Veröffentlicht: 16.10.2024. Rubrik: Unsortiert
Klopfzeichen
Vor einiger Zeit begegnete ich meinem Nachbarn, einem gemütlichen älteren Herrn, der die Doppelhaushälfte nebenan bewohnt.
„Hören Sie auch diese Klopfzeichen?“, fragte ich ihn, „heute Nacht waren sie wieder besonders laut. Ich konnte kaum schlafen.“
Er sah mich mit leicht wässernden Augen listig an. „Ah!“, rief er, „dieses Klopfen! Hörte mein Schwager auch. Nach einem halben Jahr war er tot. Hat sich aufgehängt.“
Zum Teufel, dachte ich, da stolpert man aus Versehen über eine hochstehende Gehwegplatte, schon kommt gerade solch ein gemütlicher Schurke vorbei und fragt: „Ist alles okay? Seien Sie vorsichtig! Könnte ein Schlaganfall gewesen sein.“
Ja, so sind manche Leute. Gönnen einem das Bisschen Gesundheit nicht. Das Dumme ist nur: Ich bin familiär vorbelastet. Ein Onkel von mir hat sich tatsächlich erhängt, ein anderer fiel beim Schneeschippen tot um.
Damit man mich nicht missversteht: Ich bin keineswegs abergläubisch, aber noch ist Vorsicht die Mutter der Porzellankiste. Schlug also mein Bett im Keller auf, und siehe da: Konnte die Nacht seit langer Zeit wieder ungestört durchschlafen. Kaufte mir zwei ordentliche Mettbrötchen, setzte mich erfrischt an den Frühstückstisch, goss mir Kaffee ein, köpfte ein Ei, streute Salz und Pfeffer drauf, jonglierte die pflaumenweiche Masse zum Mund – und erstarrte.
Wieder ging es: Tock – Tock – Tock. Nur leiser, gedämpfter als beim letztem Mal. Und die Geräusche kamen diesmal auch nicht von irgendwo her, sondern vom Flur, durch die geöffnete Küchentür. Sollte Oma, durchfuhr es mich . . . Nein, das war wider alle Vernunft. Oma war schon seit zwei Jahren tot. Aber doch! Das Klopfen war genau ihr Klopfen, wenn sie mit ihrem Krückstock die Treppe herunter kam: Tock – Tock – Tock.
Ich stand auf und spähte in den Flur. Nichts. Blickte die Treppe hoch, ins Obergeschoss, lauschte. Alles ruhig. Zum Teufel, dachte ich, was ist das? Ich ging zurück in die Küche, setzte mich hinter mein Frühstücksei und versuchte, nicht hinzuhören. Doch schon fing es wieder an. Tock – allerdings stark verlangsamt – – Tock – – – Tock – – – Ich wartete und wartete, kein Klopfen. Erleichtert lehnte ich mich zurück. Das war´s dann wohl für heute, dachte ich. Und überhaupt. Vielleicht ist der Spuk ja jetzt beendet, weiß der Teufel warum. Aß den kalten Rest des Frühstückseis, machte mich über ein Mettbrötchen her – da ging es wieder: Tock.
Herrgottnochmal, Oma!, rief ich, willst du mich in den Wahnsinn treiben?
Wieder sah ich sie vor mir, wie sie mit ihren Stock wütend auf den Boden trommelte, wenn ihr was nicht passte oder nicht schnell genug ging. Konnte in ihren letzten Lebensjahren manchmal ziemlich fühnsch werden, die gute Seele. Andrerseits war mir sofort klar, dass es nicht Oma sein konnte, die da klopfte. In ihrer gegenwärtigen Residenz dürfte sie wohl ohne Stock auskommen.
Nur, wer klopfte da?
Inzwischen war ich nämlich überzeugt, dass die Klopferei eine Bedeutung haben musste, denn, verdammt, warum sollte sich da jemand die Mühe machen, anlasslos zu klopfen? Und dann auch noch nachts? Es waren Zeichen, Klopfzeichen, die möglicherweise eine geheime Botschaft enthielten. Aber welche? Was war ihr Geheimnis? Und von wem sollte die stammen? Oma schied wohl aus. Und warum gerade ich? Mehr ungeklärte Fragen als Pilze im Wald.
Seltsamerweise hörten die Klopfzeichen jetzt auf. Auch in den nächsten Tagen blieb alles ruhig – was die Klopfzeichen betrifft. Aber gerade das war es, was mich so beunruhigte. Diese Angst, dass es eines Tages, möglicherweise schon morgen, wieder losgehen könnte. Wenn die Klopfzeichen wenigstens in regelmäßigen Abständen gekommen wären. Wie sagte doch einst der Räuber Vieting, als ihm der Henker die Schlinge um den Hals legte? Der Mensch gewöhnt sich. Man kennt das ja. Nach einiger Zeit hört man das Ticken des Weckers nicht mehr, obwohl man sich morgens nach dem Aufwachen verblüfft fragt, Mensch, bei dem Höllenlärm konntest du schlafen? Und nehmen wir mal an, der Wecker bleibt unverhofft stehen, schon ist man hellwach.
Ich schlief also wieder im Schlafzimmer und genoss fünf erholsame Nächte. Dann, in der sechsten Nacht, der Mann im Mond grinste mich schadenfroh an . . .
Ich rief meinen besten Freund an und fragte ihn, ob ich ein paar Nächte bei ihm übernachten könne. Zuhause hielte es nicht mehr aus.
Was denn los sei.
Seit vierzehn Tagen, sagte ich, würde ich von einem perfiden Klopfgeist tyrannisiert, der mich nachts nicht schlafen ließe.
Klopfgeist?, fragte er, glaubst du an Gespenster? Woher kommen die Geräusche denn?
Mal aus dem Keller, mal aus der Wand, mal aus dem Ausguss. Das ist ja das Fiese. Lege ich mein Ohr an einen Heizkörper, höre ich nichts. Kaum drehe ich mich um – schon klopft´s wieder. Da will mich jemand in den Wahnsinn treiben.
Unsinn. Deine Heizung klopft. Irgendetwas stimmt da nicht. Wie alt ist denn die Heizung?
Ich sagte es ihm.
Ha!, rief er, an deiner Stelle würde schleunigst einen Fachmann kommen lassen, bevor noch mehr kaputt geht.
Seitdem sind vierzehn Tage vergangen, und das Klopfen ist noch stärker geworden. Der Fachmann ist gerade dabei, neue Heizungsrohre zu verlegen, und ich bin in ein preiswertes Hotelzimmer umgezogen. Aber immerhin weiß ich jetzt, um welche Botschaft es sich handelte. Das Klopfen w a r die Botschaft. Ich sollte daran erinnert werden, dass mit meiner Heizung etwas nicht stimmte.