Veröffentlicht: 18.05.2024. Rubrik: Menschliches
Der Maler
Der Blick ins Portemonnaie lässt ihn verstummen, dafür meldet sich sein Magen mit einem altbekannten Knurren. Der Kühlschrank verrät ihm, dass nur noch eine kleine Gnadenfrist auf seinem Nahrungsmittelkonto verweilt. Er hat einfach wieder zu viel Malerei-Material erworben und sich selbst vergessen.
Er müsste endlich etwas verkaufen, aber in diesen Zeiten ist es noch schwerer, seine Arbeiten an die Frau oder den Mann zu bringen. Besonders, wenn es einem zuwider ist, sich direkt mitzuverkaufen. Die Liebe zur Kunst der Menschen ist groß, aber nicht ausreichend, dass für alle Kollegen eine Existenzsicherheit abfällt. Seine ausgemergelte Gestalt legt Zeugnis von diesem Zustand ab.
Er betrachtet seine Werke und wird augenblicklich von all den Emotionen heimgesucht, die ihm die Kraft verliehen haben, diese zu erschaffen. Ein tiefes Gefühl der Liebe durchflutet ihn, und als die Welle abebbt, stehen Tränen in seinen Augen und Zorn macht sich breit. Hatte er das verdient?
Erst wurde ihm ein außergewöhnliches Talent und ein bedingungsloser Wille in seine Wiege gelegt, all das zu erschaffen und auch zu ertragen, aber mit den Jahren wuchsen die Zweifel in ihm, ob er diesen Weg noch lange gehen könnte. Solch ein Leben hinterlässt Spuren, und das Leben am Existenzminimum ist ein hartes.
Diese Härte spürt man beim Betrachten seiner Werke, er legte sie in die Randzonen, damit sich seine unabdingbare Liebe zur Malerei im Zentrum verewigen konnte, die alles überstrahlt. Ein Kenner seiner Arbeiten würde zweifelsohne erkennen, dass die Randzonen in seiner langen Schaffensperiode, immer dominanter wurden und das Strahlen des Zentrums langsam erlosch. Er wurde müde des Kampfes, nur für ein kleines Stückchen Anerkennung.
Demütig schaut er in den Spiegel, er hat sich nichts vorzuwerfen. Was nutzte ihm all dieses überbordende Talent, wenn er unfähig war, es an den Mann zu bringen? Schließlich war er Künstler und kein Verkäufer. Behutsam zieht er einen letzten schwarzen Strich über die Leinwand, setzt seine Initialen unten rechts in die Ecke. Lange betrachtet er sein Selbstportrait und erkennt nur noch einen Schatten seiner selbst.
Er weiß, es wird lange dauern, bis ihn jemand vermisst. Die hoffentlich letzte Geringschätzung, die man ihm entgegenbringt, aber auch diese wird er ertragen, wie die Krämpfe, die ihn gleich heimsuchen werden…