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geschrieben von Sun-Go.
Veröffentlicht: 18.12.2024. Rubrik: Unsortiert


Die Welt die still steht. Part II

"Es hat mich sehr gefreut!"

"Hey Timo!", werde ich aus meiner Erinnerung durch einen Papierschnipsel gegen den Kopf geholt. Ich muss mich nicht mal umdrehen, um zu wissen, wer der Absender war.
"Wart mal nach der Stunde auf mich, okay?"
Mal schauen, was der Depp nun jetzt vorhat.
*

"Eine Show?", fragt Tina verwundert auf dem Flur nach dem Unterricht.
"Ja genau. Ein kleines Mädchen kann keine Kerle verprügeln. Du hast dafür bezahlt, dass sie sich von dir fertig machen lassen, um deine Beliebtheit zu steigern.", fährt Felix mit seinem Vorwurf selbstsicher fort: "vielleicht musstest du ihnen ja nicht mal Geld geben. Du bist ja schließlich ein Mädchen. Da gibt es immer ein paar Blödmänner die gerne so etwas für euch tun."
Der einzige Blödmann weit und breit steht gerade in einer triumphierenden Pose vor mir. Besser ein paar Schritte zurück machen.
"Sei froh, dass ich mich zurückgehalten habe, weil ich niemanden aus der Schule hier verletzen wollte. Aber bei euch beiden, mach ich vielleicht eine Ausnahme.", antwortet Tina gelassen. Verflixt, das waren wohl nicht genug Schritte, ein paar mehr müssten mein Statement verfestigen.
Über die Aussage muss Felix kichern: "Du bist echt süß, wenn du die Starke spielst. Bestimmt zittern dir schon die Knie."
"Ich kämpfe nur zur Selbstverteidigung. Greif also zuerst an.", sagt Tina zurück, während sie auf und abwippt, als würde sie sich aufwärmen.
Das scheint Felix nicht zu gefallen: "Du nimmst den Mund ja ganz schön voll. . .na gut NIMM DAS!", ruft er los und holt zu einem peinlichen Schwinger aus.
In dem Moment fiel es mir wieder ein: "Es soll angeblich ein unfassbar starkes und auch noch hübsches Mädchen in dieser Stadt geben, dass durch die Straßen spaziert und die Leute vermöbelt, welche den Wehrlosen Probleme bereiten. *WHUMS* Zumindest erzählt man sich das.", weise ich Felix drauf hin. Das whums kam von einem Aufschlag auf den Boden, nach dem er mit einem Tritt gegens Knie brutal durch die Luft befördert wurde. "...sag mir sowas bitte früher..."
*

Der dritte Stock des Altbaus. Hier müssten die AG-Räume sein. Hm? Anscheinend hat sich Nathalie doch dazu gerungen einen Versuch zu starten. Naja, immerhin steht sie vor dem Raum der Theater-AG.
"Pizza...", murmelt sie vor sich her. . . Pizza?
"Entschuldigung ich äh-", sie hält inne, nach dem sie die Tür aufgemacht hat. Als ich zu ihr aufgestoßen bin und die ganzen staubigen Umzugskartons in dem ansonst menschenleeren Raum sah fiel es mir wieder ein... Leider hatte ich vergessen, dass die Theater AG seit März auf Eis liegt.

Da hier nichts zu tun war, haben wir beschlossen uns auf dem Parkrasen vor der Schule zu setzen. Naja, ich hab mich hingelegt.
"Ich habe gehört, dass sie schon immer wenige Mitglieder hatten...", meint Nathalie, welche neben mir kniet. Urplötzlich hat sie wieder diesen trüben Gesichtsausdruck aufgesetzt. Also alles wieder von vorne.
"Es ist nur vorübergehend. Wenn die Voraussetzungen gegeben sind, werden sie bestimmt wieder weitermachen.", versuche ich sie aufzuheitern: "Versuch es doch später einfach nochmal. Ich werd dich begleiten."
"Sag mal Timo... Warum bist Du eigentlich so nett zu mir? Warum machst Du das alles? Wir haben uns gerade erst kennengelernt."
Gute Frage. . . "Warum ich das mache? Ich weiß auch nicht."
Das fand sie wohl lustig, zumindest brachte diese Antwort wieder ein Lächeln auf ihr Gesicht.
*

