Veröffentlicht: 17.08.2023. Rubrik: Abenteuerliches
Das Versprechen (Western)
Der Osage hob die Hand mit dem Tomahawk und wollte es auf den Schädel des Korporals sausen lassen, als er plötzlich innehielt.
Unter ihm lag der Mann, der ihn vor Jahren, als er noch ein Jugendlicher war, vor dem sicheren Tod gerettet hatte.
Heute war der Indianer ein angesehener Unterhäuptling.
Die Osagen hatten dieses Scharmützel gegen die verhassten Blauröcke in der Prärie für sich entschieden.
Der Korporal war der einzige Überlebende.
Er gehörte einem Schwadron an, das versucht hatte, die Dörfer der Osagen zu überfallen, um das Volk in Reservate zu verbannen.
Young Rifle-man hatte sich mit seiner Horde Jungkriegern an die Fersen der Soldaten geheftet, diese umstellt und noch vor der abendlichen Dämmerung angegriffen.
Das Schwadron hatte keine Chance, zu groß war dir kämpferische Überlegenheit der Osagen.
Der junge Häuptling ordnete nach dem Sieg an, die Waffen der Blauröcke einzusammeln und war auf den Korporal gestoßen, der durch einen Fausthieb niedergestreckt worden war und nun aus seiner Ohnmacht erwachte.
Ansonsten war der Soldat unverletzt.
Young Rifle-man untersagte seinen Kriegern, dass sie den toten Feinden die Skalpe vom Kopf schnitten.
Das hatte er der Erziehung seiner Mutter zu verdanken, die eine deutsche Auswanderin war und mit seinem Vater, dem Häuptling des Stammes, in einer spirituell fruchtbaren Beziehung lebte.
Sie war eine kräuterkundige Heilerin und die weiße Lehrerin des Stammes.
Ihr Wort hatte beim Rat der Alten großen Einfluss.
Auf Grund ihres Verhandlungsgeschickes mit den Weißen lebten beide Seiten lange Zeit friedlich nebeneinander.
In der Zeit, in der sich diese Geschichte zutrug, kurz nach dem Bürgerkrieg, war das unmöglich geworden.
Der neue Präsident wollte das gesamte Land erschließen und da standen die Urvölker Amerikas in der gesamten Fläche im Weg.
"Geh fort von hier, Bleichgesicht.", sprach der Häuptling. "Bringe deinem Häuptling die Kunde, dass dies unsere Heimat ist und wir euren Landraub ab jetzt mit Gewalt begegnen werden. Hough!"
Er half dem noch benommenen Korporal auf die Beine, gab ihm Colt sowie Säbel zurück und ließ ihn davon reiten.
Young Rifle-man spürte schon lange, dass der Untergang seines Volkes auf Messers Schneide stand.
Doch dieses Schicksal wollte er abwenden.
Er richtete seinen Blick auf diesen Mann, bis er in der Ferne nicht mehr zu erkennen war.
In diesem Augenblick ging ihm diese alte Erinnerung durch den Kopf.
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Es war noch keine zehn Jahre her, da war er auf dem Pfad der Mannwerdung.
Das heißt, dass der pubertierende Jugendliche auf sich allein gestellt, einen Sommer und einen Winter in der Wildnis überleben musste.
Nichts außer einem Messer, seiner Kleidung und dem Pferd, dass er selber eingeritten hatte, durfte er bei diesem Einweihungsritual bei sich haben.
Er durchstreifte die Prärie, um sich ein sicheres Winterlager zu suchen.
Der Herbst neigte sich dem Ende und der Winter, mit seinen ersten Nachtfrösten stand unmittelbar vor der Tür.
Er hatte sich in den vergangenen Wochen nach alter Tradition passende Kleidung genäht.
Nach erfolgreicher Jagd nutzte er das erlegte Wild bis auf die Knochen.
Das Fleisch verzehrte er, aus den Tierfellen und Sehnen entstanden Leggins, Hemden und Mokassins.
Ein dickes Büffelfell diente ihm als Umhang.
Mit seinem Messer hatte er sich einen Bogen und Pfeile angefertigt.
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Eine Patrouille der Blauröcke hatte er abgeschüttelt, so glaubte er es jedenfalls.
