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geschrieben 1984 von Jens Richter (Jens Richter).
Veröffentlicht: 02.09.2023. Rubrik: Abenteuerliches


Old Firegun I (Western)

2. Kapitel
Die Stampede

Einen straffen Tagesritt westlich von Springfield entfernt, auf saftigem Weideland, war eine deutsche Siedlung innerhalb kürzester Frist entstanden, die bald einhundert Seelen zählte.
Wie die Deutschen so sind, entstanden dazu Brunnen, ein evangelisches Gemeindehaus nebst Kapelle und gepflasterte Fahrwege.
Der Erwerbsschwerpunkt der Gemeinde Amerikanisch-Wahnsdorf war Gemüse- und Getreideanbau und Viehzucht, speziell von Rindern.
Schon fünf Jahre nach Gründung der Gemeinde trieben die Deutschen einen regen Handel mit den Städten Kansas City und Springfield sowie mit den einheimischen Indianern.
Für das Gemeindegebiet, dass sie einst selbst von einem Indianerstamm erwarben, gaben sie diesen Kartoffeln, Kohl und Rüben sowie Eier und Fleisch von Hühnern.
Jedes Jahr feierten die deutschen Siedler mit den Indianern ein Fest anlässlich des gelungenen Vertragsabschlusses.
Im Gegensatz zu anderen Gemeinden, wo das Recht des Stärkeren regierte, galt bei den Deutschen eine Ordnung, die auf den 10 Geboten Gottes beruhten.
Daher brauchte sich die Army auch zu keiner Zeit um diese Gemeinde kümmern.
Diese strenge Ordnung wurde von ihrem Gemeindevorsteher überwacht, der gleichzeitig als Schiedsrichter fungierte, sollte es doch zu Meinungsverschiedenheiten zwischen den Nachbarn kommen.
Wie bereits beschrieben, schien das seid fünf Jahren gut zu funktionieren.
#
Es trug sich zu, dass vier verwegene Reiter die Gemeinde anpeilten und geradewegs auf diese zuritten.
Diese Reiter waren schwer bewaffnet und man ahnte bereits, dass es an diesem friedlichen Ort schon bald Ärger geben könnte.
Henry Knöfler, so hieß der Ortsvorsteher, schnappte sich seinen Colt und trat aus dem Gemeindehaus.
Er wollte die Reiter empfangen.
Einen Augenblick später kamen die Reiter vor ihm zum Stehen.
"Wo gibt es hier einen Saloon?", fragte ein Ankömmling.
"Bei uns gibt es keinen Saloon", antwortete Henry.
"Ihr könnt sauberes Brunnenwasser bekommen und Brot, Fleisch und Gemüse kaufen."
"Kaufen!", grinste der Sprecher.
Die anderen Drei mussten lachen.
"Wir nehmen uns, was wir brauchen."
"Da seid ihr bei uns falsch", meinte Henry. "Reitet nur schnell weiter."
Der Sprecher fingerte nach seinem Colt.
Ehe noch seine Hand den Griff der Waffe umschloss, hatte Henry seinen Colt gezogen und zielte auf die Reiter.
"Ist schon gut, Mister."
"Knöfler", beendete Henry den Satz. "Ich bin hier der Gemeindevorsteher."
"Wir wollen keinen Ärger. Gebt uns von dem Wasser für unsere Pferde und für uns etwas Proviant und dann ziehen wir weiter."
Andere Deutsche traten der Szenerie hinzu.
"Die Waffen legt ihr aber ab. Wenn ihr unsere Gemeinde später wieder verlasst, erhaltet ihr sie zurück."
"Ungern!"
"Ach wisst ihr, wir leben hier gern im Frieden und bei Waffen bin ich mir nicht so sicher, dass sie zum Frieden beitragen."
Nachdem die Deutschen die Waffen an sich genommen und in das Arbeitszimmer von Henry gebracht hatten, durften sich die Reiter im Ort frei bewegen.
Doch Henry hatte stets ein Auge auf die Fremden gerichtet.
Zwei Stunden später zogen die Vier wieder von dannen, immer westwärts.
#
Zwei Tage später erreichten die vier Reiter nordwestlich von Amerikanisch-Wahnsdorf ein Camp.
Ein Mann schritt den Reitern entgegen.
Seine Miene wirkte streng und er fragte ruppig, "Gary, wie ich sehe, kommt ihr mit leeren Händen zurück, wozu sollte ich euch Taugenichtse eigentlich weiter durchfüttern?"
"Unsere Erkundungen sind so schlecht nicht gelaufen, Knife."
