Veröffentlicht: 12.05.2024. Rubrik: Unsortiert
Übergabe
Die wuchernden Wildrosensträucher verwehren den Blick in die Weite der Landschaft. Es können nur noch wenige Stufen bis zum Eingang der Hütte sein. Die ausgetretenen Stufen sind nun besser begehbar. Und dann sieht er das Häuschen. Kompakt aus grob behauenem Stein. Macht hier in der Abgeschiedenheit einen verwunschenen Eindruck. Die kleine Bank dort vor dem Häuschen, ganz so wie beschrieben. Er legt den prall gefüllten Rucksack darauf ab. Den Schlüssel für die Eingangstür findet er an der Rückseite des Fallrohrs der Regentonne befestigt. Alles ist wie angekündigt, ganz nach Plan.
Im Inneren ist das kleine Steinhaus schlicht möbliert. Er sucht eine bequeme Sitzgelegenheit und nimmt darauf platz. Ein unruhiger Blick auf die Uhr. Die vorgegebene Zeit hat er exakt eingehalten. Entspannung kommt dennoch nicht auf. Die Sinne bleiben geschärft und er verfolgt jedes Geräusch. Bald kann er sie alle voneinander unterscheiden. Meistens nur Vogelgezwitscher. Oder ein Klappern der Fensterhaken. Verursacht durch einen Windstoß.
Das Smartphone funktionsbereit neben sich platziert. Die bangen Blicke dorthin werden häufiger. Jetzt ist er gedanklich fokussiert. Immer wieder auf das Unvorstellbare, auf das vorher Geschehene. Vor wenigen Tagen. Erst Schockzustand, dann düstere Gedanken. Haben ihn zermürbt. Nun dies hier. Dann das Signalgeräusch. Klingelton und Vibrieren – endlich. Eine Schrecksekunde. Dann unruhige Atemzüge. Die Anspannung wächst. Er wird hektisch. Bald zählt er die Sekunden des Countdowns runter. Nur nicht verhaspeln. Nicht zu früh aktiv werden. Der Zeitpunkt ist exakt festgelegt. Die Nervosität steigt weiter an. Die kann er kaum kontrollieren. Dann ist es soweit. Er ist bei Null angekommen. Befreiung? Er stürzt zur Tür, beseelt von nur einem einzigen Wunsch. Denn er hat geliefert. Sein bargewordenes Vermögen. Die gesamte materielle Existenz. Und hofft nun auf Gegenleistung. Er will seine Frau zurückhaben.