Veröffentlicht: 08.08.2024. Rubrik: Lustiges
Die Kuschelkugel
Als meine Frau im letzten Jahr an einem Hirntumor starb, waren wir siebenundzwanzig Jahre verheiratet gewesen. Gott, was hatten wir uns manchmal gestritten! Noch zwei Querstraßen weiter blieben die Leute verwundert stehen und trauten ihren Ohren nicht. Das war ja der reinste Schlachtenlärm!
Trotzdem, unsere Ehe war keineswegs unglücklich. Sie war eben nur laut. Auf dem Höhepunkt solcher Auseinandersetzungen erzählte einer von uns plötzlich einen Witz – meistens ich, denn das Witzeerzählen lag meiner Frau nicht – und schon lagen wir uns wieder in den Armen und herzten und küssten uns. Sogar auf dem Sterbebett erzählte ich ihr einen letzten, knackigen Herrenwitz. Sie lachte kurz auf und verschied.
Das Schlimmste am Weggang meiner Frau war die Einsamkeit, die dann folgte, und die mich mit aller Kraft überfiel. Mit wem konnte ich jetzt noch streiten und, vor allen Dingen, wem konnte ich jetzt noch Witze erzählen? Die paar Bekannte, die ich aus unserer Ehe herübergerettet hatte, gingen nicht ans Telefon, wenn ich sie anrief, oder sie öffneten die Tür nicht, wenn ich davor stand. In meiner Not sprach ich wildfremde Leute auf der Straße an und fragte höflich, ob ich ihnen einen Witz erzählen dürfe. Manche blickten mich verblüfft an gingen grußlos weiter, einer sagte: Was? Einen Witz? Wohl gaga, wie?
Ja , die Einsamkeit . . .
Ein Arbeitskollege empfahl mir eine Kuschelkugel, eine Neuheit aus Japan, wo es anscheinend viele einsame Menschen gibt. Diese Kuschel- oder Schmusekugeln sind flauschige kugelrunde Gebilde mit einem lustigen Gesicht, das sie sogar verziehen können, und einem Chatbot innen drin. Auf den Seufzer: Ach, bin ja so einsam, antworten sie: Du hast mich doch.
Voller Hoffnung bestellte ich mir eine aus dem Internet. Kaum ausgepackt, erzählte ich den ersten Witz. Keine Reaktion. Es stellte sich heraus, dass das Ding völlig unfähig war, meine Witze zu verstehen, geschweige denn, mir einen zu erzählen. Und gerade darauf kam es mir doch an. Was ich auch erzählte – noch nicht einmal ein harmloser Kinderwitz entlockte Erika (so hatte ich sie zu Ehren meiner Frau genannt) das kleinste Grinsen. Auch streiten ging nicht. Erika ließ sich einfach nicht provozieren.
Es war eine komplette Enttäuschung.
Eines abends – wieder waren drei meiner besten Witze nutzlos verpufft, warf ich Erika mit einem wilden Schrei an die Wand. Sie verschied mit einem Geräusch, als kratze jemand mit einem Nagel auf einem Reibeisen herum.
Tja, ich werde wohl wieder heiraten müssen. Mir fehlt der Ehekrach und jemand, der meinen Witzen zumindest ein schmales Grinsen gönnt.
Von elektronischen Assistentinnen und KI-basierten Kuschelkugeln habe ich die Nase gestrichen voll.