Durch die Straßen laufen, eine Fanta beim Kiosk kaufen und vorm Kiosk trinken. Straßenmusikern zuhören und zuschauen, auf der Parkbank sitzen bis die Sonne untergegangen ist. Alles um den Heimweg so lang wie möglich hinauszuzögern. Als ich dann zufällig an einer Kreuzung vorbeikam, fielen mir die Worte ein, welche Nathalie mir zum Abschied sagte: "Ich wohne gleich da drüben in der Bäckerei, auf der anderen Seite des Parks. Ich würde mich sehr freuen, wenn Du mal vorbeikommst!" Wie üblich wimmelte ich es ab mit einem "Mal sehen." und doch stehe ich nun hier. Der Laden ist klein und das meiste ist bereits abgeräumt. Wir haben schließlich auch abends. Aber das ich hier einfach so reinspazieren kann. Ist denn keiner da? "Halloo?" Keine Antwort. Unvorsichtig, wenn man mich fragt. Naja. Nicht mein Laden. Was haben wir denn hier? Butter-Weckchen?
"Das was Du da siehst, ist unsere Kreation der Woche", begrüßt mich eine sehr hübsche junge Frau, welche Nathalie so ähnlich aussah, dass es entweder ihre große Schwester war, oder doch ihre Mutter sein muss. "Greif ruhig zu, Du musst auch nicht dafür bezahlen, es sind nur noch Reste.", sagt sie mit einem bezaubernden herzerwärmenden Lächeln: "Das Konzept lautet 'fluffig'!" Fluffig, huh? Na dann wollen wir mal. "Dann werd ich mal eins probieren", sag ich und nehme eins in die Hand. Gespannt schaut mir die Frau zu, wie ich meinen ersten Bissen nehme. Das ein Weckchen fluffig ist, ist keine Besonderheit. Umso mehr jedoch bin ich nicht auf die steinharte, poröse Platte im inneren vorbereitet, welche lautstark knistert, als ich versuche dadurch zu beißen. "Da ist eine Reiswaffel drin. Ich nenne es Reiswaffel-Weckchen!", klärt mich die Frau auf. Oh man.
"Ihr Talent für Namensgebung ist außergewöhnlich, dasselbe gilt für ihre Backkünste.", meine ich nur trocken. Das scheint sie zu freuen, anscheinend hat mein Sarkasmus sie nicht erreicht. "Meinst Du wirklich? Diese Idee war ein Geistesblitz!", nickt sie mir stolz zu. Ich bin glaub ich mittlerweile beim 23ten Kau-Versuch. Langsam tuts im Kiefer weh.
"Ist irgendetwas nicht in Ordnung?", schaut sie mich besorgt an. Scheint als sieht man in meinem Gesicht die Belastung dieses Kau-Workouts an.
"Möchten sie die Wahrheit hören? . . . also wenn ich ehrlich sein darf, dieses Weckchen ist ein absolutes Desaster." Als wäre die Welt mit einem Knall zersplittert worden wandelt sich ihr Ausdruck von einem liebevollen Lächeln zu einem furchterfüllten Schock um: "Aber warum schmeckt es denn nicht?"
"Vom seltsamen Geschmack mal abgesehen, beißt man sich daran die Zähne aus. Kein Wunder das so viele von den Teilen übrigbleiben." . . . ups. Da steht sie nun. Die Augen tränenerfüllt. "Das ist also der Grund für die vielen Reste!", seufzt sie laut los und rennt aus dem Laden.

