Veröffentlicht: 22.05.2024. Rubrik: Aktionen
Ein guter alter Freund {Mai-Aktion}
„Heute ist es wieder soweit. Zeit jemanden die Schicht zu vermiesen.“
Mit diesen Gedanken schlendere ich durch die sich langsam abendrot-färbenden Gassen auf der Suche nach meinem nächsten Opfer. Mein Blick fällt auf ein erleuchtetes Wandschild: „Zion“. Hmm, ich laufe Jahr für Jahr hier lang, aber solch eine Bar ist mir bisher noch nie aufgefallen.
*
Drinnen ist es ruhig, ordentlich, sauber. Ein schmaler Raum mit dimmen Licht, dunklen Wänden und Jazz Gemälden, 8 Plätze an der Theke und ein paar Tische verteilt. „Herzlich willkommen!“, grüßt mich der junge Barkeeper. Schick gekleidet, mit Weste und Fliege, die Haare nach hinten gegellt. Da wird es noch mehr Spaß machen, denke ich mir. Ich setze mich 3 Plätze von einem einsamen Gentleman, welchem ich hin und wieder an der ein oder anderen Bar begegnet bin an der Theke hin. Er schaut auf seine Uhr und lächelt leicht und wehmütig. Er weiß was kommen wird. „Ist der Laden neu?“, frage ich neugierig den jungen Mann hinter der Theke. Er lächelt leicht entschuldigend: „Nun, wir hatten eine längere Pause. Was darf es denn sein?“ Längere Pause, was? „Nun, was kannst du denn machen?“, frage ich herausfordernd. „Ich denke, dass ich die meisten Wünsche ausführen kann.“ Interessant, hinter seiner gelassenen Stimme kam kein bisschen Stolz oder Hochmut hervor. „Na wenn dem so ist, warum machst du mir nicht einen Cocktail, von dem du denkst, dass ich ihn genießen werde.“ Schrecklich so etwas einem unbekannten Barkeeper zu fragen. Was weiß er denn von mir? Er kennt nicht meine Vorzüge, wie mein Tag verlief. Naja, im Endeffekt wird es auf dasselbe hinauslaufen.
Er wirkt etwas überrascht, fasst sich aber so schnell wie die Überraschung auf seinem Gesicht zu sehen war auch wieder, nickt und dreht sich zu seinem großen Sortiment an Alkohol zu. Es dauerte nur eine Sekunde, bis er nach zwei Flaschen gegriffen hat. Mit meisterhafter Präzision holt er ein Longdrink Glas hervor, legt sanft zwei große Eiswürfel hinein und fängt an mit schnellen Drehungen das Glas zu kühlen. Nicht schlecht, denk ich mir. Es tut mir jetzt schon Leid. Nicht viel später präsentiert er mir seinen Drink: „Einen Gin Tonic.“ Interessante Wahl. Er scheint meinen Verdacht gespürt zu haben: „Es ist etwas warm in letzter Zeit, daher habe ich außerdem noch einige Bitter hinzugefügt.“ In der Tat, in den letzten Tagen wie auch heute war es sehr warm. Sehr aufmerksam von ihm und sehr passend. Ich nehme einen Schluck und spüre die sprudelnde erfrischende Wirkung sofort, es ist ein wahrlich herrlicher Longdrink. Ich setze das Glas wieder ab und mit meiner ernstesten Miene sage ich: „Scheußlich.“
Die Verwunderung ist regelrecht auf sein Gesicht geschrieben: „Ich bitte um Entschuldigung. Es scheint, als würde es ihrem Geschmack nicht empfinden.“ „Davon ist nicht mal die Rede wert“, sage ich weiterhin mit ernstem und enttäuschtem Ausdruck. Der Gentleman zu meiner linken vermittelt deutlich seinen Fremdscham. „Ich bitte nochmals um Entschuldigung. In dem Fall…“ er dreht mir wieder den Rücken zu und kurze Zeit später serviert er mir einen „Daiquiri“. Was für ein herrliches Aroma denk ich mir: „Scheußlich.“ Langsam wirkt er mehr verwirrt als verwundert. „Ein Bellini, bitte.“ schiebt er mir nach kurzer Zeit dann zu. Ein Nipp sagt mir, dass es sich um frischen Pfirsischpüree handelt: „Scheußlich. Ich gehe aufs Klo.“, stelle ich das Glas ab und erhebe mich von meinem Sitz Richtung Toilette. Bisher staune ich nicht schlecht. Aber er wird mir meine Angewohnheit nicht austreiben. Schließlich ist heute sein Todestag.
