Veröffentlicht: 04.04.2024. Rubrik: Satirisches
Wahlsieger
Mit den Verläufen meiner nächtlichen Träume bin ich überwiegend zufrieden, denn sie gehen meistens gut aus. Kürzlich hatte ich jedoch einen, der mich verstörte. Er spielte hier im Lande, im Deutschland nach der nächsten Bundestagswahl.
Das deutsche Volk lebte wieder in tiefster Zufriedenheit, denn die ungeliebte Koalitionsregierung war abgewählt worden, die AfD hatte mit Hilfe einer mächtigen Boulevardzeitung sowie einer starken rechtspopulistischen außerparlamentarischen Strömung die absolute Mehrheit errungen. Alles war gut. Und erstaunlich daran, die neue Regierung begann stehenden Fußes, ihre Wahlversprechen umzusetzen. Die Grenzen wurden sofort geschlossen, allerdings nur in eine Richtung, denn die vielen fremdartigen Menschen im Lande mussten ja irgendwie raus. Da gleichzeitig die Sozialunterstützung gestrichen wurde, durften arbeitsscheue Elemente gleich mitgehen. Schon nach kurzer Zeit wirkte das Land aufgeräumt; Deutschland war übersichtlicher geworden. Mit dem versprochenen EU-Austritt fackelten die Erneuerer nicht lange. Ohne viel Aufhebens zogen sie den Dexit praktisch über Nacht durch. Bei der Gelegenheit wurde auch die gute alte Mark wieder eingeführt, es tauchte sogar wieder Geld aus alten Ost-Markbeständen auf. Euphorie im Lande. BILD-Zeitung und Mettbrötchen konnte man wieder mit Mark und Pfennig bezahlen. Nostalgie pur beim Einkaufen. Und die Rücknahme unsinniger Maßnahmen ging weiter. So wurden die Atommeiler reaktiviert, das Netz der Bundesbahn marginalisiert und gleichzeitig der Individualverkehr mit Verbrennungsmotoren stark gefördert. Die Diskussion um ein mögliches Tempolimit war auch schnell vom Tisch.
Und gesellschaftlich? Ruck-zuck wurde alles linksliberale Gedöns aus der Öffentlichkeit verbannt, was sollte das Gendern überhaupt? Gleichgeschlechtliche Beziehungen wurden unter Strafe gestellt, es sei denn, man gehörte zur Führungsriege der Regierungspartei. Junge Bürger konnten auch was erleben. Social Media-Kanäle wurden reduziert. Tik-Tok? Fremdländischer Unfug. Ein Kanal genügt. Zicke-Zacke: In diesem wurde gezeigt, wie Mädchen Zöpfe flechten lernen können. Und das Volk und die Boulevardpresse jubelten.
Das Jubeln wurde irgendwann verhaltener. Die teuren Importe ins rohstoffarme Deutschland mussten bezahlt werden, die Devisenreserven waren bald am Ende und die Deutschmark wollte draußen niemand haben. Man sah erste Fragezeichen in den Gesichtern der Bevölkerung. Als dann noch die Fußballbundesliga ihren Betrieb einstellen musste, weil kein ausländischer Spieler für eine DM-Gage kicken wollte, hörte man erste schüchterne Rufe nach Rot-Grün-Gelb in Markt und Straßen. Zu spät. Das Land war von den Rechtsextremen krachend an die Wand gefahren worden.
Es gab aber auch einen positiven Aspekt - allerdings nicht für Deutschland. Das benachbarte Ausland hatte die Wandlung von 'German Angst' hin zur 'German Dummheit' aufmerksam und dankbar verfolgt. Die Deutschen hatten ihnen die Blaupause geliefert, wie man Politik nicht machen sollte. Regierende und Wahlvolk in Ländern wie Frankreich, Italien, den Niederlanden oder auch Polen besannen sich, und sie entfernten rechtspopulistisches Gedankengut aus ihren Köpfen. Selbst die bockigen Ungarn schickten ihren Autokraten in die Puszta. Die Skandinavier schauten zu und meinten lakonisch, siehste, geht doch. Als sich dann noch die re-demokratisierte Türkei bei Finnen und Schweden für ihr Veto beim Nato-Beitritt entschuldigte, und anstelle des früheren Musterknaben Deutschland der EU beitrat, herrschte eitel Sonnenschein in Europa. Nun hatte man auch im Ausland den tieferen Sinn der Weisheit verstanden: „Am deutschen Wesen soll die Welt genesen“.