Veröffentlicht: 08.11.2024. Rubrik: Nachdenkliches
Innerer Frieden und Gleichgültigkeit
Es ist eine merkwürdige Erkenntnis, dass der Weg zum inneren Frieden manchmal an der Gleichgültigkeit vorbeiführt. Diese Grenze ist schmal, beinahe unsichtbar, und je näher ich ihr komme, desto schwieriger wird es, zu wissen, ob ich gerade loslasse oder einfach nur abdrifte. Die Menschen reden oft über inneren Frieden, als wäre es eine Art heiliges Ziel, ein Zustand der Ruhe, der alles andere überstrahlt. Aber was, wenn dieser Frieden nur ein anderes Wort für Apathie wird? Was, wenn ich, in meinem Versuch, Ruhe zu finden, einfach nur lerne, Dinge nicht mehr zu fühlen?
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Es gibt Tage, an denen ich glaube, den inneren Frieden zu spüren. Die Dinge prallen von mir ab, der Stress, die Erwartungen, all das verliert seine Macht. Ich fühle mich leicht, beinahe unangreifbar, und sage mir, dass dies vielleicht das ist, was die Menschen meinen, wenn sie von Gelassenheit sprechen. Aber dann gibt es auch die Tage, an denen ich merke, dass es gar keine Leichtigkeit ist, die ich fühle – sondern ein Mangel. Ein Mangel an Interesse, an Sorge, an Bindung. Es ist, als hätte ich all die Fäden, die mich mit der Welt verbinden, gekappt und wäre jetzt ein leeres Gefäß, das einfach nur stillsteht.
Es fing damit an, als ich beschlossen habe, sämtliche Dinge, welche in einem Leben passieren, egal ob gut oder schlecht, als hingegeben zu nehmen und sie zu akzeptieren. Ich denke, das hat mir damals sehr geholfen, ein ruhigeres Gedankengut zu erlangen. Schlechte Dinge passieren nun mal, und wenn sie mir passieren, dann hatte ich halt diesmal Pech. Hätte ich es besser machen können? Vielleicht, aber das ist jetzt auch egal. Ich kümmere mich um die wirklichen Probleme, wenn sie da sind und es stellte sich heraus: So viele Probleme wie Sorgen die ich hatte, sind niemals aufgetreten.
Manchmal frage ich mich, ob ich auf diesem Weg die Dinge aus den Augen verliere, die mich wirklich berühren sollten. Innere Ruhe bedeutet doch nicht, dass mir alles egal ist, oder? Aber wenn ich den Schmerz, den Ärger und die Erwartungen zurücklasse, bleibt irgendwann so wenig übrig, dass ich mich frage, ob ich überhaupt noch wirklich lebe. Frieden sollte sich doch nicht wie ein Verblassen anfühlen. Und doch stehe ich manchmal da, in dieser eigenartigen Stille, und kann nicht mehr unterscheiden, ob ich gewachsen bin oder ob ich mich nur weiter entfernt habe – von mir selbst, von der Welt, von allem, was mir eigentlich wichtig war.
Vielleicht ist das die wahre Gefahr dieses Weges: Dass man lernt, zu viel loszulassen. Dass man in seinem Versuch, inneren Frieden zu finden, die Dinge opfert, die einem einst Halt gaben. Wie kann man Ruhe finden, ohne dabei die Fähigkeit zu verlieren, zu fühlen? Es scheint fast unmöglich, an dieser Grenze zu wandeln, ohne hin und wieder ins Leere zu stürzen, ohne zu riskieren, dass der Frieden in Gleichgültigkeit umschlägt und einem die Welt gleichgültig wird.
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Ich hatte lange gedacht, dass Frieden und Freude zusammengehören. Dass, wenn ich endlich Frieden finde, sich ein tiefes, stilles Glück einstellen würde. Aber mittlerweile bemerke ich, dass dies eine falsche Betrachtung ist. Frieden ist nicht das warme, erfüllende Gefühl, das Freude bringt; er ist eher die Fähigkeit, ohne all das klarzukommen, auch wenn keine Euphorie da ist. Er ist nicht da, um mich zu beleben, sondern um die Wellen zu glätten, damit ich auch in der Stille bestehen kann.
Vielleicht ist das die wahre Herausforderung – Frieden zu finden, ohne darauf zu warten, dass er sich in Freude verwandelt. Zu lernen, dass Frieden seine eigene Art von Vollständigkeit ist, die aber nicht dasselbe wie Glück ist. Frieden bedeutet, das Leben in seiner Einfachheit zu akzeptieren, ohne ständig nach mehr zu streben, ohne die Erwartung, dass die Dinge uns erfüllen müssen. Es ist, als ob man lernt, auf eine Weise still zu sein, die weder Begeisterung noch Erschöpfung verlangt.
In dieser Stille, die nichts verspricht, liegt vielleicht der eigentliche Wert des Friedens. Denn er verlangt keine Freude, er verlangt nicht, dass alles hell und farbenfroh ist. Frieden lässt uns atmen, ohne dass wir dabei die Höhen des Glücks erreichen müssen. Frieden ist ein Zustand des Einvernehmens mit dem, was ist – unabhängig davon, ob es uns Freude bereitet oder nicht.