Veröffentlicht: 09.02.2025. Rubrik: Unsortiert
Die gute Fee
Karl war es leid, immer hatte er Pech! Erst gestern hatte ihn seine Frau verlassen, und dass er vor
drei Monaten seine Arbeit verloren hatte, daran mochte er gar nicht erst denken. Aber das war ihm
jetzt alles egal.
Er rollte den Strick ab, den er sich gestern bei dem Seiler in der Degengasse besorgt
hatte. Er begann konzentriert und hingebungsvoll eine Henkerschlinge zu knüpfen.
Als er sich
diese um seinen Hals gelegt hatte, zündete er sich eine Zigarette, seine letzte Zigarette, an und
begann, diese mit tiefen Lungenzügen zu rauchen. Dann war nur noch ein Stummel von ihr übrig
und Karl stieg auf den Schemel, von dem er in den Tod springen wollte.
Das Tau mit der Schlinge befestigte er sorgfältig am Dachbalken. Seinem letzten Schritt im Leben,
aus dem Leben, stand nun nichts mehr entgegen, dennoch zögerte er, wartete auf das Wunder, das
ihm doch noch neuen Lebensmut geben würde. Und plötzlich gab es einen Knall und eine
wunderschöne Fee stand im Raum. „Lieber Karl“, sagte sie mit sanfter Stimme, „ das solltest du dir
aber noch einmal überlegen! Schau, was ich dir herbei zaubere!“
Und sie schwang den Zauberstab
und murmelte dabei geheimnisvolle Beschwörungsformeln. Aus dem Nichts erschien eine riesige
Truhe mit Gold, Edelsteinen und bündelweise Bargeld in verschiedenen Währungen. Als Karl
dieses Wunder sah, stieß er einen Jubelschrei aus! Das Leben war unter diesen Gesichtspunkten
wieder lebenswert für ihn geworden!
Er riss die Arme in die Luft und machte vor Freude einen Luftsprung, der Schemel kippte um. Der
Strick um seinen Hals zog sich zu und fing ihn auf, bevor seine Füße wieder den Boden erreichten.
Die gute Fee schüttelte den Kopf, zuckte mit den Schultern und verschwand wieder.
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