Veröffentlicht: 11.03.2025. Rubrik: Menschliches
Diskretion
Das Wartezimmer bei Dr. Windemut ist proppen voll und die Luft zum Schneiden. Der Versuch von Herrn Rück, ein paar Sauerstoffpartikeln Asyl zu gewähren, wird sofort im Keim erstickt, als er nach dem Fenstergriff langt. „Lassen sie das Fenster zu. Glauben sie, ich will mir den Tod holen !?“ keift Frau Kühn. „Ich krieg keine Luft mehr“, keucht Herr Rück. „Dann gehen sie raus. Da haben sie frische Luft,“ hüstelt es aus einer Ecke.
Eine weitere Patientin betritt den Raum. „Ach Frau Kühn. Guten Morgen. Sind sie krank ? Hoffentlich nichts Ernstes !“ Frau Kühn hat keine Chance zu antworten, denn der Monolog dieser Dame wird ohne Punkt und Komma fortgesetzt. „Haben Sie der Patientenakte zugestimmt ? Ich nicht. So weit kommt es noch, dass jeder sehen kann, dass ich Diabetes habe und Tabletten gegen Bluthochdruck nehmen muss. Und meine Hüft-OP, die geht auch niemanden was an. Ich lege großen Wert auf Diskretion und Privatsphäre.“ Frau Kühn unternimmt einen Versuch, etwas zu sagen, Keine Chance. „Momentan habe ich massive Probleme mit der Verdauung. 4 Tage ohne Stuhlgang – ich habe das Gefühl ich platze.“ Herr Rück räuspert sich laut und wirft der Rednerin einen vernichtenden Blick zu, den sie selbstverständlich ignoriert. „Und diese Blähungen. Nichts hilft.“ „Frau Koll, bitte,“ ruft die Sprechstundenhelferin eine der Wartenden auf, ihr ins Arztzimmer zu folgen. Diese seufzt erleichtert und verlässt fluchtartig den Raum. „Ich muss auch meinen Cholesterinspiegel im Auge behalten. Der lag schon bei 223. Der Doktor sagt, ich soll meine Ernährung umstellen, alleine schon wegen dem Diabetes. Aber mein Hermann will halt jeden Tag Fleisch und nachmittags Kaffee und Kuchen. Da kann ich mich dann auch nicht zurückhalten.“ Die Rednerin ist so in ihren Monolog vertieft, dass sie gar nicht bemerkt, dass Frau Kühn das Wartezimmer verlassen hat. Ein junger Mann hat sich Kopfhörer aufgesetzt und die Musik etwas lauter gedreht. Jetzt hört er nur noch einzelne Wortfetzen: „ Meine Tochter macht Abitur …. Meine Mutter hatte das auch schon … und im Sommer fahren wir nach …“
Ein Patient, nach dem anderen wird aufgerufen, aber der Monolog bricht nicht ab, bis auch die mitteilungsbedürftige Frau endlich an der Reihe ist. Mit den Worten: „Oh, bin ich schon dran. Das ging ja schnell heute“, folgt sie der Arzthelferin.

