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4xhab ich gern gelesen
geschrieben 2024 von Stephan Heider (Stephan Heider).
Veröffentlicht: 25.10.2024. Rubrik: Lustiges


Schweinehund auf fabulierenden Metern

Zehn Kilometer.
Die mir vertraute Jogging-Runde. Vor meinem Haus kurz an der Straße lang, dann rechts rum und ab in die Felder. Dem roten Weg folgend bis zum Chinesen an der Hauptstraße. Über die kleine Brücke zum Weiher, links rechts und weiter an den Pferdekoppeln vorbei. Im Nachbardorf kehrt und an der anderen Seite des Angelsees zurück.

SatirepatzerSatirepatzerDiese zehntausend Meter liegen vor mir. Ich kenne jeden einzelnen und habe sie schon so oft lamentieren und jubeln gehört. So oft, dass ich weiß...sie lügen alle. Bis auf einen: Der Chef-Meter.

Ich starte den satellitengestützten Timer meiner Fitness-Uhr, drücke in meiner Musik-Titelliste auf zufällige Wiedergabe und trabe los.
Die ersten Dreitausend sind die Beschwörer, Betrüger, Gaukler, Schwindler.
Rufen mir zu:

„Das hier und heute wird deine persönliche Bestzeit",

„Hallihallo, Du bist ja richtig gut drauf ",

„Zieh am besten gleich die Zwanzig durch, besser wirds nicht".

Wenn ich auf sie höre, sagen mir die zweiten Dreitausend:

„Na, hast du es wieder geglaubt, du Idiot. Dann geh jetzt mal gemütlich nach Hause mit deinen Seitenstichen und spul am besten in deiner Playlist schon mal vor auf „Atemlos".

Aber so etwas passiert mir nicht mehr. Ich kenne die Starteuphorie und den klassischen Anfängerfehler, der dafür sorgt, dass Millionen Menschen den Laufsport für die beschissenste aller Sportarten hält, weil sie sofort losstampfen wie durchgedrehte Wasserbüffel.

Ich kenne es schon und deshalb falle ich auch nicht mehr darauf herein. Ich habe meinen Puls auf gemütliche 145 justiert, wenn ich das zweite Drittel angehe. Die Gefäße sind offen, die Gelenke geschmiert und der Körper warm.

Dennoch gehen im zweiten und letzten Drittel des Laufes meine Gedanken zwischen Lust und Leiden spazieren.
Die Meter schreien hysterisch:

„Bleib stehen, deine Kniescheibe ist doch wohl gebrochen",

Flüstern zärtlich:
„Lauf weich, du bist Rocket Man“,

Fordern nachdrücklich:
„Den lahmen Radfahrer da vorne holst du flott ein",

Zetern kleinlaut:
„Doch nicht",

Säuseln verträumt:
“Du läufst in Monets gemalter Landschaft",

Lallen verwirrt:
„Warum fließen diese verdammten Uhren von Monets Bäumen?"

Erst, wenn ich endlich den faulen Jet-Stream aus Endorphinen (nach heutigen Erkenntnissen sind es übrigens körpereigene Endocannabinoide, was vieles erklärt!) in meinem Körper in Gang setzen kann, wird es richtig genial. Die Glücksengel spendieren mir einen warmen prickelnden Champagner-Schauer durch meinen Körper und ein furioses Feuerwerk im Kopf, dessen Raketen an meiner inneren Schädeldecke bis zum Highscore herumflippern.

Runners High - das was ich wollte.

Und das, was mich immer wieder antreibt, die schönste aller Einzelsportarten, für die ich nur mich selbst und ein paar anständige Schuhe benötige, auszuüben. Shirt und Hose besser nicht vergessen, das erspart unterwegs unnötigen Ärger, ist jedoch konträr zu den Schuhen qualitativ sekundär.
Die Lebensfreude läuft mir schon fast warm am Bein längs, als
genau im richtigen Moment „From Now On" anklingt. Hugh Jackman wispert sich zunächst leise durch meinen Gehörgang, bis die Up-Tempo-Nummer richtig Fahrt aufnimmt.
Plötzlich klappt Hugh meinen Schädel auf wie den Deckel einer Mülltonne und hämmert mir den Beat mit Thors Götterfäustel direkt auf die Hirnrinde...bamm...bamm...bamm, bis ich laut loslache.
Dann öffnet sich mit einem Tusch meine emsig ratternde Kreativfabrik im Kopf und eine wundervolle Reise beginnt.

Traumschöne Formulierungen, clevere Spins und tragische Helden schießen durch mein Bewusstsein wie das Laser-Feuer einer epischen Sternenschlacht.
Ich laufe schneller, weil die Fluchthormone es zulassen und denke mir eine Story aus, auf die ich auf der Couch nie gekommen wäre.

Zum Endspurt wird die Zunge lang, während ich mich felsenfest für ein Zwitterwesen aus Meister Yoda und Pheidippides halte. Die jubelnden Meter unter mir lobpreisen den Tag und ich nähere mich dem Chef-Meter an. Der Kilometerzähler der SmartWatch springt auf Zehn und da ist er. Ich gehe in die Knie, atme tief durch und sehe ihn lange an.
Den ehrlichsten Meter, den es gibt. Meter Eins nach dem Ziel.

Er liegt ruhig da und sagt völlig unaufgeregt: „Da guck, Opa. Eine Stunde für zehn Kilometer. Das ist echt langsam. Aber der Weg hat sich doch wohl trotzdem gelohnt, oder?"
Ich grinse in mich rein, hole mir einen Kaffee und beginne zu schreiben.

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Kommentare zu dieser Kurzgeschichte

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geschrieben von rubber sole am 25.10.2024:
Kommentar gern gelesen.
Sehr authentisch, Stephan, all die kleinen Tricks zur Selbstmotivation und die abschweifenden, verführerischen Zweifel zwischendurch. Das klingt nach einem Bericht aus einem Läuferdasein im gehobenen Hobbybereich: 60 Minuten für zehn Kilometer ist ja immerhin doppelt so schnell wie zügiges Spazierengehen - für einen Hobbyläufer in der zweiten Lebenshälfte absolut ok. Weiter so...

l.g.r.s




geschrieben von Bad Letters am 25.10.2024:
Kommentar gern gelesen.
In meiner ersten Lebenshälfte war ich auch sportlich unterwegs Stephan Heider, von daher kenne ich diese Glücksgefühle und den immerwährenden Kampf mit dem Schweinehund. Schon lange lasse ich nur ihn gewinnen und setze mich lieber gemütlich an den PC um zu musizieren oder irgendein Zeuges in die Tasten zu kloppen. 😉


MfG
Bad Letters





geschrieben von Stephan Heider am 26.10.2024:

Vielen Dank rubber sole und Bad Letters für eure schönen Kommentare.
10 km ist meine Distanz, auf der ich die Auseinandersetzung mit meinem Schweinehund sehr gerne zelebriere.
Wenn ich die Oberhand gewinnen kann, empfinde ich es tatsächlich als inspirierende Befreiung der Gedanken.
Wo und wie das Rendezvous mit sich selbst stattfindet, ist sicher für jeden anders. Laufstrecke, Schreibtisch, Yogamatte. Wichtig ist nur, dass es überhaupt stattfindet.
LG Stephan


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