Wie die Mutter, so die Tochter nehme ich mal an. Hoffentlich läuft wenigstens der Vater rund- "HEY", grunzt es von hinten, gefolgt von einem Tritt in den Rücken. Als würde ein Albtraum war. Vor mir steht ein junger Mann, athletisch gebaut, mit Fluppe im Maul und Baseballschläger in der Hand. "Das hättest Du eben nicht sagen sollen, Kleiner.", er zeigt mit dem Schläger auf meine Brust: "Du isst schön brav auf und bedankst dich artig. Hast Du denn keinen Sinn für Pflicht und Anstand?!" Mit einer philosophischen Geste zieht er an der Kippe: "Die Wahrheit ist immer sehr hart, damit muss man vorsichtig sein. Ihr das einfach so direkt ins Gesicht zu sagen, ist einfach brutal!"
Mit leichten Stupsern gegen die Brust treibt er mich langsam gegen die Wand des Ladens: "Die Leute aus der Nachbarschaft sagen auch alle, dass es schmeckt. Das ist eine unausgesprochene Regel, ein Gesetz!!", gegen die Wand gedrückt presst er nun mit dem Schläger gegen mein Kinn: "Also befolg diese Regel besser, oder ich zieh Dir den Knüppel über, klar?!. . . hm? Das ist doch die gleiche Uniform wie bei meiner Tochter. Bist Du zufällig mit Nathalie befreundet?"
*

"Warum sagst Du das nicht früher Du Blödi?", lacht Nathalies Vater am Esstisch laut los. Die Frau, es war übrigens ihre Mutter, schaut ganz verlegen mich an: "Es tut mir Leid, dass ich mich vor dem Freund meiner Tochter so peinlich verhalten hab." Mit einer eindeutig grenzüberschreitenden Bewegung reibt mir der Vater auf dem Kopf rum: "Mach dir keine Sorgen Susanne, er sieht dümmlich aus und hat das Ganze bestimmt schon wieder vergessen, stimmt's? HAHAHA"
...wieso passiert mir ständig sowas?
"Jedenfalls ist es großartig. Nathalie hat bereits zum Anfang des Halbjahres Freundschaft geschlossen!", jauchzt der Vater.
"Und sogar mit einem jungen Mann, Armin", fügt Susanne noch hinzu.
"WAS? Das soll ein junger Mann sein?!", stößt Armin hervor. Auch schon bemerkt, Alter.
"Vielleicht ist dieser junge Mann sogar ihr fester Freund, wer weiß?", führt Susanne den Gedanken fort.
Mit einer neuen Kippe im Mund schaut mich Armin niederträchtig an: "Tze, sehe ich so aus, als würde ich meine Nathalie diesem Hänfling überlassen?! Abmarsch, husch, husch!", und macht eine wischende Handgeste.
"Dann entschuldigen sie mich bitte", setze ich an und stehe auf.
"HALT!", ruft Armin und zieht mich am Ärmel greifend wieder auf den Sitz: "DU willst ein Mann sein? Ein richtiger Kerl schnappt sich sein Mädel und brennt dann mit ihr durch!", sagt er, während er triumphierend die Faust schwingt: "Spielt aber keine Rolle, ich rück sie eh nicht raus."
... wo zur Hölle bin ich hier gelandet?

