Veröffentlicht: 12.04.2024. Rubrik: Unsortiert
Blutrache
Fassungslos blicke ich auf mein Leben zurück, das viele Jahre erfüllend für mich verlief. Selbst eine Scheidung vor etlichen Jahren hatte mich nur kurzzeitig belastet, denn ich machte danach eine berufliche Karriere, die mein Dasein ausfüllte, ich ging in meinem Beruf auf. Und heute eine Situation, von der ich nicht weiß, wie ich sie meistern könnte.
Es geschah im fünften Jahr nach der endgültigen Trennung von meiner damaligen Ehefrau, die ich zu dem Zeitpunkt weiterhin bewunderte, ihre Attraktivität einer südländischen Schönheit, sowie ihr Temperament. Aber wir hatten uns entliebt. Ein schwer erklärbares Phänomen, wie eine große Liebe zu einer toxischen Beziehung werden konnte. Im Nachhinein betrachtet waren es die ungezählten Dispute im Alltagsleben, die uns entzweiten, wir stritten zuweilen wie die Kesselflicker, meist wegen Petitessen, sie mit ihrem extrem ausgeprägten Ordnungssinn und ich als total chaotischer Typ mit der Tendenz zum Messi.
Und dann eine schicksalhafte Wendung in meinem Leben. Ich wurde über den Anwalt meiner Ex-Gattin als Zeuge für einen Prozess genannt, in dem sie mit ihrer Aussage die Anklage gegen ein Mitglied einer verfeindeten Sippe aus ihrem Heimatort in Südosteuropa eine entscheidende Rolle spielte. Ich sollte den Wahrheitsgehalt ihrer Aussage als Zeuge untermauern, was für den Beschuldigten zu einer langjährigen Haftstrafe führen würde. Ich erschien vor Gericht. Aber bereits direkt nach der Urteilsverkündung wurde mir klar, das hier könnte böse enden. Der Verurteilte verfluchte uns beide und schwor Blutrache. Dies war absolut glaubhaft und klang auch für die Justizbehörden ernstzunehmend. Wir wurden in einem Zeugenschutzprogramm untergebracht; weit voneinander getrennt.
Die von den Staatsorganen konstruierte neue Biografie lebte sich in der Praxis deutlich schlechter als vermutet; mein Leben fühlte sich lange Zeit nicht richtig an. Nach einigen Jahren der Eingewöhnung nahm ich eine meiner früheren Gewohnheiten wieder auf, ich ging auf Reisen. Als Ziel wählte ich Ägypten, das ich von einer Rundreise mit meiner Ex-Frau gut in Erinnerung hatte. Und meine Erwartungen wurden erfüllt. Allein schon die überbordende Betriebsamkeit Kairos, seine exotischen Gerüche, die Kakophonie des orientalischen Großstadtlebens, das faszinierte mich. Nach einem Besuch im Ägyptischen Museum schlenderte ich durch die verwirrenden Basare und Gassen in Kairos Altstadt. Ich hatte ein bestimmtes Ziel, das Restaurant Felfela, das ich von früher kannte, und zu dem ich tatsächlich hinfand. Direkt nach Betreten des Lokals blieb mein Blick an einer Frau hängen, die mich im selben Moment ebenfalls direkt ansah. Es war meine Ex-Frau. Mit ihrer südländischen Erscheinung fiel sie in dieser Umgebung kaum auf und war attraktiv wie eh und je. Sie war aus ähnlicher Motivation nach Ägypten gereist wie ich. Unser unerwartetes Wiedersehen wurde zu einem unglaublichen Erlebnis, alle früheren Zwistigkeiten waren wie weggefegt. Wir kamen uns an dem Abend sehr nahe. So nahe, dass wir beschlossen, aus dem Schutzprogramm auszusteigen, um irgendwo anders ein gemeinsames Leben zu beginnen. Als Ziel wählten wir die Metropole eines fernen, tropischen Landes, wo uns ganz sicher niemand aufspüren würde.
Und es wurde ein inspirierendes Leben in der wiedererlangten Freiheit, die wir in unserem komfortablen Domizil am Ufer eines großen Flusses mit Leidenschaft genossen. Was wir unterschätzt hatten, die Unvereinbarkeit unserer Verhaltensmuster im Umgang miteinander: Pedantin versus Fast-Messi. Schon nach wenigen Wochen stritten wir uns, dass die Fetzen flogen. Es war wie früher. Nur schlimmer. Wir mussten nach etlichen heftigen Auseinandersetzungen unser gemeinsames Leben erneut aufgeben. Der Zauber dieses gelebten Traums war zersplittert. Zwei unglückliche Seelen ohne Perspektive, gefangen im Paradies.