Veröffentlicht: 30.07.2024. Rubrik: Menschliches
Spießrutenlauf
Das Baseball Cap tief ins Gesicht gezogen bahnt er sich einen Weg durch die Menge. Er möchte nicht erkannt werden und nimmt bei widerstand lieber einen Umweg als sich hin durchzudrängeln. Gern wäre er, wie üblich, zur Hintertür rein, aber diese war aus unerfindlichen Gründen gesperrt und er erreicht auch niemanden, der ihm hätte öffnen können.
In der ersten Reihe angekommen zeigt er der Security seinen Ausweis, die ihn auch ohne nähere Überprüfung durchlässt. Still atmet er erleichternd auf, zieht den Hallenplan aus seiner Hosentasche und begibt sich nach einer kurzen Orientierungsphase auf den kürzesten Weg zur Umkleide, auch wenn er nichts umzukleiden hat.
Dort wartet man bereits sehnsüchtig auf ihn. Ein einsilbiges Gespräch wird erzwungen, bevor er sich in seine Ecke zum warmspielen zurückziehen kann. Der wichtigste Moment des Tages, denn hier zeigt sich, wie es um seine Tagesform steht. Läuft der gewohnte Automatismus oder zeigt sich eine der seltenen, aber vorhandenen Konzentrationsschwächen, die ihn als Menschen und nicht als Maschine auszeichnen.
Er braucht nicht lange für die Analyse seines Zustands und nickt einmal zufrieden, als die Automatismen greifen und sicherstellen, dass ihm ein entspannter Abend bevorsteht, anstatt eine gequälte Darbietung unter höchster Konzentration. Ein Blick auf die Uhr verrät ihm, dass die Einspielphase heute kürzer ausfallen muss, der Spießrutenlauf zollt seinen Tribut.
Kein Anlas zur Nervosität, auch wenn er es nicht mag, seine Routinen durch unvorhergesehen Ereignisse zu brechen. Als seine Kollegen an ihm vorbeiziehen und ihn abklatschten kriecht eine gewohnte Unruhe in ihm hoch. Lange wird sie nicht anhalten, darauf kann er sich verlassen. Während des Spektakels ist er kaum richtig anwesend, der einstudierte Ablauf zieht an ihm vorbei und dem ganzen drumherum schenkt er kaum noch Beachtung.
Trotzdem muss er nach getaner Arbeit erst einmal das Adrenalin abbauen. Ein kühles Bier mit den Kollegen kommt da gerade recht, auch wenn es ihm bereits vor der Aftershowparty graust. Er wird sich so schnell wie möglich davonschleichen, aber ein gänzliches Wegbleiben ist ausgeschlossen, das ist er nicht nur seinen Kollegen, sondern dem gesamten Zirkus schuldig.
Es ist noch vor Mitternacht, als er endlich allein im Hotelzimmer ankommt. „Was für ein verficktes Leben“, denkt er sich zum wiederholten Mal, erinnert sich, wie er als Bub von nichts anderem träumte als von dem, was er jetzt fast täglich erlebt. An welcher Kreuzung des Lebens, war er wohl falsch abgebogen, dass seine Kindheitsträume zu Alpträumen wurden, wenn auch ertragbaren.
Gedanken, die ins Nichts führten und so lässt er sie unbeachtet vorbeiziehen, schaltet die Flimmerkiste an und wartet darauf, dass Hypnos ihn möglichst schnell in sein Reich zieht. Morpheus hingegen darf gern fernbleiben, von seinen Täuschungen hat er schon lange die Schnauze voll.