn seinen richtigen Namen kannte ich nicht. “Ich muss mich langsam auf den Weg machen, wer bringt mich zurück?“ Der alte Wolf lächelte, wohl war er belustigt über den Fabel-Namen, mit dem ich ihn gerufen hatte. „Das wird unsere Klettermaxe übernehmen, die Gemse. Ich hoffe, es hat dir ein wenig bei uns gefallen und du denkst an die Erlebnisse des Adlers, die er uns geschildert hat.
Es wird dir auch nicht möglich sein, uns zu besuchen, wenn dir der Sinn danach steht. Der Weg zu uns ist für Menschen allein nicht zu finden.“

Die Gemse war herbei getreten und nickte mir lächelnd zu. Von allen Tieren hatte ich mich schon verabschiedet, mit einer Ausnahme. Es war meine zierliche Tanzpartnerin, die Wölfin. Sie lag mit halb geschlossenen Augen in der hohen Wiese und linste zu mir herüber.
Als ich auf sie zuging, stellte sie sich auf die Vorderläufe und wedelte mit der Rute. Bei ihr angelangt, kniete ich mich nieder und umarmte sie. „Auf Wiedersehen,“ sagte ich zu ihr. Ich wollt noch mehr sagen, aber in meinem Hals schien ein Kloß zu stecken und ich kämpfte mit den Tränen. Schnell gab ich ihr einen Küss auf die Schnauze und begab mich dann zu der wartenden Gemse, die bereits gesattelt auf mich wartete.

Ich stieg auf und wir machten uns auf den Weg.
Schweigend erreichten wir den Fuß der Steilwand. Unten angelangt bedankte und verabschiedete ich mich auch bei ihr und machte mich auf den Heimweg.

Als ich zu Hause ankam, schleppte ich mich todmüde in meine kleine Wohnung, dachte nicht mehr an die betrunkenen Jugendlichen, mit denen ich in einer Kneipe in Streit geraten war, legte mich ins Bett und schlief sofort ein.

Erst Jahre später konnte ich die Botschaft dieser großartigen Tiere verbreiten. Ich schrieb einfach eine scheinbar fiktive Geschichte in der Hoffnung, dass deren tieferer Sinn verstanden würde.

counter1xhab ich gern gelesen

Kommentare zu dieser Kurzgeschichte

Einen Kommentar schreiben

Mehr von Rautus Norvegicus (Rautus Norvegicus):

Das Grauen
Die Fliege
Die gute Fee