Veröffentlicht: 11.11.2024. Rubrik: Unsortiert
Tagebuch eines Polizeiinspektors: Der Riese
**Dies ist ein Werk der Fiktion. Jede Ähnlichkeit mit lebenden oder verstorbenen Personen ist rein zufällig.**
Als Polizist muss man nun mal jeden Mordfall bearbeiten. Selbst wenn das Opfer ein Kerl ist, welchen man persönlich verachtet. Als ich an diesem Morgen am Tatort erschien, wusste ich noch nicht, um wen es sich handelt. Man hatte mir nur eine Adresse genannt, meine Kollegen waren bereits fleißig am arbeiten. Aber ich erinnerte mich an den Toten. Richtiger Mistkerl, einer der seine Frau verprügelt hatte und nicht nur das. Ich bin mir sehr sicher, er hatte sie auch umgebracht. Irgendwie war er davongekommen, weil er sehr gute Anwälte hatte. Nach der Gerichtsverhandlung hatte er mich sogar auf einen Drink eingeladen. Und heute morgen, acht Uhr, haben sie ihn gefunden.
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Ich fragte meinen Kollegen Mario, wie es ausschaut. Männlich, 30 Jahre, weiß. Kein Anzeichen für Raub oder Einbruch. Interessant war nur, dass die Haustür von innen abgeschlossen war. Ich versuchte Mario von wandelnden Toten etwas zu schwafeln, er hatte noch nie einen Sinn für Humor. . .
Die Leiche lag bäuchlings auf dem Balkon, unser Forensiker tippte auf Genickbruch. Der Mord ist wohl gegen sechs Uhr früh geschehen. Das erste was mir am Leichnam auffiel, war dass es sich um einen ziemlich kräftigen Burschen handelte. Als ich nach seinem Namen fragte, fiel es mir wieder ein: Enzo Martinez. Dieser Frauenschläger den wir fast dran hatten, hätten seine Anwälte nicht interveniert. Er hatte sogar zugegeben, dass er seine Frau öfter Mals misshandelt hatte, aber für den Mord hatte er ein Alibi. Neben guten Anwälten hatte er sicher auch sehr gute Freunde. Und die Leiche von eben jenem Typen mit guten Kontakten lag vor mir auf dem Balkon. Im Morgenmantel, der Kaffee lag verschüttet auf dem Boden. Welche Handlung sah ich mir also da an? Er sitzt auf dem Balkon, trinkt seinen Kaffee, liest die Zeitung und irgendjemand packt ihn von hinten, ohne dass er etwas bemerkt? Als ich den Balkon runterschaute, staunte ich nicht schlecht. Das müssen gut fünf, sechs Meter gewesen sein. Also muss der Mörder hier hochgeklettert sein, ihm das Genick gebrochen haben, und dann wieder runtergeklettert sein. . . Mal schauen was die vermeintlichen Zeugen dazu sagen würden.
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Die erste Zeugin bestätigte zumindest schon mal die Tatzeit gegen sechs Uhr, da sie dann zur Arbeit gegangen ist. Sie beschrieb einen männlichen Schrei und als sie sich umschaute sah sie ihn. . . einen Riesen, so hoch wie der Balkon. Langer schwarzer Mantel und lange schwarze Haare. Er griff in den Balkon hinein und schien etwas zu schütteln. Das ist ja Schwachsinn dachte ich mir. Ich klärte die Frau auf und sagte, wenn der Mörder bis über den Balkon reichte, dann müsste er ja über sechs Meter fünfzig sein, nicht wahr? Aber ich befragte noch die beiden anderen Zeugen, die hatten genau dasselbe gesehen: Einen über sechs Meter großen Mann, schwarz gekleidet, lange Haare. Greift um sechs Uhr morgens über den Balkon und bricht einem anderen Mann das Genick. Es kam sogar noch besser. Als ich mit der Forensik mir den Bereich unterm Balkon angeschaut habe, haben wir Fußabdrücke entdeckt, Schuhgröße 59 und Niegemann sah sich die Tiefe des Abdrucks in der Blumenerde an und dedizierte, dass derjenige, der draufstand locker 200kg gewogen haben muss.
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Ich habe mir Tage lang den Kopf über den Fall zerbrochen. Die Zeugen waren soweit in Ordnung. Aber ein sechs Meter großer Mörder? Wie soll sowas möglich sein? Und wo war der hin? Sechs Meter große Kerle lösen sich doch nicht einfach in Luft auf? Ich sah mich noch einmal in der Wohnung von Enzo Martinez um. Ich schaute mir die Szenerie an und versuchte mir vorzustellen was passiert war. In meinem Kopf spielte sich der Mord ab, wie Enzo dort saß und hinter ihm vom Balkon aus plötzlich ein Mann in dunklem Mantel mit langem schwarzen Haar ihn erwürgte und das Genick brach. . . nur kam mir die Vorstellung komisch vor. Es war wirklich einer der merkwürdigsten Fälle die ich bisher hatte. Martinez selbst ist mir vollkommen egal, er hatte seine Frau ermordet und war ungestraft davon gekommen. Aber bedeutet nicht, dass auch sein Mörder ungestraft davonkommen sollte. Jedoch, meine klassische Anhaltspunktliste bringt nicht viel, denn es gibt eine Menge Leute, welche Martinez gehasst haben, besonders als er freigesprochen wurde. Ich schaute in seiner Wohnung in ein Bilderbuch. Es war von Martinez' Frau -Maria-, vor ihrer Hochzeit. Sie war eine Zirkus-Artistin und in dem Buch waren Bilder, Kritiken und Zeitungsausschnitte von ihr mit ihren Kollegen zu sehen. Ihre Hauptpartner waren die drei Banditos, ein Brüder-Trio, welche für ihre Kraft und Geschicklichkeit in der Luftakrobatik bereits Verträge mit Vegas erhalten haben sollen. Welch ein aufregendes Leben Maria bloß gegen ein Leben mit diesem Mistkerl eingetauscht hat. Sie hatte ihren Zirkuskollegen von den Schlägen geschrieben. Erst sporadisch, dann immer öfter. Bis zum Tage wo sie starb. Der Fakt, dass im Bilderbuch der letzte Zeitungsausschnitt 4 Tage vor ihrem Tod war und danach nur noch viele blanke Seiten folgten, liegt mir immernoch schwer im Herzen.
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Aber was hat das alles mit dem Mord an Martinez zu tun? Maria kannte viele Leute im Zirkus. Konnte einer von ihnen vielleicht Rache genommen haben? Die Antwort fiel mir in die Augen, als ich ein Werbeplakat von damals sah. Es wurde eine Akrobatik-Figur beworben und ich habe es verstanden: Die drei Banditos wären über sechs Meter groß. . . wenn der eine auf den Schultern von den anderen stünde. Und ich bin mir sehr sicher, dass mindestens einer von ihnen stark genug wäre, um Martinez das Genick zu brechen. . . Jedoch, sollte ich Auslieferungsanträge für die Gebrüder stellen um sie zur Rechenschaft zu ziehen? Nun ja, ich erwähnte es bereits. Ich hatte nicht viel für Martinez übrig. . . und wer weiß, ob es nicht doch ein gerechter Riese war, welcher Rache ausübte.