"Ach! Was also habt ihr vorzuweisen?"
"Erkenntnisse zu einer neueren Siedlung."
"Scherzkeks."
"Im Ernst. Diese Deutschen sind jedoch sehr wachsam und ihr Anführer ist verdammt schnell. Aber sie haben viele Rinder auf ihrem Weideland stehen, die wir uns holen könnten. Sie arbeiten am Tag draußen und abends werden die Rinder in eingezäunte Bereiche getrieben."
"Werden Sie nachts bewacht?"
"Warum? Sie sind doch eingezäunt!"
"Und am Tag?"
"Wir haben das Treiben der Deutschen einige Zeit beobachtet. Sie haben einige Männer auf den Weiden, die mit Jagdgewehren bewaffnet sind. Am Tag ist eine Aktion trotzdem ungünstig, weil man gleich gesehen wird."
Knife klopfte Gary auf die Schulter.
"Gary, vielleicht war euer Ausritt doch nicht so vergeblich. In meinem Kopf reift schon ein Plan."
"Später Knife, meine Jungs und ich brauchen was zum Kauen und einen guten Whisky. Die Deutschen hatten nur Wasser für uns.“
Knife grinste. "Ihr wisst, wo ihr euch die Bäuche vollschlagen könnt."
Die Männer sattelten die Pferde ab, banden ihre Läufe aneinander und tauchten im Camp unter.
#
Das Wetter wechselte.
Nach tagelangem Sonnenschein zog sich der Himmel jetzt zu.
Bald würde es regnen.
Das Weideland von Amerikanisch-Wahnsdorf grenzte an ein Waldstück.
Hier lagen ein Dutzend Männer in ihrem Versteck und warteten auf die Nacht.
Regnete es dann noch, konnte es gar nicht besser für sie laufen.
Der Regen würde alle Spuren auf natürliche Weise verwischen.
Die Männer auf der Lauer hatten vor, sobald die Nacht hereinbricht, die Abgrenzungen zu öffnen, um die Rinder raus zu treiben.
Das musste so lautlos wie möglich passieren.
Nichts war da geeigneter als heulender Wind und das Trommeln der Regentropfen.
Der Abend dämmerte bereits und Knife beobachtete wie die deutschen Siedler ihre Rinder ins Gehege trieben.
Die gutmütigen Tiere ließen sich das auch gefallen, ohne groß auszubrechen.
Die Gehege wurden anschließend geschlossen und die Männer gingen zu ihren Häusern.
Die Nacht folgte der Dämmerung und fast gleichzeitig setzte der Regen ein.
Knifes Männer verließen die schützende Deckung und auf ihren Pferden sitzend, trabten sie zu den Gehegen.
Sie vermieden beinahe jedes laute Geräusch, um nicht aufzufliegen.
Nachdem sie die Gehege geöffnet hatten, trieben die Männer die Rinder, etwa 200 an der Zahl, auf die Weiden.
Wie es Knife voraussah, verschluckte Wind und Regen jedes verräterische Geräusch.
Man bewegte die Tiere östlich in Richtung Springfield und nahm dann den Weg parallel des Gebirgszuges in Richtung Kansas City.
Am frühen Morgen hatten Knifes Männer schon einiges an Boden gut gemacht.
Knife hatte seine Männer in zwei Gruppen eingeteilt.
Ein halbes Dutzend der Bande trieb die Tiere voran und das zweite halbe Dutzend bildeten die Nachhut.
Da das Gebirgsvorland, ohne nennenswerte Erhebungen, flach ist, konnten sie schon von Weitem erkennen, wenn die Deutschen ihnen folgten und sie aufreiben.
#
In Amerikanisch-Wahnsdorf herrschte helle Aufregung.
Man war entsetzt, dass ein Großteil der Rinder fehlten.
Rinder waren immerhin die Haupteinnahmequelle der kleinen Gemeinde.
Unter den Leuten machte sich schiere Verzweiflung breit.
Henry Knöfler untersuchte die Spuren und das Gehege ab.
Dann fand er, eingeschlagen in einem Balken, ein Messer stecken.
"Knife!", knurrte er. "Deine Handschrift ist unverkennbar."
Henry hatte in Springfield von Knifes Bande gehört, die alles raubte, was ihnen in die Finger kam und welche selbst vor Mord und Totschlag nicht zurückschreckte.
Als "Markenzeichen" ließ er an jedem Tatort ein Messer zurück.
Er versammelte zügig eine größere Anzahl Männer um sich.
Alle Männer der Gemeinde, die reiten konnten und obendrein eine Waffe besaßen, nahmen die Verfolgung auf.
