Veröffentlicht: 28.06.2022. Rubrik: Menschliches
Gaunerzinken
Als Barbara morgens früh die Tageszeitung aus dem Briefkasten nahm, sah sie, dass jemand mit leuchtend gelber Farbe ein kleines Kreuz auf dem Bürgersteig vor ihrer Haustür gemalt hatte. Sie erschrak. Was hatte das zu bedeuten? Es sah nicht nach Kinderkritzelei aus. War es nicht so, dass mögliche Einbrecher Zeichen mit unterschiedlichen Botschaften an Häusern hinterließen, um sich untereinander zu verständigen?
Sie lief zurück ins Haus und weckte Anton, ihren Mann. Als sie ihm von diesem Zeichen vor ihrem Haus erzählte, war Anton sogleich hellwach. „Na klar“, meinte er, „das wird ein Gaunerzinken sein. Den müssen wir sofort wegwischen, sonst meinen einige Ganoven, bei uns gäbe es etwas zu holen.“
Er zog sich schnell an, dann gingen beide zusammen zum Hauseingang. Bevor das gelbe Kreuz weggerubbelt wurde, fotografierten sie es, um die dahinter sich verbergende Botschaft später entschlüsseln zu können.
Mit Hilfe von Wikipedia wurden sie fündig:
Es gab bereits im 16. Jahrhundert Geheimzeichen des fahrenden Volkes, doch erst im 18. Jahrhundert nannte man diese Zinken. Das Wort leitet sich vom lateinischen Signum (Zeichen) ab. Betrüger oder Bettler nutzten Symbole, um Komplizen zu informieren.
Sogar Abbildungen der unterschiedlichen Zeichen waren bei Wikipedia hinterlegt. Diese hatten vielfältige Bedeutungen, z.B. ob ein Mann im Hause war oder eine alleinstehende Frau dort wohnte. Gab es einen bissigen Hund? Lohnte sich ein Einbruch oder nicht? Wie konnte man am besten ins Haus gelangen?
Auch Informationen über die Bewohner wurden weitergegeben, z.B. ob sie misstrauisch, gutmütig oder fromm waren, um nur einige Eigenschaften zu nennen.
Doch kein Zeichen glich dem gelben Kreuz, das sie gerade weggewischt hatten.
Außerdem lasen sie, dass diese Gaunerzinken heutzutage nur selten verwendet werden, und wenn, dann von organisierten Banden.
„Wir müssen die Polizei verständigen“, sagte Anton und griff zum Telefon.
Kurz darauf klingelte ein Polizeibeamter. Sie zeigten ihm das Foto mit dem gelben Kreuz und die genaue Stelle, wo es auf den Gehweg gemalt worden war.
Der Polizist konnte sie beruhigen. Er habe mit weiteren Anwohnern und mit Postboten gesprochen. Diese Art von „Gaunerzinken“ seien ein Zeichen, das Paketzusteller nutzen, um untereinander auf Leute hinzuweisen, die tagsüber zu Hause sind und netterweise Pakete für ihre Nachbarn annehmen. Seitdem immer mehr Leute online einkaufen, was insbesondere auch durch die Pandemie sehr zugenommen habe, bedienen sich die Paketzusteller dieses Systems, da sie extrem unter Zeitdruck stehen.
Trotzdem sei es richtig gewesen, die Polizei zu informieren.
Anton und Barbara lachten befreit, sie mussten sich nicht mehr sorgen, ins Visier von Einbrechern geraten zu sein. Sie dankten dem Polizisten.
Nach diesem aufregenden Morgen legten sie sich wieder ins Bett und schliefen erschöpft ein.
Barbara sah im Traum viele gelbe Kreuze, die wie Sterne auf dem Asphalt funkelten. Plötzlich schreckte sie hoch und rief: „Anton, Anton, wach auf! Du musst die gelbe Farbe aus dem Keller holen!“ „Warum das denn?“ fragte er verschlafen. „Gleich kommt der Postbote, er kommt immer um diese Zeit“, rief sie aufgeregt, „der wird das gelbe Kreuz vermissen, du musst es wieder auf den Bürgersteig malen.“
Und Anton tat, was ihm aufgetragen. Schließlich war auch er ein netter Nachbar!
Die Geschichte ist frei erfunden, beruht aber auf einer wahren Begebenheit. Unter dem Paket & Post Infoportal www.paketda.de ist ein solcher Fall dokumentiert. Wenn ihr diese Website öffnet, findet ihr zunächst drei Spalten: Sendungsverfolgung / Portorechner / Stichwortsuche. Dort gebt ihr rechts in der Spalte Stichwortsuche den Suchbegriff „Gaunerzinken“ ein, dann kommt ihr auf den Bericht, der mich zu dieser Geschichte animiert hat. Leider ist es mir nicht gelungen, den direkten Link hierhin zu transportieren.