"Na, ihr kommt anscheinend gut miteinander aus", lächelt Nathalie, welche gerade mit Pizza aus der Küche kommt. Nickend stimmt ihr Vater dem zu: "Natürlich, Freunde unserer Tochter würden wir niemals schlecht behandeln... was ist, warum guckst Du so dumm aus der Wäsche?", fragt er mich. "Ich dachte bloß, dass ich mich von dieser Familie vermutlich am besten fernhalten sollte", sag ich unberührt. Lachend klopft mir Armin auf die Schulter: "Siehst du? Wir sind schon so vertraut, dass wir uns kleine Gemeinheiten an den Kopf werfen."
"Ach, da fällt mir auf, dass wir Deinen Namen ja noch gar nicht wissen", gibt Susanne zu.
"Er heißt Timo und ist in der Klasse 12D.", stellt Nathalie mich vor.
"Pah. Was für ein kümmerlicher Name", ächzt Armin: "Mach doch Timo-Galaxy draus!" ...was?
"Hört sich gut an!", ruft Susanne begeistert: "Ist es okay, wenn ich Dich einfach nur Galaxy nenne?"
"Wenn Du schon dabei bist, ändere Deinen Nachnamen auch noch zu Cosmos. Timo-Galaxy Cosmos!"
"Mein Name ist einfach nur Timo!", so langsam dreh ich durch.
"Mann, was für ein sturer Bengel. . . Schatz, fallen dir ein paar gute Namen ein?", seufzt Armin.
Susanne legt angestrengt den Finger auf die Lippe: "Lass mich überlegen. . . was hältst du davon, wenn wir uns einen zweiten Vornamen ausdenken? Er sollte seine Großartigkeit hervorheben UND zeigen dass er Zeit und Raum überwunden hat: Timo Cosmos Eternal."
Na super...
"Ausgezeichnet, ab sofort lautet Dein Name Ethanol!", freut sich Armin und hebt mir bestätigend den Daumen hoch.
*

"Bitte entschuldige, dass wir Dich bis spät in die Nacht aufgehalten haben", entschuldigt sich Nathalie, welche mich bis zur Kreuzung begleitet hat zum Abschied. "Ist schon in Ordnung. Nochmals vielen Dank fürs Essen. . . Das war eine merkwürdige Erfahrung." Verwirrt schaut sie mich an. "Solche Familien gibt's also auch. Ihr drei kommt so gut miteinander aus.", meine ich.
"Findest Du? Ich finde, wir sind ganz normal?"
"... wir sehen uns morgen.", sag ich nur dazu.
Mit einem freundlichen Lächeln verabschiedet sie sich: "Ja, bis morgen. Gute Nacht!"
*

Der Fernseher ist das einzige, welches das stockdunkle Wohnzimmer in meinem Zuhause mit grellen Nachrichtensendungen erhellt. Ich mache die Deckenlampe an und sehe einen Mann in schmuddeliger Hose und Hemd in der Ecke hocken, schlafend. Zu seinen nackten Füßen liegen diverse Alkoholflaschen, sowie Tetrapacks mit Wein. Alle leer.
Ich rüttele ihn an der Schulter: "Vater, na los, leg dich ins Bett, wenn du schlafen willst. . . Hey." Mit einem kurzen Schluckauf erwacht er dann zu leben: "boooah. . .hm? Oh, hallo mein Junge. Hab ich Dir schon wieder Umstände bereitet, Timo?", lächelt er mich mit schlaftrunkenem, aber schuldbewusstem Blick an. Ich kann diesen Anblick nicht ertragen. Ich muss hier raus.

Als ich noch klein war, starb meine Mutter bei einem Verkehrsunfall. Daraufhin verfiel mein Vater der Alkohol- und Spielsucht und verlor seine Arbeit. Seitdem scheint diese Welt und der Alltag nur noch ferner geworden zu sein. Wenn ich ihn dann wie heute so sehe, versuche ich mich so schnell wie möglich, von diesem gefallenem Mann zu entfernen und streife nachts durch die Straßen. Manchmal besuche ich dann Felix, oder ich warte, bis er sich vermutlich ins Bett geschlurft ist und gehe dann still auf mein Zimmer.
"Wenn Du möchtest... werde ich dich mitnehmen"
Hm? Die Stimme kommt mir doch bekannt vor. Huch, diesmal bin ich wohl vor der Bäckerei aus meinen Gedanken gerissen worden. Aber was macht Nathalie dort auf dem Spielplatz? Und was meint sie mit, sie wird mich mitnehmen?
"An einen Ort in der Stadt, wo Träume wahr werden...", sagt sie, und im alten gelblichen Schein der einsamen Straßenlaterne über ihr, scheint das Licht zu funkeln, als sie die Hände vor sich faltet...
*

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