Veröffentlicht: 09.02.2025. Rubrik: Menschliches
Hinter dem Lenkrad der Einsamkeit
Die viel besungene und literarisch ausgeschlachtete Truckerromantik gehört für ihn schon lange der Vergangenheit an und mit der großen Freiheit auf der Landstraße sieht es auch nicht besser aus. Besonders wenn man auf Rastplätzen wie diesem aufwacht, wo der penetrante Latrinengeruch über Nacht schon in die Fahrzeugkabine dringt, in der er den Großteil seines Lebens verbringt. Da können auch die neu angepinnten und hüllenlosen Trucker-Babes, in aufreizender Pose am Wagenhimmel, kaum die Laune heben.
Ein Aufziehen des Vorhangs der Schlafkabine bringt erfreuliches in Sicht, die Sonne scheint! Nach vier Tagen Dauerregen auf den Straßen eine willkommene Veränderung. Die Tage bei Regen sind doppelt so anstrengend zu fahren wie bei trockenem Wetter. Aber immer noch angenehmer als die Nächte, in denen es schneit, da glaubt er nach acht Stunden hinter dem Steuer fast durchzudrehen. Jetzt gibt es aber Wichtigeres als das Wetter, zuerst muss die bleierne Müdigkeit vertrieben werden, die sich nur zu gewohnt mit hinters Steuer klemmt!
Ein Pott Kaffee muss her, aber nicht mit diesem WC-Aroma. Eine kurze Inspektion des Rastplatzes bringt Abhilfe, am Ende ist über Nacht ein Parkplatz frei geworden, der nicht in Windrichtung Toiletten liegt. Ein schnelles und geübtes Rangieren und die Luftqualität bessert sich schlagartig. Von gut, kann am Rande einer von Abgasen geschwängerten Autobahn aber nicht die Rede sein.
Die Bordküche ist schnell aufgebaut und nach kurzer Zeit hat der Gasbrenner das Wasser für einen Kaffee zum Kochen gebracht. Das erste Lächeln des Tages huscht über sein oft genervt dreinblickendes Gesicht. Das war auch mal anders, aber das ist schon lange her. Seit alles nur noch just in time geliefert werden muss und einem die Terminjäger permanent im Nacken hängen, ist der Spaß am Job ohne Rückflugticket verflogen.
Just in time bei einem Verkehr, der nicht mehr planbar ist! Kein Tag ohne Stau. Keiner! Nur noch zehn Jahre bis zum Ruhestand denkt er sich, wenn es gut läuft, sonst muss er noch drei Jahre dranhängen. Doch das verdrängt er am liebsten, denn es läuft nicht gut und die Zeiten werden immer schlechter. Die Konkurrenz aus dem Osten, die mit Preisdumping auf den Markt drängen, ruinieren seine Zukunftsaussichten geradezu.
Dazu kommen immer höhere Bußgelder für Verkehrsdelikte, die man einfach riskieren muss, um seinen Termin überhaupt halten zu können. Von Konventionalstrafen, wenn der Lieferzeitpunkt nicht gehalten wurde, ganz abgesehen. Immer mehr Baustellen, Baustellen, Baustellen und Tempobegrenzungen. Überall marode Brücken, bei denen man beim Drüberfahren sogar Angst haben muss, das andere Ende überhaupt zu erreichen. Wie soll man da noch positiv in die Zukunft gucken?
Nach dem Kaffee dreht er wie jeden Morgen eine Runde um seinen „Großen“, wie er seinen Vierzigtonner rührselig nennt. Liebevoll streichelt er die Sonderlackierung und speichert im Kopf ab, dass diese mal frisch aufpoliert werden muss. Die Reifen werden getätschelt und auf Beschädigungen untersucht. Das Fahrgestell sorgsam inspiziert und mit der Taschenlampe ausgeleuchtet.
Nach dem Rundgang reinigt er die Scheiben und Spiegel, richtet die Schlafstätte ordentlich her. Bei einem Blick auf die splitternackten Trucker-Babes überlegt er, ob er am Abend nicht dort Rast machen sollte, wo man für eine Handvoll Euro, sich ein bisschen Liebe erkaufen kann. Elfriede würde es sicher nicht gutheißen, aber sie weiß ja, wie verdammt einsam das Leben auf der Straße manchmal sein kann.
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