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Ich komme zurück auf meinen Platz, als mein Sitznachbar sich wieder von der Theke herunterlehnt. Hat er es ihm erzählt? Naja, wird ihm auch nichts bringen. „Also, was planst du mir als nächstes vorzusetzen?“, frage ich amüsiert. Er scheint ebenfalls wieder seine Coolness gefangen zu haben: „Etwas orthodoxes“, und schiebt mir ein Cocktailglas mit einem leicht trüben Inhalt zu: „Einen Martini.“ Da stimmt doch was nicht, es fehlt einiges. Ich hebe das Glas hoch und rieche dran: „Was ein komischer Geruch.“ Er hebt die verwendete Flasche Oude Genever hoch: „Es ist ein Dutch Martini. Heutzutage ist es gebräuchlich, London Gin zu verwenden, welcher im Säulenbrenner destilliert wird. Stattdessen habe ich einen holländischen Genever verwendet, welcher für 15 Jahre im alten Stile reifte.“ Hmpf, der Jungspund denkt auch, er wisse alles. Na das bekommt er zu spüren: „Ich brauche keinen Exkurs für Alkohol. Du hast mir alten Likör gegeben, weil ich alt bin. Was bist du, ein Schüler?“ Da ist die Reaktion, aber er hält die Fassade gut: „Außerdem, dieser Likör wird am besten gekühlt und straight getrunken.“ „Sie sind wirklich bewandert, merke ich.“, kommentiert er nur. Zeit den üblichen Spruch rauszuhauen: „Wenn mein alter Herr noch am Leben wäre, würde er sowas niemals servieren.“ So gut wie seine Drinks auch sind, dahinter steckt dennoch die Wahrheit. All die Jahre, nach seinem Tod, und niemand schafft es an seine Mix-Künste heranzutreten. „Oh, mein Handy. Verfluchtes Ding.“, sage ich und gehe wortlos raus.
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„Liebchen, wie geht es dir?“, frage ich meine Enkelin. „Hallo Opa“, grüßt sie mich durch das Handy: „ich wollte mich mal erkundigen wie es dir geht. Bist du wieder in irgendeiner Kneipe heute am unruhestiften?“ Sie ist eine gute Enkeltochter. „HAHAHAHA“, lache ich lauthals heraus: „Tja, mag schon sein. Du weißt ja wie es ist. Aber weißt du, ich habe heute einen interessanten Laden entdeckt. Ich bin mir sicher du und deine Truppe würdet den mögen. Er hat schon klasse. Aber an deinen Urgroßvater kommen sie immernoch nicht heran. Weißt du, nach dem Krieg ging es uns nicht wirklich gut, aber dein Urgroßvater hatte einige Jahre später die Cocktails entdeckt und uns somit immer eine kleine Freude bereiten können.“ „Ja, ich weiß, das erzählst du jedes Jahr erneut…“
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„Verdammt, zwanzig Minuten, die Damen wissen aber auch immer wie man ein Telefonat in die Länge zieht“, denke ich mir und gehe rein. Beim Reingehen kommt mir mein Sitznachbar entgegen und zwinkert mir zu. Komischer Geselle. Der Jungspund hinter der Theke schaut mich gelassen an, als hätte er eine Erkenntnis gehabt. Naja, die wird ihm auch nichts bringen. „Welche scheußlichen Drinks wirst du mir nun vorsetzen?“, sage ich kichernd, während ich mich auf den Barhocker ächze. „Würden Sie mir dann vielleicht bei einer alten Geschichte zuhören?