Vor ihm in der Senke schimmerte ein kleiner Weiher.
Er vernahm die Laute von Präriehühnern beim Wasser.
Langsam spannte er den Bogen und nahm ein stattliches männliches Exemplar ins Visier.
Zischend verfolgte der Pfeil das Ziel.
Treffer!
Andere Vögel flatterten kreischend auf.
Er rupfte das Huhn, weidete es aus und grillte es über einer kleinen, aber heißen Feuerstelle.
Voller Vorfreude lief ihm der Speichel im Mund zusammen.
Seine Sinne fokussierten sich auf die bevorstehende Mahlzeit.
Plötzlich ein höllischer Schmerz.
Ein Stein hatte ihn von hinten getroffen.
Sein Kopf dröhnte, es kreisten Sterne vor seinen Augen, dann wurde es finster.
Als er aus seiner Ohnmacht erwachte, grinsten ihn drei Blauröcke an.
Das waren die drei Mann, von denen er geglaubt hatte, dass er sie abgeschüttelt hatte.
Ein älterer Sergeant und zwei blutjunge Soldaten.
Er war gefesselt an Händen und Füßen, dazu einen Knebel im Mund.
Das Feuer war erloschen und von seinem Präriehuhn lagen nur noch abgenagte Knochen auf einem Haufen.
Die Blauröcke machten sich bereit zum Aufbruch.
Der Ältere meinte, "Lasst die Rothaut so liegen, der ist für uns ungefährlich. Den fressen irgendwann die Wölfe auf. Nur sein Pferd können wir gebrauchen. Binde es an dein Pferd, Lafitte!"
Der Soldat tat, was ihm der Sergeant befahl.
Dann brach die Patrouille auf.
Eine Weile ritten sie bereits in Richtung des Heimatforts.
John Lafitte hatte ein richtig mieses Gefühl im Bauch.
Es war überhaupt nicht seine Art, Menschen wie Dreck zu behandeln.
Seine Soldatenehre sagte ihm, dass sie den Indianer nicht auf diese Art zurücklassen durften.
Im Gefecht einem Feind gegenüber zu stehen war das Eine, aber einen wehrlosen Gegner sich selbst zu überlassen, war unmenschlich.
Irgendwann, sein Gewissen nagte an ihm, löste er den Knoten, so dass das Pferd des Indianers frei war.
Wie ein Blitz galoppierte es in die Richtung davon, wo sie den Indianerjungen zurückgelassen hatten.
"Na willst du Tölpel es nicht wieder einfangen?, tobte der Sergeant. "Wir reiten derweil weiter zum Fort. Du findest den Weg schon allein dahin."
"Yes, Sir."
Die Finte war Lafitte gelungen.
Der Soldat ritt dem Pferd nach.
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Es wurde langsam dunkel.
Der Osage lag noch immer am Weiher.
Er fror wie ein Hund in der abendlichen Kälte.
Seine Gliedmaßen waren taub von den straffen Fesseln, der Mund trocken vom Knebel.
Wenn er nur sein Messer fände.
Doch das hatte der Sergeant in den Weiher geschmissen.
In seiner Verzweiflung rief er in Gedanken nach Manitu.
"Hilf mir großer Geist. Ich bitte dich in meiner Not."
Doch was war das?
Er hörte Pferdegetrappel.
Es war Colmashi, sein treues Pferd.
Dicht darauf Hufgetrappel.
John Lafitte beugte sich über den Indianerjungen, nachdem er von seinem Gaul abgestiegen war und zerschnitt die Fesseln.
"Das werde ich dir nie vergessen, Bleichgesicht.", bedankte sich der Indianer.
"Schon gut! Vergiss es nur nicht. Vielleicht kommt irgendwann der Tag, wo du mein Leben verschonen kannst."
John Lafitte saß auf und ritt gemächlich davon.
Dem Sergeant würde er schon beibringen, dass ihm das Indianerpferd durch die Lappen gegangen war.
Doch das kümmerte ihn jetzt nicht weiter.
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Young Rifle-man lächelte dem Blaurock hinterher.
Nein, er hatte bis zum heutigen Tag nicht vergessen, dass ihm Manitu damals einen Retter geschickt hatte.
Ende
(C) Jens Richter