Uneinholbar weit konnten die Rinderdiebe nicht gekommen sein.
Denn die Wiederkäuer kamen nicht nur langsam voran, sie brauchten auch reichlich Gras und viel Wasser.
Sie hatten bestenfalls einen Vorsprung von drei Reitstunden.
#
Schon am späten Nachmittag war die Herde in Sicht und die Nachhut der Banditen gab erste Salven als Warnung auf die Verfolger ab.
"Nehmt jetzt eure Gewehre, zielt gut und schießt", befahl Henry. "Wir haben gegen sie nur eine Chance, wenn wir sie hart attackieren."
Die Deutschen erwiderten das Feuer mit gut gezielten Schüssen.
Aufgrund der Überzahl der Verfolger war die Nachhut recht schnell außer Gefecht gesetzt.
Für Knife wurde die Situation brenzlig.
Er bekam schnell das Dilemma mit, in dem er und seine Männer steckten.
Wenn sie von den Deutschen gefasst werden, dann würden sie als Viehdiebe am Galgen enden.
"Leute", brüllte er, "wir verdrücken uns lieber. Lasst die Rinder zurück!"
Die Männer folgten seinem Rat und so setzten sich alle an die Spitze der Herde ab.
Dann hatte Knife eine bessere Idee.
"Wir lösen eine Stampede aus!", meinte er. "Auf mein Kommando drehen wir um und stürmen auf die Rinder zu. Schießt dabei in die Luft, dass die Viecher erschrecken."
*Eine Stampede ist eine unvermittelte Fluchtbewegung einer Tierherde, die alle Tiere erfasst und diese unkontrollierbar macht.
Erst wenn die Panik, die die Stampede ausgelöst hatte, abgeklungen ist, beruhigen sich die Tiere.
Die Flucht kann über einige Meilen hinweg erfolgen.
Er hob die Hand und die verbliebenen sechs Reiter wendete auf der Stelle und ritten im Galopp der Herde entgegen.
Die Rinder erschraken tatsächlich und machten ebenfalls kehrt und preschten auf die Deutschen zu.
Die Verfolger hatten jetzt keine andere Möglichkeit, als die wilde Jagd aufzugeben, um sich selbst in Sicherheit zu bringen.
Einige Deutsche wichen zur Seite aus und andere machten eine 180-Grad-Kehrtwendung.
Zum Schluss kam glücklicherweise keiner der Deutschen zu Schaden.
Die Rinder beruhigten sich irgendwann, konnten zusammengetrieben und anschließend zur Gemeinde zurückgebracht werden.
#
Henry indessen nahm die Spur der Bande auf, die Tage später in Kansas City verloren ging.
"Ich schwöre dir Knife, ich werde nicht locker lassen und dich fassen. Dann werden wir die Angelegenheit wie Männer beenden."
Aber was er da von Kansas City sah, faszinierte ihn.
Die Stadt bei den beiden Flüssen war in unheimlicher Geschwindigkeit gewachsen und es herrschte ein buntes Treiben in den Straßen.
Es gab Bäcker, Bars, Fleischereien, Handwerksbetriebe, Kneipen, große Stores und viele Frauen.
Er spürte, dass es für ihn Zeit war, um aus dem alten Leben auszubrechen und einen neuen Lebensabschnitt anzugehen.
Er wollte seine Einsamkeit beenden.
Vielleicht gab es für ihn hier eine Anstellung als Marshal.
Mal sehen!
Er dachte das erste Mal nicht an seine täglichen Pflichten in seiner Gemeinde und an diesen Knife, der Amerikanisch-Wahnsdorf beinahe aufgemischt hatte.
Als er Tage später wieder in seine Gemeinde zurückgekehrte, dankte er als Gemeindevorsteher ab.
Pfarrer Riemann übernahm derweil sein Amt, bis ein neuer Mann an die Spitze der Gemeinde gewählt wurde.
"Denke bitte daran, mein lieber Joachim, bewahre den Frieden zwischen den Menschen im Ort und den Indianern. Vielleicht kehre ich später wieder hierher zurück."
"Wir würden es uns wünschen", sprach der Pfarrer.
"Ich möchte in die große Stadt, eine Frau finden und eine Familie gründen. Hier wartet niemand auf mich."
"Gottes Segen hast du. Pass nur gut auf dich auf!"
"Das werde ich."
Beide Männer umarmten sich.
Henry belud sein Pferd mit ein paar Habseligkeiten, stieg in den Sattel und so ritt er davon.
Die Leute sahen ihm noch lange nach, ehe sie wieder an ihr Tageswerk gingen.

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