“, sagt er entspannt, während er einige Zutaten zurecht legt. Interessiert erhebe ich eine Augenbraue. „Die Zeit ist nach dem Krieg“, erzählt er, während er einen alten Knob Creek Whiskey eingießt: „Die Geschichte des Cocktails in diesem Land kommt von der Prohibition, welche viele Barkeeper nach Europa führte. Diese führten ihren Alkohol mit sich. Brillante Farben, welche man nie zuvor gesehen hat, komplexe Düfte.“ Seine Geschichte wird begleitet von dem Klirren des Eises, welches er mit dem Drink im Glas rührt. „Ich glaube, dass die Drinks damals reich an Geschmack und funkelnder Farben waren.“ Er gießt den gerührten Drink, welcher nun rötlich-bernsteinfarben war in ein Cocktailglas und schiebt ihn mir zu: „Bitte, ein Old Pal. Auf Deutsch bedeutet es-“, ich hebe das Glas hoch: „Ein guter alter Freund, hm?“ Er nickt sanft: „Ich habe erfahren, dass Sie jedes Jahr zu diesem Tag, als Ihr Vater verstarb, eine Bar aufsuchen und Cocktails probieren. Ich vermute, dass Sie dies tun, um ihn gewissermaßen zu treffen.“ Tze, langsam wird er hochnäsig: „Du glaubst ja alles zu wissen. Aber ich bin mir sicher-„ ich nehme einen Schluck.
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„Lecker! Das ist. . .“, stößt es heraus. Mit nostalgischem Blick schaue ich auf die abendrot-farbene Flüssigkeit im Glas: „. . . exakt der Geschmack, den mein alter Herr gemacht hat!“ Bilder schießen in meinen Kopf, wie ich in der Hausbar mit meiner Verlobten sitze und wir meinem Vater mit strahlenden Augen zuschauten, wie er wie von Zauberhand Getränke mischte, um etwas farbenfrohes Neues zu erschaffen. „Zu einer Zeit, in der Eis und Kühlschränke noch selten waren, war es nicht möglich Likör oder Gläser zu kühlen, daher waren anscheinend Cocktails nicht so gekühlt wie heute. Jedoch, zu einer Zeit mit ebenso wenig Luftkühlung, konnte selbst ein leicht kühlerer Geschmack für Erfrischung sorgen.“, erzählt er mit sanfter Stimme weiter. Ich schaue mit einem bittersüßen Ausdruck auf das Glas: „Das stimmt. Es erinnert mich an die Zeit…“ „Ändere nicht den Geschmack des Getränks.“ Ich blicke zu ihm rauf. „Dadurch kann man seinem alten Ich wieder begegnen. Ich bin mir sicher, egal wie die Zeiten sich änderten, ihr Vater hat weiterhin Cocktails gemacht mit unverändertem Geschmack. Nur für Sie. Denn für Sie, halten sie unersetzbare Erinnerungen am Leben. Egal wie viel Zeit auch vergeht, die Erinnerung dieses Geschmacks wird immer erhalten bleiben.“ Ich gebe mich geschlagen: „Weißt du, aus Respekt habe ich niemals die Cocktails von anderen getrunken. He, ich habe sie niemals genossen… Jedoch-“, ich hebe das Glas an, trinke alles auf einmal aus und lasse die Erinnerungen dieser schönen Momente durch mich durchfließen: „Um die Wahrheit zu sagen, vielleicht suchte ich die ganze Zeit einfach nach einem Mann wie dich. Von heute an, könntest du mein „New Pal“ werden.